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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Andererseits muß man aber zugeben, daß sowol die glänzende Entfaltung der Massen,
als die Anwendung der musikalischen Ideen und Stimmungen auf die reale Welt
der Geschichte einen wirklichen Fortschritt enthalten. Wenn Meyerbeer durch
Schlittschuhballete und dergleichen seineu Stücken einen nicht in der Kunst lie¬
genden Reiz zu verleihen sucht, so ist das zwar höchst tadelnswert!), liegt aber so
wenig in dem Wesen seiner Kunstform, daß es vielmehr demselben widerspricht.
Für die Berechtigung derselben ist es ein hinreichendes Zeugniß, daß sich ihr fast
alle bedeutenden Komponisten zuwenden. Ich erinnere nur an Halvvy, dessen
"Jüdin" 1835 aufgeführt wurde, ein Jahr vor den Hugenotten. Wenn die
historische Oper zu ihrer würdigen Ausführung alle die Kräfte in Anspruch nimmt,
die sich nur in dem großen Knotenpunkte der Cultur vorfinden, so ist es aller¬
dings ein Uebelstand, den sie aber mit allen großem Leistungen der neuern Musik,
z. B. mit der Symphonie, theilt. Am Wenigsten dürfte man den Einwand gelten
lassen, der neuerdings dagegen erhoben ist, daß dadurch die Nationalität der
Musik untergraben wird. Je vollständiger das geschieht, desto größer werden
vielmehr ihre Fortschritte sein.

Auch Wagner hat trotz des Deutschen Charakters, den namentlich seine spä¬
tern Werke an sich tragen, sich in seiner Bildung dem Einfluß der modernen
Weltstadt uicht entzogen^). Die erste Oper, durch welche er sich bekannt machte,
und welche ihm die Kapellmcisterstelle am Dresdner Theater eintrug (1842):
Rienzi, galt damals nicht mit Unrecht als ein Pendant zu den Meyerbeer'schen
Versuchen. Der Text, den Wagner selber nach Bulwer's Roman bearbeitet hat,
geht eben so in die Breite und detaillirt die Charaktere und Situationen mit der¬
selben Genauigkeit wie Scribe. Allerdings ist er solider und gründlicher gear¬
beitet, aber eben dadurch widerstrebt er mehr der musikalischen Durchführung, als
jene nachlässigem und frivolem Stücke. Auch in der Sprache, die meist in
Jamben gehalten ist, herrscht eine gewisse Schwerfälligkeit, die ebeu so wenig für
die Oper paßt, als der große Raum, der der Politik verstattet -ist. Im Grunde
kommt dies Sujet ans jene bekannte Fabel, die immer von Neuem wieder hervor¬
gesucht wird, zurück, daß die Liebe zwei Mensche", die feindlichen Parteien ange¬
hören, vereinigt und sie dadurch in wunderbare Conflicte bringt. Doch hat
Wagner's männlicher Sinn dieses Liebesverhältnis in den Hintergrund gedrängt,
und dafür die kräftige Gestalt des Römischen Tribuns hervortreten lassen. Die



Wagner wurde geboren zu Leipzig den -10. Mai -I8-I3, Von seiner frühern musika-
lischen Thätigkeit, ehe er aus Paris nach Dresden zurückkehrte, sind zu erwähnen: 1833 den
10, Januar Aufführung einer Sinfonie; -183" im März in Magdeburg erste Aufführung seiner
Oper "die Novize vou Palermo"; -I8/U in Parks Aufführung einer Cvncertouvertnrc, welche
Werke alle, wie viele vou geringerer Bedeutung, dein großem Publicum unbekannt geblieben
sind. Außer deu in Dresden geschriebenen Opern schrieb er zu dem dort im Jahre -1843 ab¬
gehaltenen GcsangSfcste eine Cantate für Männerchor: "das Abendmahl der Apostel", welche
im Stich erschienen ist.

Andererseits muß man aber zugeben, daß sowol die glänzende Entfaltung der Massen,
als die Anwendung der musikalischen Ideen und Stimmungen auf die reale Welt
der Geschichte einen wirklichen Fortschritt enthalten. Wenn Meyerbeer durch
Schlittschuhballete und dergleichen seineu Stücken einen nicht in der Kunst lie¬
genden Reiz zu verleihen sucht, so ist das zwar höchst tadelnswert!), liegt aber so
wenig in dem Wesen seiner Kunstform, daß es vielmehr demselben widerspricht.
Für die Berechtigung derselben ist es ein hinreichendes Zeugniß, daß sich ihr fast
alle bedeutenden Komponisten zuwenden. Ich erinnere nur an Halvvy, dessen
„Jüdin" 1835 aufgeführt wurde, ein Jahr vor den Hugenotten. Wenn die
historische Oper zu ihrer würdigen Ausführung alle die Kräfte in Anspruch nimmt,
die sich nur in dem großen Knotenpunkte der Cultur vorfinden, so ist es aller¬
dings ein Uebelstand, den sie aber mit allen großem Leistungen der neuern Musik,
z. B. mit der Symphonie, theilt. Am Wenigsten dürfte man den Einwand gelten
lassen, der neuerdings dagegen erhoben ist, daß dadurch die Nationalität der
Musik untergraben wird. Je vollständiger das geschieht, desto größer werden
vielmehr ihre Fortschritte sein.

Auch Wagner hat trotz des Deutschen Charakters, den namentlich seine spä¬
tern Werke an sich tragen, sich in seiner Bildung dem Einfluß der modernen
Weltstadt uicht entzogen^). Die erste Oper, durch welche er sich bekannt machte,
und welche ihm die Kapellmcisterstelle am Dresdner Theater eintrug (1842):
Rienzi, galt damals nicht mit Unrecht als ein Pendant zu den Meyerbeer'schen
Versuchen. Der Text, den Wagner selber nach Bulwer's Roman bearbeitet hat,
geht eben so in die Breite und detaillirt die Charaktere und Situationen mit der¬
selben Genauigkeit wie Scribe. Allerdings ist er solider und gründlicher gear¬
beitet, aber eben dadurch widerstrebt er mehr der musikalischen Durchführung, als
jene nachlässigem und frivolem Stücke. Auch in der Sprache, die meist in
Jamben gehalten ist, herrscht eine gewisse Schwerfälligkeit, die ebeu so wenig für
die Oper paßt, als der große Raum, der der Politik verstattet -ist. Im Grunde
kommt dies Sujet ans jene bekannte Fabel, die immer von Neuem wieder hervor¬
gesucht wird, zurück, daß die Liebe zwei Mensche», die feindlichen Parteien ange¬
hören, vereinigt und sie dadurch in wunderbare Conflicte bringt. Doch hat
Wagner's männlicher Sinn dieses Liebesverhältnis in den Hintergrund gedrängt,
und dafür die kräftige Gestalt des Römischen Tribuns hervortreten lassen. Die



Wagner wurde geboren zu Leipzig den -10. Mai -I8-I3, Von seiner frühern musika-
lischen Thätigkeit, ehe er aus Paris nach Dresden zurückkehrte, sind zu erwähnen: 1833 den
10, Januar Aufführung einer Sinfonie; -183« im März in Magdeburg erste Aufführung seiner
Oper „die Novize vou Palermo"; -I8/U in Parks Aufführung einer Cvncertouvertnrc, welche
Werke alle, wie viele vou geringerer Bedeutung, dein großem Publicum unbekannt geblieben
sind. Außer deu in Dresden geschriebenen Opern schrieb er zu dem dort im Jahre -1843 ab¬
gehaltenen GcsangSfcste eine Cantate für Männerchor: „das Abendmahl der Apostel", welche
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/419>, abgerufen am 27.07.2024.