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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zusammenfallen. Theils der äußerliche Umstand, daß der Komponist in der Regel
nicht jenes Talent und jene specifische Bildung besitzt, die zu einer dramatischen
Conception nothwendig sind, theils aber auch der innerliche Grund, daß der Kom¬
ponist sich in der Regel durch einen ihm von.außen her überlieferten Stoff mehr
angeregt fühlt, als durch seiue eigene Erfindung, haben diese Vereinigung bis jetzt
gehindert; allein das Hinderniß ist kein unüberwindliches, namentlich wenn man
die elenden Textbücher der meisten bisherigen Opern in Rechnung bringt; Wag¬
ner hat offenbar ein größeres poetisches Talent, als der Dichter der Jessonda
oder des Templers. In jedem Fall aber wird eine gegenseitige Einwirkung der
beiden Künstler nothwendig sein, wenn ein Kunstwerk zu Staude kommen soll.

Der Weg, den Scribe und Meyerbeer offenbar mit gegenseitigem Einver-
ständniß und gegenseitiger Einwirkung zur Reform der Oper eingeschlagen haben,
ist dem Wege Gluck's geradezu entgegengesetzt. Gluck's Richtung ist der entschie¬
denste Klassicismus: die Herabdrückung alles Individuellen und die Auflösung
der Mannigfaltigkeit der Handlung in eine einfache, streng gehaltene Nothwen¬
digkeit. Scribe und Meyerbeer dagegen gehen wesentlich mit der ueufranzöstschen
Romantik, mit Victor Hugo u. f. w. Hand in Hand. Diese Romantik, die sich
in Robert dein Teufel zu einem widerlichen Gemisch aus allen möglichen Ingre¬
dienzen gestaltet hat, welche nur irgend den lüsternen Geschmack eines überreizten
und blasirten Publicums anregen, hat sich in deu Hugenotten und dem Propheten
wenigstens in der Intention zu einer wirklichen Tendenz abgeklärt. Diese Ten¬
denz beruht darin, die Individualisirung der Situationen und der Charaktere aus
die Spitze zu treiben. Die Breite, mit welcher in den Hugenotten die beiden
kämpfenden Ideen des glanbenszornigcn Protestantismus und der verweltlichten
frivolen Kirche, so wie zwischen ihnen die idyllische Welt des romantischen Liebes-
hoses ausgeführt sind; die fast novellistische Detaillirung der Intrigue, der psy¬
chologische Pragmatismus, nähern diese Oper dem modernen historischen Drama,
welches auf Shakespeare's Vorbild gegründet ist. Wir sprechen hier immer nur
von der Intention; die Ausführung bleibt jn vielen Stücken dahinter zurück. --
Zwar kann man nun mit Recht gegen diese Form einwenden, daß es die Har¬
monie stört, wenn einerseits die psychologischen Spitzfindigkeiten und die breit
ausgeführte Intrigue den Anschein hervorbringen, als wäre es auf eine Nachah¬
mung des Wirklichen abgesehen, während doch die Musik mit ihrer vorzugsweise
symbolischen Natur diesen Anschein Lügen straft; daß ferner jene in der frühern
Oper nnr beiläufig abgemachten Zwischenscenen, in welchen die Stimmung und
der Affect nicht dargestellt, sondern vorbereitet werden, in ihrer weitern Ausfüh¬
rung der Musik widerstreben und zu höchst nnkünstlerischen Effecten veranlassen,
wie das Meyerbeer mehrfach begegnet ist, abgesehen davon, daß ein übertriebener
Pragmatismus leicht zu jenen Nebengedanken führt, die dem Ernst und der
Einheit der Musik Abbruch thun, wie das namentlich im Propheten der Fall ist.


zusammenfallen. Theils der äußerliche Umstand, daß der Komponist in der Regel
nicht jenes Talent und jene specifische Bildung besitzt, die zu einer dramatischen
Conception nothwendig sind, theils aber auch der innerliche Grund, daß der Kom¬
ponist sich in der Regel durch einen ihm von.außen her überlieferten Stoff mehr
angeregt fühlt, als durch seiue eigene Erfindung, haben diese Vereinigung bis jetzt
gehindert; allein das Hinderniß ist kein unüberwindliches, namentlich wenn man
die elenden Textbücher der meisten bisherigen Opern in Rechnung bringt; Wag¬
ner hat offenbar ein größeres poetisches Talent, als der Dichter der Jessonda
oder des Templers. In jedem Fall aber wird eine gegenseitige Einwirkung der
beiden Künstler nothwendig sein, wenn ein Kunstwerk zu Staude kommen soll.

Der Weg, den Scribe und Meyerbeer offenbar mit gegenseitigem Einver-
ständniß und gegenseitiger Einwirkung zur Reform der Oper eingeschlagen haben,
ist dem Wege Gluck's geradezu entgegengesetzt. Gluck's Richtung ist der entschie¬
denste Klassicismus: die Herabdrückung alles Individuellen und die Auflösung
der Mannigfaltigkeit der Handlung in eine einfache, streng gehaltene Nothwen¬
digkeit. Scribe und Meyerbeer dagegen gehen wesentlich mit der ueufranzöstschen
Romantik, mit Victor Hugo u. f. w. Hand in Hand. Diese Romantik, die sich
in Robert dein Teufel zu einem widerlichen Gemisch aus allen möglichen Ingre¬
dienzen gestaltet hat, welche nur irgend den lüsternen Geschmack eines überreizten
und blasirten Publicums anregen, hat sich in deu Hugenotten und dem Propheten
wenigstens in der Intention zu einer wirklichen Tendenz abgeklärt. Diese Ten¬
denz beruht darin, die Individualisirung der Situationen und der Charaktere aus
die Spitze zu treiben. Die Breite, mit welcher in den Hugenotten die beiden
kämpfenden Ideen des glanbenszornigcn Protestantismus und der verweltlichten
frivolen Kirche, so wie zwischen ihnen die idyllische Welt des romantischen Liebes-
hoses ausgeführt sind; die fast novellistische Detaillirung der Intrigue, der psy¬
chologische Pragmatismus, nähern diese Oper dem modernen historischen Drama,
welches auf Shakespeare's Vorbild gegründet ist. Wir sprechen hier immer nur
von der Intention; die Ausführung bleibt jn vielen Stücken dahinter zurück. —
Zwar kann man nun mit Recht gegen diese Form einwenden, daß es die Har¬
monie stört, wenn einerseits die psychologischen Spitzfindigkeiten und die breit
ausgeführte Intrigue den Anschein hervorbringen, als wäre es auf eine Nachah¬
mung des Wirklichen abgesehen, während doch die Musik mit ihrer vorzugsweise
symbolischen Natur diesen Anschein Lügen straft; daß ferner jene in der frühern
Oper nnr beiläufig abgemachten Zwischenscenen, in welchen die Stimmung und
der Affect nicht dargestellt, sondern vorbereitet werden, in ihrer weitern Ausfüh¬
rung der Musik widerstreben und zu höchst nnkünstlerischen Effecten veranlassen,
wie das Meyerbeer mehrfach begegnet ist, abgesehen davon, daß ein übertriebener
Pragmatismus leicht zu jenen Nebengedanken führt, die dem Ernst und der
Einheit der Musik Abbruch thun, wie das namentlich im Propheten der Fall ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/418>, abgerufen am 27.07.2024.