Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

men, auch wenn dieser Ausdruck die Reinheit des Geschmacks verletzen sollte; er
würde die gehässige Polemik gegen seine "jüdischen" Kollegen, Meyerbeer u. s. w.
unterlassen haben, die in dem bekannten Aufsatz der "Neuen Zeitschrift für Musik"
sich zu einem vollständigen Fanatismus steigert, und die mit der Gewalt einer
Monomanie beständig bei ihm wiederkehrt; er würde auch in den Bestrebungen, die
er tadeln muß, nicht blos die gemeine Berechnung, sondern eine selbstständige
künstlerische Tendenz anerkennen; er würde endlich jene Gefallsucht selbst als ein
nothwendiges Moment aller künstlerischen Productivität begreisen, denn ohne jenen
edlen Drang des Ruhmes, die Menge zu entzücken und zu zwingen, wäre sie
vollständig überflüssig, und nur der Künstler zwingt die Menge, der sich ihren
wohlverstandenen Bedürfnissen fügt; er würde dadurch unter Anderm auch den
Verdacht von sich abgewendet haben, daß er selber jene Mittel benutzt, die er bei
Andern tadelt, ohne die Entschuldigung des guten Glaubens, die Jenen zu
Gute kommt.

Nachdem wir das Uebermaß seiner Ansprüche zurückgewiesen haben, gehen
wir ans die Berechtigung derselben über. Daß eine Reform der Oper möglich
und nothwendig sei, ergiebt sich bei der einfachsten Betrachtung. Sie ist möglich,
denn so gut der Componist den vollständigen Unsinn oder die vollständige Ge¬
dankenlosigkeit der bisherigen Operntexte benutzen konnte, so kann er einen ver¬
ständigen und dramatisch erfundenen Stoff verwerthen, sobald derselbe sich nur
in den Grenzen hält, wie ungefähr eine Skizze im Verhältniß zum ausgeführten
Gemälde. Diese Skizze kann durch ihre Kühnheit und Größe ein würdiger Ge¬
genstand für ein echt dramatisches Talent werdeu, das sich der Schranken dieser
besondern Kunstform bewußt ist; sie wird aber eben so wenig eine wirklich dra¬
matische Thätigkeit sein, wie jene Skizze ein malerisches Kunstwerk genannt wer¬
den kann. -- Die Reform ist aber anch nothwendig, denn die Oper hat, abgesehen
von ihrer musikalischen Bedeutung, auch eine poetische Berechtigung, weil sie über
ein Feld gebietet, das dem recitirenden Drama versagt ist, nämlich die freie Ent¬
faltung der reinen Empfindung, die harmonische Bewegung und Belebung der
Massen zu dramatischer Thätigkeit und die Darstellung der Situationen als einer
Totalität; weil sie ferner den großen Contrasten der Ideen, die sich im Drama
an die Individualität knüpfen müssen, einen sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck
verstattet. Das Letztere, zu dessen Verständniß ich nur an die Intention in den
Hugenotten, wie im Tannhäuser nud Lohengrin erinnere, scheint der Brennpunkt
der mustkalisch-dramatischen Kunstentwickelung zu werden. Es ist serner ausge¬
macht, daß auch der musikalische Theil der Oper sich nur dann zu einem einheit¬
lichen, im reinen und edlen Style gehaltenen Kunstgebildc gestalten kann, wenn
die poetische Grundlage desselben eine einheitliche und dramatische ist. Es liegt
sehr nahe, eine Harmonie der beiden in der Oper angewandten Kunstformen am
Besten in dem Fall zu erwarten, wenn Dichter nud Componist in einer Person


men, auch wenn dieser Ausdruck die Reinheit des Geschmacks verletzen sollte; er
würde die gehässige Polemik gegen seine „jüdischen" Kollegen, Meyerbeer u. s. w.
unterlassen haben, die in dem bekannten Aufsatz der „Neuen Zeitschrift für Musik"
sich zu einem vollständigen Fanatismus steigert, und die mit der Gewalt einer
Monomanie beständig bei ihm wiederkehrt; er würde auch in den Bestrebungen, die
er tadeln muß, nicht blos die gemeine Berechnung, sondern eine selbstständige
künstlerische Tendenz anerkennen; er würde endlich jene Gefallsucht selbst als ein
nothwendiges Moment aller künstlerischen Productivität begreisen, denn ohne jenen
edlen Drang des Ruhmes, die Menge zu entzücken und zu zwingen, wäre sie
vollständig überflüssig, und nur der Künstler zwingt die Menge, der sich ihren
wohlverstandenen Bedürfnissen fügt; er würde dadurch unter Anderm auch den
Verdacht von sich abgewendet haben, daß er selber jene Mittel benutzt, die er bei
Andern tadelt, ohne die Entschuldigung des guten Glaubens, die Jenen zu
Gute kommt.

Nachdem wir das Uebermaß seiner Ansprüche zurückgewiesen haben, gehen
wir ans die Berechtigung derselben über. Daß eine Reform der Oper möglich
und nothwendig sei, ergiebt sich bei der einfachsten Betrachtung. Sie ist möglich,
denn so gut der Componist den vollständigen Unsinn oder die vollständige Ge¬
dankenlosigkeit der bisherigen Operntexte benutzen konnte, so kann er einen ver¬
ständigen und dramatisch erfundenen Stoff verwerthen, sobald derselbe sich nur
in den Grenzen hält, wie ungefähr eine Skizze im Verhältniß zum ausgeführten
Gemälde. Diese Skizze kann durch ihre Kühnheit und Größe ein würdiger Ge¬
genstand für ein echt dramatisches Talent werdeu, das sich der Schranken dieser
besondern Kunstform bewußt ist; sie wird aber eben so wenig eine wirklich dra¬
matische Thätigkeit sein, wie jene Skizze ein malerisches Kunstwerk genannt wer¬
den kann. — Die Reform ist aber anch nothwendig, denn die Oper hat, abgesehen
von ihrer musikalischen Bedeutung, auch eine poetische Berechtigung, weil sie über
ein Feld gebietet, das dem recitirenden Drama versagt ist, nämlich die freie Ent¬
faltung der reinen Empfindung, die harmonische Bewegung und Belebung der
Massen zu dramatischer Thätigkeit und die Darstellung der Situationen als einer
Totalität; weil sie ferner den großen Contrasten der Ideen, die sich im Drama
an die Individualität knüpfen müssen, einen sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck
verstattet. Das Letztere, zu dessen Verständniß ich nur an die Intention in den
Hugenotten, wie im Tannhäuser nud Lohengrin erinnere, scheint der Brennpunkt
der mustkalisch-dramatischen Kunstentwickelung zu werden. Es ist serner ausge¬
macht, daß auch der musikalische Theil der Oper sich nur dann zu einem einheit¬
lichen, im reinen und edlen Style gehaltenen Kunstgebildc gestalten kann, wenn
die poetische Grundlage desselben eine einheitliche und dramatische ist. Es liegt
sehr nahe, eine Harmonie der beiden in der Oper angewandten Kunstformen am
Besten in dem Fall zu erwarten, wenn Dichter nud Componist in einer Person


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91610"/>
          <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> men, auch wenn dieser Ausdruck die Reinheit des Geschmacks verletzen sollte; er<lb/>
würde die gehässige Polemik gegen seine &#x201E;jüdischen" Kollegen, Meyerbeer u. s. w.<lb/>
unterlassen haben, die in dem bekannten Aufsatz der &#x201E;Neuen Zeitschrift für Musik"<lb/>
sich zu einem vollständigen Fanatismus steigert, und die mit der Gewalt einer<lb/>
Monomanie beständig bei ihm wiederkehrt; er würde auch in den Bestrebungen, die<lb/>
er tadeln muß, nicht blos die gemeine Berechnung, sondern eine selbstständige<lb/>
künstlerische Tendenz anerkennen; er würde endlich jene Gefallsucht selbst als ein<lb/>
nothwendiges Moment aller künstlerischen Productivität begreisen, denn ohne jenen<lb/>
edlen Drang des Ruhmes, die Menge zu entzücken und zu zwingen, wäre sie<lb/>
vollständig überflüssig, und nur der Künstler zwingt die Menge, der sich ihren<lb/>
wohlverstandenen Bedürfnissen fügt; er würde dadurch unter Anderm auch den<lb/>
Verdacht von sich abgewendet haben, daß er selber jene Mittel benutzt, die er bei<lb/>
Andern tadelt, ohne die Entschuldigung des guten Glaubens, die Jenen zu<lb/>
Gute kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1136" next="#ID_1137"> Nachdem wir das Uebermaß seiner Ansprüche zurückgewiesen haben, gehen<lb/>
wir ans die Berechtigung derselben über. Daß eine Reform der Oper möglich<lb/>
und nothwendig sei, ergiebt sich bei der einfachsten Betrachtung. Sie ist möglich,<lb/>
denn so gut der Componist den vollständigen Unsinn oder die vollständige Ge¬<lb/>
dankenlosigkeit der bisherigen Operntexte benutzen konnte, so kann er einen ver¬<lb/>
ständigen und dramatisch erfundenen Stoff verwerthen, sobald derselbe sich nur<lb/>
in den Grenzen hält, wie ungefähr eine Skizze im Verhältniß zum ausgeführten<lb/>
Gemälde. Diese Skizze kann durch ihre Kühnheit und Größe ein würdiger Ge¬<lb/>
genstand für ein echt dramatisches Talent werdeu, das sich der Schranken dieser<lb/>
besondern Kunstform bewußt ist; sie wird aber eben so wenig eine wirklich dra¬<lb/>
matische Thätigkeit sein, wie jene Skizze ein malerisches Kunstwerk genannt wer¬<lb/>
den kann. &#x2014; Die Reform ist aber anch nothwendig, denn die Oper hat, abgesehen<lb/>
von ihrer musikalischen Bedeutung, auch eine poetische Berechtigung, weil sie über<lb/>
ein Feld gebietet, das dem recitirenden Drama versagt ist, nämlich die freie Ent¬<lb/>
faltung der reinen Empfindung, die harmonische Bewegung und Belebung der<lb/>
Massen zu dramatischer Thätigkeit und die Darstellung der Situationen als einer<lb/>
Totalität; weil sie ferner den großen Contrasten der Ideen, die sich im Drama<lb/>
an die Individualität knüpfen müssen, einen sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck<lb/>
verstattet. Das Letztere, zu dessen Verständniß ich nur an die Intention in den<lb/>
Hugenotten, wie im Tannhäuser nud Lohengrin erinnere, scheint der Brennpunkt<lb/>
der mustkalisch-dramatischen Kunstentwickelung zu werden. Es ist serner ausge¬<lb/>
macht, daß auch der musikalische Theil der Oper sich nur dann zu einem einheit¬<lb/>
lichen, im reinen und edlen Style gehaltenen Kunstgebildc gestalten kann, wenn<lb/>
die poetische Grundlage desselben eine einheitliche und dramatische ist. Es liegt<lb/>
sehr nahe, eine Harmonie der beiden in der Oper angewandten Kunstformen am<lb/>
Besten in dem Fall zu erwarten, wenn Dichter nud Componist in einer Person</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0417] men, auch wenn dieser Ausdruck die Reinheit des Geschmacks verletzen sollte; er würde die gehässige Polemik gegen seine „jüdischen" Kollegen, Meyerbeer u. s. w. unterlassen haben, die in dem bekannten Aufsatz der „Neuen Zeitschrift für Musik" sich zu einem vollständigen Fanatismus steigert, und die mit der Gewalt einer Monomanie beständig bei ihm wiederkehrt; er würde auch in den Bestrebungen, die er tadeln muß, nicht blos die gemeine Berechnung, sondern eine selbstständige künstlerische Tendenz anerkennen; er würde endlich jene Gefallsucht selbst als ein nothwendiges Moment aller künstlerischen Productivität begreisen, denn ohne jenen edlen Drang des Ruhmes, die Menge zu entzücken und zu zwingen, wäre sie vollständig überflüssig, und nur der Künstler zwingt die Menge, der sich ihren wohlverstandenen Bedürfnissen fügt; er würde dadurch unter Anderm auch den Verdacht von sich abgewendet haben, daß er selber jene Mittel benutzt, die er bei Andern tadelt, ohne die Entschuldigung des guten Glaubens, die Jenen zu Gute kommt. Nachdem wir das Uebermaß seiner Ansprüche zurückgewiesen haben, gehen wir ans die Berechtigung derselben über. Daß eine Reform der Oper möglich und nothwendig sei, ergiebt sich bei der einfachsten Betrachtung. Sie ist möglich, denn so gut der Componist den vollständigen Unsinn oder die vollständige Ge¬ dankenlosigkeit der bisherigen Operntexte benutzen konnte, so kann er einen ver¬ ständigen und dramatisch erfundenen Stoff verwerthen, sobald derselbe sich nur in den Grenzen hält, wie ungefähr eine Skizze im Verhältniß zum ausgeführten Gemälde. Diese Skizze kann durch ihre Kühnheit und Größe ein würdiger Ge¬ genstand für ein echt dramatisches Talent werdeu, das sich der Schranken dieser besondern Kunstform bewußt ist; sie wird aber eben so wenig eine wirklich dra¬ matische Thätigkeit sein, wie jene Skizze ein malerisches Kunstwerk genannt wer¬ den kann. — Die Reform ist aber anch nothwendig, denn die Oper hat, abgesehen von ihrer musikalischen Bedeutung, auch eine poetische Berechtigung, weil sie über ein Feld gebietet, das dem recitirenden Drama versagt ist, nämlich die freie Ent¬ faltung der reinen Empfindung, die harmonische Bewegung und Belebung der Massen zu dramatischer Thätigkeit und die Darstellung der Situationen als einer Totalität; weil sie ferner den großen Contrasten der Ideen, die sich im Drama an die Individualität knüpfen müssen, einen sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck verstattet. Das Letztere, zu dessen Verständniß ich nur an die Intention in den Hugenotten, wie im Tannhäuser nud Lohengrin erinnere, scheint der Brennpunkt der mustkalisch-dramatischen Kunstentwickelung zu werden. Es ist serner ausge¬ macht, daß auch der musikalische Theil der Oper sich nur dann zu einem einheit¬ lichen, im reinen und edlen Style gehaltenen Kunstgebildc gestalten kann, wenn die poetische Grundlage desselben eine einheitliche und dramatische ist. Es liegt sehr nahe, eine Harmonie der beiden in der Oper angewandten Kunstformen am Besten in dem Fall zu erwarten, wenn Dichter nud Componist in einer Person

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/417
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/417>, abgerufen am 27.07.2024.