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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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rufung aus das Französische Volk durchzusetzen. Sie provociren also im eigent¬
lichsten Sinne des Worts eine Contrerevolution.

Eine Contrerevolution hat in dem Fall die Wahrscheinlichkeit des Gelingens,
wenn nur zwei geschlossene Parteien einander gegenüberstehen, und wenn die
Strömung der Zeit der Reaction zuführt. Eine legitime Monarchie z. B. wird
mit Erfolg eine Contrerevolution versuchen können, sobald die öffentliche Meinung
ihre Gegner im Stich läßt. So ist die Sachlage in Frankreich aber keineswegs.
Die bloße Abstraction der Ordnung ist nicht im Stande, sich einer von ihr pro¬
vocirten Volksausregung zu bemeistern, die ja selber die Unordnung ist. Bis jetzt
hat der Bund der verschiedenen conservativen Parteien dadurch ein Terrain nach
dem andern erobert, daß er sich mit seinen Repressivmaßregeln wenigstens an die
Form des Gesetzes gebunden hat; ein Verlassen dieses Weges aber zu einer Zeit,
wo das Gefühl der Noth noch nicht gebieterisch eingetreten ist, und wo die diver-
girenden Interessen der einzelnen Fraktionen nothwendig hervortreten müssen,
hieße nichts Anderes, als die Krisis beschleunigen, und zwar ist es sehr zweifel¬
haft, ob sie dadurch aus einen günstigern Zeitpunkt übertragen wird, denn die
Masse der kleinen Bourgeoisie, deren Gewicht man nicht außer Rechnung lassen
darf, würde sich in diesem Augenblick eben so entschieden gegen eine Contrerevo¬
lution erklären, in der sie ja auch eine Unordnung sehen müßte, als gegen eine
Emeute der Socialisten.

Die Wahrscheinlichkeit bleibt also immer dafür, daß die Krisis im Mai des
folgenden Jahres eintreten wird, und es fragt sich nun, wie wir uns in derselben
zu verhalten haben.

Es ist unzweifelhaft, daß eine so gewaltige Erschütterung auch ohne ein plan¬
mäßiges Mitwirken in allen übrigen Ländern des Continents, namentlich aber in
Deutschland und Italien, nachzittern wird. Die Ungewißheit dieses Zustandes
wird noch dadurch vermehrt, daß das konservativste aller Länder, daß England sich
ebenfalls in der Gefahr einer Krisis befindet. Wir zweifeln nicht daran, daß
England bei seiner gesunden Verfassung Mittel finden wird, die Schwierigkeiten
seiner innern Angelegenheiten, wenn auch mit einigem Lärm, doch immer ans dem
Wege der Ordnung zu entfernen; allein für uns selbst ist die Sache darum
nicht weniger bedenklich, denn von den Parteien, die sich freilich vorzugs¬
weise auf die innern Fragen beziehen, hat jede auch eine verschiedene auswärtige
Politik. Da man nun keinen Tag voraussehen kann, ob nicht die Whigs, das
schwächste Ministerium, das England seit langer Zeit gehabt hat, über irgend
einer vielleicht untergeordneten Frage stürzen, und ob nicht die Königin dadurch
veranlaßt wird, sich an die Tones und damit an die auswärtige Politik der hei¬
ligen Allianz zu wenden; da man serner nicht voraussehen kann, ob nicht eben
dadurch eine so große Volksanfregung entsteht, daß sie die Agitation zur Zeit der
Reformbill und der Korngesetze noch bei Weitem übersteigt und zu jener Anhäufung


rufung aus das Französische Volk durchzusetzen. Sie provociren also im eigent¬
lichsten Sinne des Worts eine Contrerevolution.

Eine Contrerevolution hat in dem Fall die Wahrscheinlichkeit des Gelingens,
wenn nur zwei geschlossene Parteien einander gegenüberstehen, und wenn die
Strömung der Zeit der Reaction zuführt. Eine legitime Monarchie z. B. wird
mit Erfolg eine Contrerevolution versuchen können, sobald die öffentliche Meinung
ihre Gegner im Stich läßt. So ist die Sachlage in Frankreich aber keineswegs.
Die bloße Abstraction der Ordnung ist nicht im Stande, sich einer von ihr pro¬
vocirten Volksausregung zu bemeistern, die ja selber die Unordnung ist. Bis jetzt
hat der Bund der verschiedenen conservativen Parteien dadurch ein Terrain nach
dem andern erobert, daß er sich mit seinen Repressivmaßregeln wenigstens an die
Form des Gesetzes gebunden hat; ein Verlassen dieses Weges aber zu einer Zeit,
wo das Gefühl der Noth noch nicht gebieterisch eingetreten ist, und wo die diver-
girenden Interessen der einzelnen Fraktionen nothwendig hervortreten müssen,
hieße nichts Anderes, als die Krisis beschleunigen, und zwar ist es sehr zweifel¬
haft, ob sie dadurch aus einen günstigern Zeitpunkt übertragen wird, denn die
Masse der kleinen Bourgeoisie, deren Gewicht man nicht außer Rechnung lassen
darf, würde sich in diesem Augenblick eben so entschieden gegen eine Contrerevo¬
lution erklären, in der sie ja auch eine Unordnung sehen müßte, als gegen eine
Emeute der Socialisten.

Die Wahrscheinlichkeit bleibt also immer dafür, daß die Krisis im Mai des
folgenden Jahres eintreten wird, und es fragt sich nun, wie wir uns in derselben
zu verhalten haben.

Es ist unzweifelhaft, daß eine so gewaltige Erschütterung auch ohne ein plan¬
mäßiges Mitwirken in allen übrigen Ländern des Continents, namentlich aber in
Deutschland und Italien, nachzittern wird. Die Ungewißheit dieses Zustandes
wird noch dadurch vermehrt, daß das konservativste aller Länder, daß England sich
ebenfalls in der Gefahr einer Krisis befindet. Wir zweifeln nicht daran, daß
England bei seiner gesunden Verfassung Mittel finden wird, die Schwierigkeiten
seiner innern Angelegenheiten, wenn auch mit einigem Lärm, doch immer ans dem
Wege der Ordnung zu entfernen; allein für uns selbst ist die Sache darum
nicht weniger bedenklich, denn von den Parteien, die sich freilich vorzugs¬
weise auf die innern Fragen beziehen, hat jede auch eine verschiedene auswärtige
Politik. Da man nun keinen Tag voraussehen kann, ob nicht die Whigs, das
schwächste Ministerium, das England seit langer Zeit gehabt hat, über irgend
einer vielleicht untergeordneten Frage stürzen, und ob nicht die Königin dadurch
veranlaßt wird, sich an die Tones und damit an die auswärtige Politik der hei¬
ligen Allianz zu wenden; da man serner nicht voraussehen kann, ob nicht eben
dadurch eine so große Volksanfregung entsteht, daß sie die Agitation zur Zeit der
Reformbill und der Korngesetze noch bei Weitem übersteigt und zu jener Anhäufung


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[0440] rufung aus das Französische Volk durchzusetzen. Sie provociren also im eigent¬ lichsten Sinne des Worts eine Contrerevolution. Eine Contrerevolution hat in dem Fall die Wahrscheinlichkeit des Gelingens, wenn nur zwei geschlossene Parteien einander gegenüberstehen, und wenn die Strömung der Zeit der Reaction zuführt. Eine legitime Monarchie z. B. wird mit Erfolg eine Contrerevolution versuchen können, sobald die öffentliche Meinung ihre Gegner im Stich läßt. So ist die Sachlage in Frankreich aber keineswegs. Die bloße Abstraction der Ordnung ist nicht im Stande, sich einer von ihr pro¬ vocirten Volksausregung zu bemeistern, die ja selber die Unordnung ist. Bis jetzt hat der Bund der verschiedenen conservativen Parteien dadurch ein Terrain nach dem andern erobert, daß er sich mit seinen Repressivmaßregeln wenigstens an die Form des Gesetzes gebunden hat; ein Verlassen dieses Weges aber zu einer Zeit, wo das Gefühl der Noth noch nicht gebieterisch eingetreten ist, und wo die diver- girenden Interessen der einzelnen Fraktionen nothwendig hervortreten müssen, hieße nichts Anderes, als die Krisis beschleunigen, und zwar ist es sehr zweifel¬ haft, ob sie dadurch aus einen günstigern Zeitpunkt übertragen wird, denn die Masse der kleinen Bourgeoisie, deren Gewicht man nicht außer Rechnung lassen darf, würde sich in diesem Augenblick eben so entschieden gegen eine Contrerevo¬ lution erklären, in der sie ja auch eine Unordnung sehen müßte, als gegen eine Emeute der Socialisten. Die Wahrscheinlichkeit bleibt also immer dafür, daß die Krisis im Mai des folgenden Jahres eintreten wird, und es fragt sich nun, wie wir uns in derselben zu verhalten haben. Es ist unzweifelhaft, daß eine so gewaltige Erschütterung auch ohne ein plan¬ mäßiges Mitwirken in allen übrigen Ländern des Continents, namentlich aber in Deutschland und Italien, nachzittern wird. Die Ungewißheit dieses Zustandes wird noch dadurch vermehrt, daß das konservativste aller Länder, daß England sich ebenfalls in der Gefahr einer Krisis befindet. Wir zweifeln nicht daran, daß England bei seiner gesunden Verfassung Mittel finden wird, die Schwierigkeiten seiner innern Angelegenheiten, wenn auch mit einigem Lärm, doch immer ans dem Wege der Ordnung zu entfernen; allein für uns selbst ist die Sache darum nicht weniger bedenklich, denn von den Parteien, die sich freilich vorzugs¬ weise auf die innern Fragen beziehen, hat jede auch eine verschiedene auswärtige Politik. Da man nun keinen Tag voraussehen kann, ob nicht die Whigs, das schwächste Ministerium, das England seit langer Zeit gehabt hat, über irgend einer vielleicht untergeordneten Frage stürzen, und ob nicht die Königin dadurch veranlaßt wird, sich an die Tones und damit an die auswärtige Politik der hei¬ ligen Allianz zu wenden; da man serner nicht voraussehen kann, ob nicht eben dadurch eine so große Volksanfregung entsteht, daß sie die Agitation zur Zeit der Reformbill und der Korngesetze noch bei Weitem übersteigt und zu jener Anhäufung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/440>, abgerufen am 01.09.2024.