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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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dessen beabsichtigt auch die Musik nicht, uns unmittelbar fortzureißen, sondern uns
in einer ahnuugs- und 'geheimnißvollen Spannung zu erhalten. Die contrasti-
renden Ideen, die durch bestimmte melodische Motive ausgedrückt werden, sind,
allerdings auf eine sehr kunstvolle Art, mit einander combinirt, und darum treten
die Personen nicht in ein lebendiges Wechselverhältniß. Dieser Supranaturalismus
der Kunst ist um so merkwürdiger, da auch hier wieder der christliche, ätherische,
substanzlose Himmel mit seiner in der leitenden Graalmelodie ausgedrückten Rein¬
heit deu Sieg über die leidenschaftlich bewegte sinnliche Heidemvelt davonträgt,
ganz wie im Tannhäuser, trotz Wagner's leidenschaftlicher Abneigung gegen den
christlichen Spiritualismus. Es ist das einfach daraus zu erkläre", daß, wenn
man sich einmal in Symbole und Allegorien einläßt, der eigentliche Sinn derselben
bald in teres Getändel verloren geht. In der Musik muß zuletzt die Harmonie
die Dissonanz überwinden. Wenn das nun symbolisch dahin ausgedehnt wird,
daß auf der einen Seite die Harmonie, auf der andern die Dissonanz steht, so
ist allerdings der Ausgang unzweifelhaft, aber es ist ein sentimentaler und un¬
fruchtbarer Ausgang. Concrete Gestaltungen verlangen in der Musik, wie in alleu
übrige" Künsten, Dissonanz und Harmonie in nngetrennter Verbindung.

Ob Wagner aus dieser Richtung sich entwickeln wird, ist zweifelhaft. Leider
haben ihn seine literarischen Arbeiten zu sehr darin befestigt; seine Schrift:
"Die Wibelungen. Weltgeschichte ans der Sage", ist einer von jenen traurigen
Versuchen, die Mythe und die Geschichte durch einander zu mischen, und
nicht etwa durch philologisch-historische Kritik die eine durch die andere zu
erläutern, sondern nach beliebigen Einfällen damit zu operiren. Diese unkritische
Thätigkeit demoralisirt in der Kunst wie in der Wissenschaft, und sie ist um so
bedauerlicher, wo ein wirkliches Talent damit verknüpft ist. In einem noch un-
gedruckten Stück von Wagner, Siegfried'S Tod, in kurzen allitterirendeu Versen,
uach Art der nordischen Verse, spricht sich dies Talent eben so entschieden aus,
wie die Verirrung der Richtung. Eine feierliche, würdige und selbst poetische
Haltung, die aber auf Reminiscenzen, nicht allein aus dem Inhalt längst ver-
kluugener Mythen, sondern anch aus den altfränkischen Formen derselben, beruht,
kaun eine concrete und lebendige Gestaltung nicht ersetzen. Walkyren, Asen und
dergleichen send eben so wenig eines realen Lebens sähig, als Gespenster und
Heilige. Wagner weiß wahrscheinlich selber nicht, daß seine Manier, die architek¬
tonisch-symbolische Gruppirung an Stelle der plastische", lebendig bewegten zu
setze", bereits in der romantischen Schule versucht worden ist. In Fouquv und
Aehnlichen könnte er seine Vorbilder finden.

, Diese Idealität ist also eben so romantisch, als sein Traum von dem idealen
Volke, welches an die Stelle des wirklichen, durch bestimmte reale Interessen be¬
wegten treten soll, jenes heiligen Volkes, welches gleich den Lilien auf dem Felde
niemals fragt, wovon es sich sämigen soll, sondern sich ganz der edle" Kunst


dessen beabsichtigt auch die Musik nicht, uns unmittelbar fortzureißen, sondern uns
in einer ahnuugs- und 'geheimnißvollen Spannung zu erhalten. Die contrasti-
renden Ideen, die durch bestimmte melodische Motive ausgedrückt werden, sind,
allerdings auf eine sehr kunstvolle Art, mit einander combinirt, und darum treten
die Personen nicht in ein lebendiges Wechselverhältniß. Dieser Supranaturalismus
der Kunst ist um so merkwürdiger, da auch hier wieder der christliche, ätherische,
substanzlose Himmel mit seiner in der leitenden Graalmelodie ausgedrückten Rein¬
heit deu Sieg über die leidenschaftlich bewegte sinnliche Heidemvelt davonträgt,
ganz wie im Tannhäuser, trotz Wagner's leidenschaftlicher Abneigung gegen den
christlichen Spiritualismus. Es ist das einfach daraus zu erkläre», daß, wenn
man sich einmal in Symbole und Allegorien einläßt, der eigentliche Sinn derselben
bald in teres Getändel verloren geht. In der Musik muß zuletzt die Harmonie
die Dissonanz überwinden. Wenn das nun symbolisch dahin ausgedehnt wird,
daß auf der einen Seite die Harmonie, auf der andern die Dissonanz steht, so
ist allerdings der Ausgang unzweifelhaft, aber es ist ein sentimentaler und un¬
fruchtbarer Ausgang. Concrete Gestaltungen verlangen in der Musik, wie in alleu
übrige» Künsten, Dissonanz und Harmonie in nngetrennter Verbindung.

Ob Wagner aus dieser Richtung sich entwickeln wird, ist zweifelhaft. Leider
haben ihn seine literarischen Arbeiten zu sehr darin befestigt; seine Schrift:
„Die Wibelungen. Weltgeschichte ans der Sage", ist einer von jenen traurigen
Versuchen, die Mythe und die Geschichte durch einander zu mischen, und
nicht etwa durch philologisch-historische Kritik die eine durch die andere zu
erläutern, sondern nach beliebigen Einfällen damit zu operiren. Diese unkritische
Thätigkeit demoralisirt in der Kunst wie in der Wissenschaft, und sie ist um so
bedauerlicher, wo ein wirkliches Talent damit verknüpft ist. In einem noch un-
gedruckten Stück von Wagner, Siegfried'S Tod, in kurzen allitterirendeu Versen,
uach Art der nordischen Verse, spricht sich dies Talent eben so entschieden aus,
wie die Verirrung der Richtung. Eine feierliche, würdige und selbst poetische
Haltung, die aber auf Reminiscenzen, nicht allein aus dem Inhalt längst ver-
kluugener Mythen, sondern anch aus den altfränkischen Formen derselben, beruht,
kaun eine concrete und lebendige Gestaltung nicht ersetzen. Walkyren, Asen und
dergleichen send eben so wenig eines realen Lebens sähig, als Gespenster und
Heilige. Wagner weiß wahrscheinlich selber nicht, daß seine Manier, die architek¬
tonisch-symbolische Gruppirung an Stelle der plastische», lebendig bewegten zu
setze», bereits in der romantischen Schule versucht worden ist. In Fouquv und
Aehnlichen könnte er seine Vorbilder finden.

, Diese Idealität ist also eben so romantisch, als sein Traum von dem idealen
Volke, welches an die Stelle des wirklichen, durch bestimmte reale Interessen be¬
wegten treten soll, jenes heiligen Volkes, welches gleich den Lilien auf dem Felde
niemals fragt, wovon es sich sämigen soll, sondern sich ganz der edle» Kunst


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[0426] dessen beabsichtigt auch die Musik nicht, uns unmittelbar fortzureißen, sondern uns in einer ahnuugs- und 'geheimnißvollen Spannung zu erhalten. Die contrasti- renden Ideen, die durch bestimmte melodische Motive ausgedrückt werden, sind, allerdings auf eine sehr kunstvolle Art, mit einander combinirt, und darum treten die Personen nicht in ein lebendiges Wechselverhältniß. Dieser Supranaturalismus der Kunst ist um so merkwürdiger, da auch hier wieder der christliche, ätherische, substanzlose Himmel mit seiner in der leitenden Graalmelodie ausgedrückten Rein¬ heit deu Sieg über die leidenschaftlich bewegte sinnliche Heidemvelt davonträgt, ganz wie im Tannhäuser, trotz Wagner's leidenschaftlicher Abneigung gegen den christlichen Spiritualismus. Es ist das einfach daraus zu erkläre», daß, wenn man sich einmal in Symbole und Allegorien einläßt, der eigentliche Sinn derselben bald in teres Getändel verloren geht. In der Musik muß zuletzt die Harmonie die Dissonanz überwinden. Wenn das nun symbolisch dahin ausgedehnt wird, daß auf der einen Seite die Harmonie, auf der andern die Dissonanz steht, so ist allerdings der Ausgang unzweifelhaft, aber es ist ein sentimentaler und un¬ fruchtbarer Ausgang. Concrete Gestaltungen verlangen in der Musik, wie in alleu übrige» Künsten, Dissonanz und Harmonie in nngetrennter Verbindung. Ob Wagner aus dieser Richtung sich entwickeln wird, ist zweifelhaft. Leider haben ihn seine literarischen Arbeiten zu sehr darin befestigt; seine Schrift: „Die Wibelungen. Weltgeschichte ans der Sage", ist einer von jenen traurigen Versuchen, die Mythe und die Geschichte durch einander zu mischen, und nicht etwa durch philologisch-historische Kritik die eine durch die andere zu erläutern, sondern nach beliebigen Einfällen damit zu operiren. Diese unkritische Thätigkeit demoralisirt in der Kunst wie in der Wissenschaft, und sie ist um so bedauerlicher, wo ein wirkliches Talent damit verknüpft ist. In einem noch un- gedruckten Stück von Wagner, Siegfried'S Tod, in kurzen allitterirendeu Versen, uach Art der nordischen Verse, spricht sich dies Talent eben so entschieden aus, wie die Verirrung der Richtung. Eine feierliche, würdige und selbst poetische Haltung, die aber auf Reminiscenzen, nicht allein aus dem Inhalt längst ver- kluugener Mythen, sondern anch aus den altfränkischen Formen derselben, beruht, kaun eine concrete und lebendige Gestaltung nicht ersetzen. Walkyren, Asen und dergleichen send eben so wenig eines realen Lebens sähig, als Gespenster und Heilige. Wagner weiß wahrscheinlich selber nicht, daß seine Manier, die architek¬ tonisch-symbolische Gruppirung an Stelle der plastische», lebendig bewegten zu setze», bereits in der romantischen Schule versucht worden ist. In Fouquv und Aehnlichen könnte er seine Vorbilder finden. , Diese Idealität ist also eben so romantisch, als sein Traum von dem idealen Volke, welches an die Stelle des wirklichen, durch bestimmte reale Interessen be¬ wegten treten soll, jenes heiligen Volkes, welches gleich den Lilien auf dem Felde niemals fragt, wovon es sich sämigen soll, sondern sich ganz der edle» Kunst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/426>, abgerufen am 27.07.2024.