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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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widmet. Ein solches Volk findet sich nur im Monde oder -- in der Hvfbühuc
eines neuen Karl Angust. Die Erneuerung dieses exclusiveu Kunstlebens dürfte
aber für das Gedeihen der Nation eben so wenig wünschenswert!) sein, als es
demokratisch wäre. Eine wirkliche Kunst muß das wirkliche Leben begreifen, er¬
wärmen und verklären; der transscendente Heiligenschein reist für die Erde keine
Frucht.

> Da die Ausführung keineswegs mit der Intention immer zusammenfällt, kann
durch diese Kritik des Princips das vollständige künstlerische Wesen Wagners nicht
erschöpft werden. ES kommt nicht allein darauf an, was mau zu leisten beab¬
sichtigt, sondern was man zu leisten die Kraft hat. Wenn schon in der poetischen
Seite seiner Thätigkeit wenigstens der Ernst und die Gewissenhaftigkeit anzuer-
kennen ist, so bietet das rein Musikalische seiner Leistungen, zu denen wir uus
jetzt wenden, noch Erfreulicheres. Wir müssen in dieser Beziehung Wagner uicht
allem für den strebsamsten, sondern auch für einen der begabtesten Conipo-
nisten anerkennen. Freilich ist sein Talent nicht primitiver Natur. In den
letzten Opern hat sich seine Muse zwar gekräftigt, nud wir begegnen von Zeit zu
Zeit musikalische" Gedanken, die alle Merkmale eines edlern Styls an sich tragen.
Die frühern Arbeiten deute" aber alle auf ein schweres Gebären des musikalischen
Gedankens, man sieht überall die Feilenstriche der Reflexion. Im grellen Gegensatze
dazu finden wir daneben auffallende Trivialitäten, sowol in längern Melodien, als
auch in kürzern Stellen, am Meisten zeichnen sich zu ihrem Nachtheile die Schlnßtakte
der Melodien aus. Und so bildet besonders die Oper Rienzi ein wunderliches Gemisch
von wenig übereinstimmenden Stücken, die nnr dadurch in eine gewisse Gleichförmig¬
keit gebracht werden, daß die harmonische Behandlungsweise die nämliche bleibt, daß
die instrumentalen Mittel dieselben sind. Auch der harmonische Theil der Musik
kaun nicht immer vor einem strengen Richterstuhle bestehen, er enthält nur zu oft
Härten, die dem sein gebildeten Ohre widerstreben, er leidet an einer übel an¬
gebrachten Schwülstigkeit, welche, wiewol sie gut gemeint und mit großem Nach¬
denken geschaffen ist, die Kraft der Melodie schwächt -- ein allgemeiner Fehler
der modernen Deutschen Componisten. Doch darf uicht geläugnet werden, daß
Wagner in dem "Tannhäuser" und "Lohengrin" anch darin bedeutend vor¬
geschritten ist. -- Mau wird wieder an Meyerbeer erinnert, wenn man die Art
und Weise zu iustrnmentiren vergleicht. Beide verlangen Orchester von der
stärksten Besetzung zur Execution ihrer Werke. Bei unsrer fortgeschrittenen
Technik ist es freilich nicht zu verlangen, daß man aus die bescheidene Weise der
alten Meister zurückgehe, aber die Zusammensetzung unsrer Orchester verträgt doch
kaum eine wesentlich andere Behandlung, als die auf der Basis von Mozart,
Haydn und Beethoven begründete, von Weber nud Mendelssohn ausgebildete
Jnstrumentation. Die so gepriesenen Fortschritte der neuen, besonders dnrch
Berlioz eingeführten Instrumentirung sind oft nnr illusorisch, deun die durch die


widmet. Ein solches Volk findet sich nur im Monde oder — in der Hvfbühuc
eines neuen Karl Angust. Die Erneuerung dieses exclusiveu Kunstlebens dürfte
aber für das Gedeihen der Nation eben so wenig wünschenswert!) sein, als es
demokratisch wäre. Eine wirkliche Kunst muß das wirkliche Leben begreifen, er¬
wärmen und verklären; der transscendente Heiligenschein reist für die Erde keine
Frucht.

> Da die Ausführung keineswegs mit der Intention immer zusammenfällt, kann
durch diese Kritik des Princips das vollständige künstlerische Wesen Wagners nicht
erschöpft werden. ES kommt nicht allein darauf an, was mau zu leisten beab¬
sichtigt, sondern was man zu leisten die Kraft hat. Wenn schon in der poetischen
Seite seiner Thätigkeit wenigstens der Ernst und die Gewissenhaftigkeit anzuer-
kennen ist, so bietet das rein Musikalische seiner Leistungen, zu denen wir uus
jetzt wenden, noch Erfreulicheres. Wir müssen in dieser Beziehung Wagner uicht
allem für den strebsamsten, sondern auch für einen der begabtesten Conipo-
nisten anerkennen. Freilich ist sein Talent nicht primitiver Natur. In den
letzten Opern hat sich seine Muse zwar gekräftigt, nud wir begegnen von Zeit zu
Zeit musikalische« Gedanken, die alle Merkmale eines edlern Styls an sich tragen.
Die frühern Arbeiten deute» aber alle auf ein schweres Gebären des musikalischen
Gedankens, man sieht überall die Feilenstriche der Reflexion. Im grellen Gegensatze
dazu finden wir daneben auffallende Trivialitäten, sowol in längern Melodien, als
auch in kürzern Stellen, am Meisten zeichnen sich zu ihrem Nachtheile die Schlnßtakte
der Melodien aus. Und so bildet besonders die Oper Rienzi ein wunderliches Gemisch
von wenig übereinstimmenden Stücken, die nnr dadurch in eine gewisse Gleichförmig¬
keit gebracht werden, daß die harmonische Behandlungsweise die nämliche bleibt, daß
die instrumentalen Mittel dieselben sind. Auch der harmonische Theil der Musik
kaun nicht immer vor einem strengen Richterstuhle bestehen, er enthält nur zu oft
Härten, die dem sein gebildeten Ohre widerstreben, er leidet an einer übel an¬
gebrachten Schwülstigkeit, welche, wiewol sie gut gemeint und mit großem Nach¬
denken geschaffen ist, die Kraft der Melodie schwächt — ein allgemeiner Fehler
der modernen Deutschen Componisten. Doch darf uicht geläugnet werden, daß
Wagner in dem „Tannhäuser" und „Lohengrin" anch darin bedeutend vor¬
geschritten ist. — Mau wird wieder an Meyerbeer erinnert, wenn man die Art
und Weise zu iustrnmentiren vergleicht. Beide verlangen Orchester von der
stärksten Besetzung zur Execution ihrer Werke. Bei unsrer fortgeschrittenen
Technik ist es freilich nicht zu verlangen, daß man aus die bescheidene Weise der
alten Meister zurückgehe, aber die Zusammensetzung unsrer Orchester verträgt doch
kaum eine wesentlich andere Behandlung, als die auf der Basis von Mozart,
Haydn und Beethoven begründete, von Weber nud Mendelssohn ausgebildete
Jnstrumentation. Die so gepriesenen Fortschritte der neuen, besonders dnrch
Berlioz eingeführten Instrumentirung sind oft nnr illusorisch, deun die durch die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/427>, abgerufen am 01.09.2024.