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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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also Wahrscheinlichkeit, daß wenn der Graf von Chambord den Thron seiner
Väter besteigen sollte, bald wieder eine neue Revolution ausbrechen würde. Die
Orleans hätten viele Anhänger im Lande, wenn der Graf von Paris schon er¬
wachsen wäre und eine tüchtige Persönlichkeit zeigte. Da Derselbe aber noch ein
Kind ist, möchte man gern vorläufig dem General Cavaignac die Zügel der Re¬
gierung anvertrauen, um nnter seiner zwar energischen, aber nicht reactionairen
Leitung die Ereignisse der Zukunft gesicherter abwarten zu können. Die Zahl
der Anhänger des jetzigen Präsidenten, die bei seiner Wahl im Elsaß sehr grob
war, ist gegenwärtig sehr geschmolzen.




Etwas von den Aerzten, ans Polen.

Der vor Kurzem verstorbene Leibarzt des Fürsten Paskicwicz, Schäfer, hatte
in Jena Medicin studirt. Da er in Deutschland wahrscheinlich keine glänzende
Aussicht hatte, ging er nach Warschau und führte Anfangs ein ziemlich ärmliches
Leben. Aber eines Tages erklärte man ihm, daß er das allergrößte Glück machen
könne, wenn er sich eine auffallende Equipage, dazu einen Bedienten und einen
Kutscher in den glänzendsten und ungewöhnlichsten Livreen anschaffe, alle seine
Krankenbesuche in "vilen Pomp mache, oder, wenn er keine Patienten habe, sich
wenigstens mit seinem Pomp täglich von früh bis Abend in den Straßen sehen
lasse. Da er ganz ohne Mittel' war, so lieh man ihm auf Wechsel mit Jahres¬
frist 600 Thaler. In kurzer Zeit besaß der arme Doctor die glänzendste Equipage.
Ein Maun wie er, der das ganze Leben einem Witze gleich achtete, konnte seinen
Witz nicht schlecht spielen. Wie auffallend daher anch sein Auszug war, so war
er doch nicht lächerlich. Von früh bis zum Abend ließ er sich in den Straßen
umherfahren, vor jedem vornehmen Hause halte" und durch den Bedienten seine
Karte hineinschicken. Natürlich ermangelten die Herrschaften, besonders die Damen,
wenn sie an Herzdrücken oder Schnupfen litten, nicht an's Fenster zu treten und
uach dem angemeldeten neuen Arzte zu blicken, und da der Auszug des Herrn
Doctors sie entzückte, so waren sie sogleich von hoher Achtung erfüllt. Aus solche
Weise hatte sich Schäfer in Zeit von einem Monate bei der großen Welt bekannt
gemacht, und unverweilt bildete sich ihm die schönste Praxis. Zu der Zeit, da
Schäfer diese nothwendige Komödie spielte, litt der Fürst Paskiewicz an einem
hartnäckigen Augenübel. Er war bereits vou seinen drei Leibärzten gräulich mit
Medicamenten, besonders Angenwassern, gequält. Seine Freundin, die Fürstin I.,
hatte ihm bereits mehrere Male den von Ruhm bedeckten neuen Doctor erwähnt.
Schäfer wurde gerufen, hatte Glück und, erhielt die Bestallung zum alleinigen
fürstlichen Leibarzte mit 6000 Gulden Jahresgehalt und einer hübschen Summe


also Wahrscheinlichkeit, daß wenn der Graf von Chambord den Thron seiner
Väter besteigen sollte, bald wieder eine neue Revolution ausbrechen würde. Die
Orleans hätten viele Anhänger im Lande, wenn der Graf von Paris schon er¬
wachsen wäre und eine tüchtige Persönlichkeit zeigte. Da Derselbe aber noch ein
Kind ist, möchte man gern vorläufig dem General Cavaignac die Zügel der Re¬
gierung anvertrauen, um nnter seiner zwar energischen, aber nicht reactionairen
Leitung die Ereignisse der Zukunft gesicherter abwarten zu können. Die Zahl
der Anhänger des jetzigen Präsidenten, die bei seiner Wahl im Elsaß sehr grob
war, ist gegenwärtig sehr geschmolzen.




Etwas von den Aerzten, ans Polen.

Der vor Kurzem verstorbene Leibarzt des Fürsten Paskicwicz, Schäfer, hatte
in Jena Medicin studirt. Da er in Deutschland wahrscheinlich keine glänzende
Aussicht hatte, ging er nach Warschau und führte Anfangs ein ziemlich ärmliches
Leben. Aber eines Tages erklärte man ihm, daß er das allergrößte Glück machen
könne, wenn er sich eine auffallende Equipage, dazu einen Bedienten und einen
Kutscher in den glänzendsten und ungewöhnlichsten Livreen anschaffe, alle seine
Krankenbesuche in »vilen Pomp mache, oder, wenn er keine Patienten habe, sich
wenigstens mit seinem Pomp täglich von früh bis Abend in den Straßen sehen
lasse. Da er ganz ohne Mittel' war, so lieh man ihm auf Wechsel mit Jahres¬
frist 600 Thaler. In kurzer Zeit besaß der arme Doctor die glänzendste Equipage.
Ein Maun wie er, der das ganze Leben einem Witze gleich achtete, konnte seinen
Witz nicht schlecht spielen. Wie auffallend daher anch sein Auszug war, so war
er doch nicht lächerlich. Von früh bis zum Abend ließ er sich in den Straßen
umherfahren, vor jedem vornehmen Hause halte» und durch den Bedienten seine
Karte hineinschicken. Natürlich ermangelten die Herrschaften, besonders die Damen,
wenn sie an Herzdrücken oder Schnupfen litten, nicht an's Fenster zu treten und
uach dem angemeldeten neuen Arzte zu blicken, und da der Auszug des Herrn
Doctors sie entzückte, so waren sie sogleich von hoher Achtung erfüllt. Aus solche
Weise hatte sich Schäfer in Zeit von einem Monate bei der großen Welt bekannt
gemacht, und unverweilt bildete sich ihm die schönste Praxis. Zu der Zeit, da
Schäfer diese nothwendige Komödie spielte, litt der Fürst Paskiewicz an einem
hartnäckigen Augenübel. Er war bereits vou seinen drei Leibärzten gräulich mit
Medicamenten, besonders Angenwassern, gequält. Seine Freundin, die Fürstin I.,
hatte ihm bereits mehrere Male den von Ruhm bedeckten neuen Doctor erwähnt.
Schäfer wurde gerufen, hatte Glück und, erhielt die Bestallung zum alleinigen
fürstlichen Leibarzte mit 6000 Gulden Jahresgehalt und einer hübschen Summe


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[0356] also Wahrscheinlichkeit, daß wenn der Graf von Chambord den Thron seiner Väter besteigen sollte, bald wieder eine neue Revolution ausbrechen würde. Die Orleans hätten viele Anhänger im Lande, wenn der Graf von Paris schon er¬ wachsen wäre und eine tüchtige Persönlichkeit zeigte. Da Derselbe aber noch ein Kind ist, möchte man gern vorläufig dem General Cavaignac die Zügel der Re¬ gierung anvertrauen, um nnter seiner zwar energischen, aber nicht reactionairen Leitung die Ereignisse der Zukunft gesicherter abwarten zu können. Die Zahl der Anhänger des jetzigen Präsidenten, die bei seiner Wahl im Elsaß sehr grob war, ist gegenwärtig sehr geschmolzen. Etwas von den Aerzten, ans Polen. Der vor Kurzem verstorbene Leibarzt des Fürsten Paskicwicz, Schäfer, hatte in Jena Medicin studirt. Da er in Deutschland wahrscheinlich keine glänzende Aussicht hatte, ging er nach Warschau und führte Anfangs ein ziemlich ärmliches Leben. Aber eines Tages erklärte man ihm, daß er das allergrößte Glück machen könne, wenn er sich eine auffallende Equipage, dazu einen Bedienten und einen Kutscher in den glänzendsten und ungewöhnlichsten Livreen anschaffe, alle seine Krankenbesuche in »vilen Pomp mache, oder, wenn er keine Patienten habe, sich wenigstens mit seinem Pomp täglich von früh bis Abend in den Straßen sehen lasse. Da er ganz ohne Mittel' war, so lieh man ihm auf Wechsel mit Jahres¬ frist 600 Thaler. In kurzer Zeit besaß der arme Doctor die glänzendste Equipage. Ein Maun wie er, der das ganze Leben einem Witze gleich achtete, konnte seinen Witz nicht schlecht spielen. Wie auffallend daher anch sein Auszug war, so war er doch nicht lächerlich. Von früh bis zum Abend ließ er sich in den Straßen umherfahren, vor jedem vornehmen Hause halte» und durch den Bedienten seine Karte hineinschicken. Natürlich ermangelten die Herrschaften, besonders die Damen, wenn sie an Herzdrücken oder Schnupfen litten, nicht an's Fenster zu treten und uach dem angemeldeten neuen Arzte zu blicken, und da der Auszug des Herrn Doctors sie entzückte, so waren sie sogleich von hoher Achtung erfüllt. Aus solche Weise hatte sich Schäfer in Zeit von einem Monate bei der großen Welt bekannt gemacht, und unverweilt bildete sich ihm die schönste Praxis. Zu der Zeit, da Schäfer diese nothwendige Komödie spielte, litt der Fürst Paskiewicz an einem hartnäckigen Augenübel. Er war bereits vou seinen drei Leibärzten gräulich mit Medicamenten, besonders Angenwassern, gequält. Seine Freundin, die Fürstin I., hatte ihm bereits mehrere Male den von Ruhm bedeckten neuen Doctor erwähnt. Schäfer wurde gerufen, hatte Glück und, erhielt die Bestallung zum alleinigen fürstlichen Leibarzte mit 6000 Gulden Jahresgehalt und einer hübschen Summe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/356>, abgerufen am 27.07.2024.