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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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complicirtesten Zusammenstellungen erzeugten Klangwirkungen dieser Schule er¬
reiche" nie die schöne" und natürlich in einander gefügten Harmonien unsrer guten
Deutschen Meister, die durch Jnstrnmentanhäufnngen erzeugten Kraststelle" nie
die intensive Kraft unsrer Mozart und Beethoven. Auch der praktische Nach¬
theil ist kein geringer: bei dem Verharre" auf dem von unsern Tonmeistern ein¬
geschlagenen Wege werden wir dahin gelangen, daß nur in den größern Städten,
die durch materiellen Aufwand die Kunstmittel anhäufen, unsre Musikwerke zur
Aufführung gelangen können. Wagner bedient sich im Lohengrin stets dreifach
besetzter Holzblasinstrumente, ohne das Messingchor und ein Dutzend Extra¬
trompeten zu rechnen; er theilt die Violinen in eine Menge Chöre, deren Einzel¬
stimmen jede eine mehrfache Besetzung erfordern. Es ist dies eine Jnstrumenten-
anhäusung, wie sie kaum Berlioz keimt, dem doch die Kräfte einer Weltstadt zu
Gebote stehen. Auch Meyerbeer verlangt nicht diese bedeutenden Mittel, oder
wenn er sie beansprucht, gestattet die Gestaltung seiner Partituren viel eher ein
leichteres Arrangement, als dies bei Wagners complicirter Weise in Lohengrin
der Fall ist. Außerdem hat Meyerbeer principiell nnr für große Bühnen und
große Orchester geschrieben, während Wagner es als Grundsatz ausstellt, jedes
Kunstwerk müsse für das Volk im Ganzen, nicht für die Aristokratie der großen
Städte geschaffen sein. Seine Praxis widerspricht auch in diesem Punkt, wie
in dem Verhältniß zum Christenthum, seiner Theorie. Von allen seinen Opern
steht in dieser Beziehung der Tannhäuser am Geläuterlsteu da, indem hier eine
sparsame, nicht über das gewöhnliche Maß gehende Jnstrumentation beibehalten ist,
und die durch dieselbe erzeugten Wirkungen ihrem jedesmaligen Zwecke entsprechen.

Ganz selbstständig ist Wagner in der von ihm in seinen letzten Opern ein¬
geführten Art der Behandlung der Singstimme, zu welcher er durch die ver¬
änderte Gestaltung der Textbücher hingeleitet wurde. Die lebendigere, gedräng¬
tere Handlung, die Betheiligung der Massen von den Vorgängen des Drama
bewirkte vor allen Dingen das Zurückweichen des lyrischen Elements, die sast
gänzliche Beseitigung der Arien in der Form, wie sie von den Italienern geschaffen
und durch Mozart gleichsam sanctionirt wurde. Schon Gluck arbeitete auf diese
Umgestaltung hiu, er will uicht, daß der dramatische Theil der Oper zu Gunsten
der Musik irgend welche Unterbrechung erleide, deshalb beschränkt er die Arien
in einen sehr kleinen Raum, etwa in das Maß der Cavatine, und bestrebt sich, die
Singstimme in einer solchen Fassung zu halten, daß ihre Melodie in genauer
Korrespondenz mit den Worten steht, daß alle Figuren aus ihr entschwinden, die
der Virtuosität des Concertsaales überlassen bleiben müssen. Darum machte man
ihm deu Vorwurf der Unsangbarkeit, obgleich seine Melodien sich in einem der
jedesmaligen Stimmlage angemessenen Umfange bewegen, und die Intervalle,
welche sie berühren, dem Ohre leicht faßlich sind. Freilich bieten sie dem gewöhn¬
lichen Sänger Schwierigkeiten, weil sie zu ihrer richtigen Auffassung eine solide


complicirtesten Zusammenstellungen erzeugten Klangwirkungen dieser Schule er¬
reiche» nie die schöne» und natürlich in einander gefügten Harmonien unsrer guten
Deutschen Meister, die durch Jnstrnmentanhäufnngen erzeugten Kraststelle» nie
die intensive Kraft unsrer Mozart und Beethoven. Auch der praktische Nach¬
theil ist kein geringer: bei dem Verharre» auf dem von unsern Tonmeistern ein¬
geschlagenen Wege werden wir dahin gelangen, daß nur in den größern Städten,
die durch materiellen Aufwand die Kunstmittel anhäufen, unsre Musikwerke zur
Aufführung gelangen können. Wagner bedient sich im Lohengrin stets dreifach
besetzter Holzblasinstrumente, ohne das Messingchor und ein Dutzend Extra¬
trompeten zu rechnen; er theilt die Violinen in eine Menge Chöre, deren Einzel¬
stimmen jede eine mehrfache Besetzung erfordern. Es ist dies eine Jnstrumenten-
anhäusung, wie sie kaum Berlioz keimt, dem doch die Kräfte einer Weltstadt zu
Gebote stehen. Auch Meyerbeer verlangt nicht diese bedeutenden Mittel, oder
wenn er sie beansprucht, gestattet die Gestaltung seiner Partituren viel eher ein
leichteres Arrangement, als dies bei Wagners complicirter Weise in Lohengrin
der Fall ist. Außerdem hat Meyerbeer principiell nnr für große Bühnen und
große Orchester geschrieben, während Wagner es als Grundsatz ausstellt, jedes
Kunstwerk müsse für das Volk im Ganzen, nicht für die Aristokratie der großen
Städte geschaffen sein. Seine Praxis widerspricht auch in diesem Punkt, wie
in dem Verhältniß zum Christenthum, seiner Theorie. Von allen seinen Opern
steht in dieser Beziehung der Tannhäuser am Geläuterlsteu da, indem hier eine
sparsame, nicht über das gewöhnliche Maß gehende Jnstrumentation beibehalten ist,
und die durch dieselbe erzeugten Wirkungen ihrem jedesmaligen Zwecke entsprechen.

Ganz selbstständig ist Wagner in der von ihm in seinen letzten Opern ein¬
geführten Art der Behandlung der Singstimme, zu welcher er durch die ver¬
änderte Gestaltung der Textbücher hingeleitet wurde. Die lebendigere, gedräng¬
tere Handlung, die Betheiligung der Massen von den Vorgängen des Drama
bewirkte vor allen Dingen das Zurückweichen des lyrischen Elements, die sast
gänzliche Beseitigung der Arien in der Form, wie sie von den Italienern geschaffen
und durch Mozart gleichsam sanctionirt wurde. Schon Gluck arbeitete auf diese
Umgestaltung hiu, er will uicht, daß der dramatische Theil der Oper zu Gunsten
der Musik irgend welche Unterbrechung erleide, deshalb beschränkt er die Arien
in einen sehr kleinen Raum, etwa in das Maß der Cavatine, und bestrebt sich, die
Singstimme in einer solchen Fassung zu halten, daß ihre Melodie in genauer
Korrespondenz mit den Worten steht, daß alle Figuren aus ihr entschwinden, die
der Virtuosität des Concertsaales überlassen bleiben müssen. Darum machte man
ihm deu Vorwurf der Unsangbarkeit, obgleich seine Melodien sich in einem der
jedesmaligen Stimmlage angemessenen Umfange bewegen, und die Intervalle,
welche sie berühren, dem Ohre leicht faßlich sind. Freilich bieten sie dem gewöhn¬
lichen Sänger Schwierigkeiten, weil sie zu ihrer richtigen Auffassung eine solide


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[0428] complicirtesten Zusammenstellungen erzeugten Klangwirkungen dieser Schule er¬ reiche» nie die schöne» und natürlich in einander gefügten Harmonien unsrer guten Deutschen Meister, die durch Jnstrnmentanhäufnngen erzeugten Kraststelle» nie die intensive Kraft unsrer Mozart und Beethoven. Auch der praktische Nach¬ theil ist kein geringer: bei dem Verharre» auf dem von unsern Tonmeistern ein¬ geschlagenen Wege werden wir dahin gelangen, daß nur in den größern Städten, die durch materiellen Aufwand die Kunstmittel anhäufen, unsre Musikwerke zur Aufführung gelangen können. Wagner bedient sich im Lohengrin stets dreifach besetzter Holzblasinstrumente, ohne das Messingchor und ein Dutzend Extra¬ trompeten zu rechnen; er theilt die Violinen in eine Menge Chöre, deren Einzel¬ stimmen jede eine mehrfache Besetzung erfordern. Es ist dies eine Jnstrumenten- anhäusung, wie sie kaum Berlioz keimt, dem doch die Kräfte einer Weltstadt zu Gebote stehen. Auch Meyerbeer verlangt nicht diese bedeutenden Mittel, oder wenn er sie beansprucht, gestattet die Gestaltung seiner Partituren viel eher ein leichteres Arrangement, als dies bei Wagners complicirter Weise in Lohengrin der Fall ist. Außerdem hat Meyerbeer principiell nnr für große Bühnen und große Orchester geschrieben, während Wagner es als Grundsatz ausstellt, jedes Kunstwerk müsse für das Volk im Ganzen, nicht für die Aristokratie der großen Städte geschaffen sein. Seine Praxis widerspricht auch in diesem Punkt, wie in dem Verhältniß zum Christenthum, seiner Theorie. Von allen seinen Opern steht in dieser Beziehung der Tannhäuser am Geläuterlsteu da, indem hier eine sparsame, nicht über das gewöhnliche Maß gehende Jnstrumentation beibehalten ist, und die durch dieselbe erzeugten Wirkungen ihrem jedesmaligen Zwecke entsprechen. Ganz selbstständig ist Wagner in der von ihm in seinen letzten Opern ein¬ geführten Art der Behandlung der Singstimme, zu welcher er durch die ver¬ änderte Gestaltung der Textbücher hingeleitet wurde. Die lebendigere, gedräng¬ tere Handlung, die Betheiligung der Massen von den Vorgängen des Drama bewirkte vor allen Dingen das Zurückweichen des lyrischen Elements, die sast gänzliche Beseitigung der Arien in der Form, wie sie von den Italienern geschaffen und durch Mozart gleichsam sanctionirt wurde. Schon Gluck arbeitete auf diese Umgestaltung hiu, er will uicht, daß der dramatische Theil der Oper zu Gunsten der Musik irgend welche Unterbrechung erleide, deshalb beschränkt er die Arien in einen sehr kleinen Raum, etwa in das Maß der Cavatine, und bestrebt sich, die Singstimme in einer solchen Fassung zu halten, daß ihre Melodie in genauer Korrespondenz mit den Worten steht, daß alle Figuren aus ihr entschwinden, die der Virtuosität des Concertsaales überlassen bleiben müssen. Darum machte man ihm deu Vorwurf der Unsangbarkeit, obgleich seine Melodien sich in einem der jedesmaligen Stimmlage angemessenen Umfange bewegen, und die Intervalle, welche sie berühren, dem Ohre leicht faßlich sind. Freilich bieten sie dem gewöhn¬ lichen Sänger Schwierigkeiten, weil sie zu ihrer richtigen Auffassung eine solide

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/428>, abgerufen am 27.07.2024.