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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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von elektrischem Stoff beiträgt, die mit dem Unwetter auf dem Kontinent in
lebendiger Wechselwirkung steht, so wird auch von dieser Seite her die Unge¬
wißheit auf eine sehr bedenkliche Weise gesteigert.

Alle diese Umstände müssen in Rechnung gebracht werden, wenn wir uns
offen und unumwunden die Frage vorlegen wollen, ob unser Wunsch mit der
Möglichkeit eines gewaltsamen Umschwungs der Dinge in Deutschland Hand in
Hand geht. Wir dürfen uns namentlich nicht von unsrer augenblicklichen Stim¬
mung täusche" lassen, die in gerechtem Unwillen über die gegenwärtige Leitung
der Staatsangelegenheiten in ganz Deutschland jede Eventualität acceptiren
möchte, die uns nur von den gegenwärtigen Machthabern befreit. Die letzten
Jahre haben uns in dieser Beziehung eiuen größern Ernst lehren müssen; wir
haben einsehen müssen, daß eine von unten auf gehende Umwälzung der Deutschen
Staaten, wenn sie überhaupt möglich ist, nur möglich ist unter der Bedingung
eines radicalen Umsturzes aller Staatsverhältnisse bis in die kleinsten Kreise hin¬
unter. Ein solcher Umsturz würde aber die Cultur wenigstens um ein Menschen¬
alter zurückbringen. Wir müssen serner zu der Einsicht gekommen sein, daß ein
solcher Umsturz, der mir denkbar ist bei einer vollständigen Auflösung des Militairs,
unser Vaterland der drängenden und fast unausweichbaren Gefahr einer Unter¬
jochung durch fremde Völker aussetzt. Es wäre also eine Thorheit und ein Ver¬
brechen unsrerseits, auf eine wirkliche Revolution zu speculiren; wir köunen aber
auch nicht darauf rechnen, daß die Deutschen Regierungen zum zweiten Mal, wie
im Jahre 18i8; aus Furcht vor dem Gespenst der Revolution sich zu Concessionen
werden bestimmen lassen, die sie als unheilvoll erkannt haben. Die Regierungen
sind ihrerseits eben so wachsam und gerüstet, als die Demokraten. An die weitere
Eventualität, welche die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat, nämlich an die
Verunglückung der Revolution und an die Herstellung eines straffen bigotten
Absolutismus, brauche ich hier nur zu erinnern, ohne daß es nöthig wäre, erst
weitläufig auseinanderzusetzen, daß sie nicht in unsern Wünschen liegen kann.

Wenn es also ziemlich klar sein dürste, daß wir den Eintritt der Krisis in
Deutschland nur zu fürchten haben, so bliebe uns nur die Ausflucht übrig, daß
man sie bei der Schlechtigkeit unsrer Zustände als ein Fatum hinzunehmen habe,
dem die Guten wie die Bösen verfallen seien. Dieser Fatalismus, so poetisch
er klingt, ist einerseits nach unsrer Ueberzeugung stets ein halber Wahnsinn,
denn jeder Mensch hat die Verpflichtung, sich, so gut und so lange es gehen will,
seiner Haut zu wehren. Er entspricht aber auch keineswegs der wirklichen Lage
unsrer Verhältnisse. Wir haben die UnWürdigkeiten der letzten Jahre so lebhaft
gefühlt, als irgend ein Anderer; wir müssen es aber bestreikn, daß man diese Lage
verzweifelt nennen kann. Wir haben noch sehr viel zu verlieren, und wir haben
noch sehr viel Mittel, um für unsre Zwecke zu wirken; ja wir haben noch mehr
Mittel, als vor den Märztagen. Trotz den Repressivgesetzen der letzten Zeit hat


von elektrischem Stoff beiträgt, die mit dem Unwetter auf dem Kontinent in
lebendiger Wechselwirkung steht, so wird auch von dieser Seite her die Unge¬
wißheit auf eine sehr bedenkliche Weise gesteigert.

Alle diese Umstände müssen in Rechnung gebracht werden, wenn wir uns
offen und unumwunden die Frage vorlegen wollen, ob unser Wunsch mit der
Möglichkeit eines gewaltsamen Umschwungs der Dinge in Deutschland Hand in
Hand geht. Wir dürfen uns namentlich nicht von unsrer augenblicklichen Stim¬
mung täusche» lassen, die in gerechtem Unwillen über die gegenwärtige Leitung
der Staatsangelegenheiten in ganz Deutschland jede Eventualität acceptiren
möchte, die uns nur von den gegenwärtigen Machthabern befreit. Die letzten
Jahre haben uns in dieser Beziehung eiuen größern Ernst lehren müssen; wir
haben einsehen müssen, daß eine von unten auf gehende Umwälzung der Deutschen
Staaten, wenn sie überhaupt möglich ist, nur möglich ist unter der Bedingung
eines radicalen Umsturzes aller Staatsverhältnisse bis in die kleinsten Kreise hin¬
unter. Ein solcher Umsturz würde aber die Cultur wenigstens um ein Menschen¬
alter zurückbringen. Wir müssen serner zu der Einsicht gekommen sein, daß ein
solcher Umsturz, der mir denkbar ist bei einer vollständigen Auflösung des Militairs,
unser Vaterland der drängenden und fast unausweichbaren Gefahr einer Unter¬
jochung durch fremde Völker aussetzt. Es wäre also eine Thorheit und ein Ver¬
brechen unsrerseits, auf eine wirkliche Revolution zu speculiren; wir köunen aber
auch nicht darauf rechnen, daß die Deutschen Regierungen zum zweiten Mal, wie
im Jahre 18i8; aus Furcht vor dem Gespenst der Revolution sich zu Concessionen
werden bestimmen lassen, die sie als unheilvoll erkannt haben. Die Regierungen
sind ihrerseits eben so wachsam und gerüstet, als die Demokraten. An die weitere
Eventualität, welche die größte Wahrscheinlichkeit für sich hat, nämlich an die
Verunglückung der Revolution und an die Herstellung eines straffen bigotten
Absolutismus, brauche ich hier nur zu erinnern, ohne daß es nöthig wäre, erst
weitläufig auseinanderzusetzen, daß sie nicht in unsern Wünschen liegen kann.

Wenn es also ziemlich klar sein dürste, daß wir den Eintritt der Krisis in
Deutschland nur zu fürchten haben, so bliebe uns nur die Ausflucht übrig, daß
man sie bei der Schlechtigkeit unsrer Zustände als ein Fatum hinzunehmen habe,
dem die Guten wie die Bösen verfallen seien. Dieser Fatalismus, so poetisch
er klingt, ist einerseits nach unsrer Ueberzeugung stets ein halber Wahnsinn,
denn jeder Mensch hat die Verpflichtung, sich, so gut und so lange es gehen will,
seiner Haut zu wehren. Er entspricht aber auch keineswegs der wirklichen Lage
unsrer Verhältnisse. Wir haben die UnWürdigkeiten der letzten Jahre so lebhaft
gefühlt, als irgend ein Anderer; wir müssen es aber bestreikn, daß man diese Lage
verzweifelt nennen kann. Wir haben noch sehr viel zu verlieren, und wir haben
noch sehr viel Mittel, um für unsre Zwecke zu wirken; ja wir haben noch mehr
Mittel, als vor den Märztagen. Trotz den Repressivgesetzen der letzten Zeit hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/441>, abgerufen am 01.09.2024.