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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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gegenwärtigen Denken und Empfinden zu setzen, das Mißverhältniß auf eine
schreiende Art hervor, und wir werden nicht blos ästhetisch, sondern auch moralisch
verletzt.

Ehe wir zu seinem ersten Stück, welches Sensation machte, den "Söhnen
des Thals" übergehen, geben wir noch einige Notizen über sein früheres Leben. --
Werner ist 1768 zu Königsberg geboren. In dem Hause seines Vaters, der
Professor der Geschichte war, hatte er Gelegenheit, die schönen Geister der Zeit,
Hamann, Hippel und Andere kennen zu lernen; auch wandte er seine Aufmerk¬
samkeit schon früh der Bühne zu. Den Vater verlor er im 14. Jahre; er blieb
seitdem bis 1790 unter der Leitung seiner Mutter. Von welcher Art der Einfluß
Derselben auf sein Gemüth gewesen ist, können wir aus ihrem Ende abnehmen.
Sie verfiel nämlich in eine Gemüthskrankheit, in welcher sich die fixe Idee in ihr
ausbildete, daß sie die Jungfrau Maria und ihr Sohn der Weltheiland sei.
Diese halbreligiöse Schwärmerei, zu der beiläufig Königsberg immer große Neigung
gezeigt hat, und aus welcher jene gebrochenen Gemüther zu erklären sind, die
uns in in der Ostpreußischen Literatur nur allzuhäufig begegnen, dauerte bis an
ihren Tod, der am 24. Februar 1804 erfolgte -- ein Datum, welches bekannt¬
lich zu der Tragödie gleichen Namens Veranlassung gegeben hat. -- Werner
studirte Jurisprudenz und besuchte auch die Vorlesungen von Kant, vorzugsweise
aber ging er mit Schauspielerinnen um, und lebte ziemlich liederlich. Dieses
wüste Leben steigerte sich noch, als er im Jahre 1790 nach Berlin und Dresden
ging. Dazwischen finden wir fortwährend, wie in der Regel bei weichen Gemü¬
thern, einen Ansatz zur Reue und zur Frömmelei, die fortwährend mit Cynismus
und Frivolität abwechseln. -- 1793 trat er als Kammersecretair in Staatsdienst,
und hielt sich als solcher 1795 -- 1801 in Warschau aus, wo er mit Mnioch und
Hitzig, seinem spätern Biographen, genauer bekannt wurde. In dieser Zeit ver¬
heiratete er sich dreimal, jedesmal so leichtsinnig, daß er sich kurze Zeit darauf wieder
scheiden lassen mußte. Seine dritte Frau war eine Polin, die kein Wort Deutsch
verstand, so wie er kein Wort Polnisch. Er trat in den Freimaurerorden, und
dieser gab seiner reizbaren Phantasie den Stoff zu seinem ersten Drama, den
"Söhnen des Thals", die zum großen Theil 1800 und 1801 concipirt waren,
aber erst später erschienen, und zwar der erste Theil, die Templer auf Cypern,
1803; der zweite, die Kreuzesbrüder, 1804. Er hielt sich in dieser Zeit bis zum
Tode seiner Mutter in Königsberg auf. Um den eigentlichen Sinn seines Gedichts
zu fassen, müssen wir aus die allgemeine Richtung der Zeit eingehen.

Die eigentliche Blüthenzeit der Freimaurerei war freilich schon vorüber; die
Rosenkreuzer wie die Illuminaten gehörten dem achtzehnten Jahrhundert an; aber
die Neigung zu geheimen Verbindungen, in welche die Creme der Humanität sich
flüchten sollte, um den göttlichen Geist vor Profanation zu bewahren, war noch
immer vorhanden. Was Hippel in seinen "Kreuz- und Querzügen des Ritters


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gegenwärtigen Denken und Empfinden zu setzen, das Mißverhältniß auf eine
schreiende Art hervor, und wir werden nicht blos ästhetisch, sondern auch moralisch
verletzt.

Ehe wir zu seinem ersten Stück, welches Sensation machte, den „Söhnen
des Thals" übergehen, geben wir noch einige Notizen über sein früheres Leben. —
Werner ist 1768 zu Königsberg geboren. In dem Hause seines Vaters, der
Professor der Geschichte war, hatte er Gelegenheit, die schönen Geister der Zeit,
Hamann, Hippel und Andere kennen zu lernen; auch wandte er seine Aufmerk¬
samkeit schon früh der Bühne zu. Den Vater verlor er im 14. Jahre; er blieb
seitdem bis 1790 unter der Leitung seiner Mutter. Von welcher Art der Einfluß
Derselben auf sein Gemüth gewesen ist, können wir aus ihrem Ende abnehmen.
Sie verfiel nämlich in eine Gemüthskrankheit, in welcher sich die fixe Idee in ihr
ausbildete, daß sie die Jungfrau Maria und ihr Sohn der Weltheiland sei.
Diese halbreligiöse Schwärmerei, zu der beiläufig Königsberg immer große Neigung
gezeigt hat, und aus welcher jene gebrochenen Gemüther zu erklären sind, die
uns in in der Ostpreußischen Literatur nur allzuhäufig begegnen, dauerte bis an
ihren Tod, der am 24. Februar 1804 erfolgte — ein Datum, welches bekannt¬
lich zu der Tragödie gleichen Namens Veranlassung gegeben hat. — Werner
studirte Jurisprudenz und besuchte auch die Vorlesungen von Kant, vorzugsweise
aber ging er mit Schauspielerinnen um, und lebte ziemlich liederlich. Dieses
wüste Leben steigerte sich noch, als er im Jahre 1790 nach Berlin und Dresden
ging. Dazwischen finden wir fortwährend, wie in der Regel bei weichen Gemü¬
thern, einen Ansatz zur Reue und zur Frömmelei, die fortwährend mit Cynismus
und Frivolität abwechseln. — 1793 trat er als Kammersecretair in Staatsdienst,
und hielt sich als solcher 1795 — 1801 in Warschau aus, wo er mit Mnioch und
Hitzig, seinem spätern Biographen, genauer bekannt wurde. In dieser Zeit ver¬
heiratete er sich dreimal, jedesmal so leichtsinnig, daß er sich kurze Zeit darauf wieder
scheiden lassen mußte. Seine dritte Frau war eine Polin, die kein Wort Deutsch
verstand, so wie er kein Wort Polnisch. Er trat in den Freimaurerorden, und
dieser gab seiner reizbaren Phantasie den Stoff zu seinem ersten Drama, den
„Söhnen des Thals", die zum großen Theil 1800 und 1801 concipirt waren,
aber erst später erschienen, und zwar der erste Theil, die Templer auf Cypern,
1803; der zweite, die Kreuzesbrüder, 1804. Er hielt sich in dieser Zeit bis zum
Tode seiner Mutter in Königsberg auf. Um den eigentlichen Sinn seines Gedichts
zu fassen, müssen wir aus die allgemeine Richtung der Zeit eingehen.

Die eigentliche Blüthenzeit der Freimaurerei war freilich schon vorüber; die
Rosenkreuzer wie die Illuminaten gehörten dem achtzehnten Jahrhundert an; aber
die Neigung zu geheimen Verbindungen, in welche die Creme der Humanität sich
flüchten sollte, um den göttlichen Geist vor Profanation zu bewahren, war noch
immer vorhanden. Was Hippel in seinen „Kreuz- und Querzügen des Ritters


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[0455] gegenwärtigen Denken und Empfinden zu setzen, das Mißverhältniß auf eine schreiende Art hervor, und wir werden nicht blos ästhetisch, sondern auch moralisch verletzt. Ehe wir zu seinem ersten Stück, welches Sensation machte, den „Söhnen des Thals" übergehen, geben wir noch einige Notizen über sein früheres Leben. — Werner ist 1768 zu Königsberg geboren. In dem Hause seines Vaters, der Professor der Geschichte war, hatte er Gelegenheit, die schönen Geister der Zeit, Hamann, Hippel und Andere kennen zu lernen; auch wandte er seine Aufmerk¬ samkeit schon früh der Bühne zu. Den Vater verlor er im 14. Jahre; er blieb seitdem bis 1790 unter der Leitung seiner Mutter. Von welcher Art der Einfluß Derselben auf sein Gemüth gewesen ist, können wir aus ihrem Ende abnehmen. Sie verfiel nämlich in eine Gemüthskrankheit, in welcher sich die fixe Idee in ihr ausbildete, daß sie die Jungfrau Maria und ihr Sohn der Weltheiland sei. Diese halbreligiöse Schwärmerei, zu der beiläufig Königsberg immer große Neigung gezeigt hat, und aus welcher jene gebrochenen Gemüther zu erklären sind, die uns in in der Ostpreußischen Literatur nur allzuhäufig begegnen, dauerte bis an ihren Tod, der am 24. Februar 1804 erfolgte — ein Datum, welches bekannt¬ lich zu der Tragödie gleichen Namens Veranlassung gegeben hat. — Werner studirte Jurisprudenz und besuchte auch die Vorlesungen von Kant, vorzugsweise aber ging er mit Schauspielerinnen um, und lebte ziemlich liederlich. Dieses wüste Leben steigerte sich noch, als er im Jahre 1790 nach Berlin und Dresden ging. Dazwischen finden wir fortwährend, wie in der Regel bei weichen Gemü¬ thern, einen Ansatz zur Reue und zur Frömmelei, die fortwährend mit Cynismus und Frivolität abwechseln. — 1793 trat er als Kammersecretair in Staatsdienst, und hielt sich als solcher 1795 — 1801 in Warschau aus, wo er mit Mnioch und Hitzig, seinem spätern Biographen, genauer bekannt wurde. In dieser Zeit ver¬ heiratete er sich dreimal, jedesmal so leichtsinnig, daß er sich kurze Zeit darauf wieder scheiden lassen mußte. Seine dritte Frau war eine Polin, die kein Wort Deutsch verstand, so wie er kein Wort Polnisch. Er trat in den Freimaurerorden, und dieser gab seiner reizbaren Phantasie den Stoff zu seinem ersten Drama, den „Söhnen des Thals", die zum großen Theil 1800 und 1801 concipirt waren, aber erst später erschienen, und zwar der erste Theil, die Templer auf Cypern, 1803; der zweite, die Kreuzesbrüder, 1804. Er hielt sich in dieser Zeit bis zum Tode seiner Mutter in Königsberg auf. Um den eigentlichen Sinn seines Gedichts zu fassen, müssen wir aus die allgemeine Richtung der Zeit eingehen. Die eigentliche Blüthenzeit der Freimaurerei war freilich schon vorüber; die Rosenkreuzer wie die Illuminaten gehörten dem achtzehnten Jahrhundert an; aber die Neigung zu geheimen Verbindungen, in welche die Creme der Humanität sich flüchten sollte, um den göttlichen Geist vor Profanation zu bewahren, war noch immer vorhanden. Was Hippel in seinen „Kreuz- und Querzügen des Ritters 56*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/455>, abgerufen am 01.09.2024.