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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zur Unterhaltung der Equipage. Nachdem er Leibarzt des Fürsten geworden,
wuchs seine Praxis ungeheuer. Seine Einnahmen beliefen sich jährlich auf 12 bis
Is Tausend Thaler. Doch dürsten nach seinem Tode sich hie Nachkomme" schwerlich
um große Summen zu zanken gehabt haben, da er den Besuch der Weinsäufer
über die Maßen liebte, nud sich gegen die jungen Officiere, die ihm Besuche
machten, stets sehr nobel benahm.

Die Aerzte in Polen sind zu drei Viertheilen Deutsche. Einige siud Fran¬
zosen. Der Mangel einer Universität und der Widerwille der Polen, in Rußland
zu studiren, veranlassen den ungeheuren Mangel an Aerzten, der wieder Ursache
davon wird, daß ein einwandernder Mediciner mit geringer Mühe Glück machen
kann; nur darf er sich uicht in eine kleine Stadt oder gar aufs Land setzen, denn
da würde er verhungern. Warschau, Ludim, Kalisch und die übrigen größern
Gubernialstädte sind die Plätze für die Doctoren.

Es ist Sitte, dein Arzte jeden Besuch unverweilt zu bezahlen, indem man
ihm beim Scheiden das Geld in Papier gewickelt einbändige. Unter einem Silber¬
rubel kann man nie geben, und wer dem Adel angehört oder zu demselben gerechnet
sein will, zahlt nicht gern nnter einem Ducaten. Ein Lonisd'or für einen Besuch
ist bei den Vornehmen nicht ungewöhnlich. Der hohe Preis der ärztlichen Be¬
handlung hält natürlich einen sehr großen Theil des städtischen Publicums
ab, sich in Krankheitsfällen der Aerzte zu bedienen. Deswegen hat man oft auf¬
gefordert, besoldete Kreisärzte anzustellen. Allein die Regierung fand keine. Die
wenigen vorhandenen Aerzte zogen die Lonisd'ors der Vornehmen der Besoldung
vor; und zu schaffen waren die Aerzte nicht so, wie man Soldaten schafft.

Da die Unbildung anch bei dem städtischen Mittelstände zum Theil sehr
groß ist, so kommen oft wunderliche Geschichten vor, indem man in der Meinung,
daß jede Medicin für jede Krankheit gut sei, sür andere Personen verordnete
Medicamente ans sich anwendet. So trug sich in Sandomir vor einigen Jahren
folgende erbauliche Geschichte zu. Die Gattin eines Municipalgerichtsadjuucteu
Namens Mvchnacki erkrankt an einer heftigen Gedärmeutzündung in Folge einer
schlecht behandelten Entbindung. Der Gatte, der wol schon bei gesunder Familie
Mühe hatte, mit seinen 2 Tausend Gulden (333 Thlr.) Gehalt durchzukommen,
würde sich nicht entschlossen haben, den Arzt zur Hilfe zu rufen, wenn nicht die
Hebamme dazu getrieben hätte. Genug, der Arzt wird geholt und er verordnet
seine Medicamente. Zu gleicher Zeit legten sich aber auch die vier Kinder am
Scharlachfieber. Um dieses Ereigniß den Arzt nicht entdecken zu lassen, bettet
sie der Papa in eine Dachstube, und reicht ihnen, um sie gratis durchzuschleppen,
von derselben Medicin und nach derselben Regel, die der Doctor sür seine Frau
verordnet hat. Drei Kinder starben sehr bald, das vierte wurde contract. --
So benutzte die Frau eines Seifensieders in Warschau bei einer Art gastrischen
Fiebers das Recept, welches ihrer Freundin wegen eiues offenen Fußschadcns


Grenzboten, II. Isse. 4i

zur Unterhaltung der Equipage. Nachdem er Leibarzt des Fürsten geworden,
wuchs seine Praxis ungeheuer. Seine Einnahmen beliefen sich jährlich auf 12 bis
Is Tausend Thaler. Doch dürsten nach seinem Tode sich hie Nachkomme» schwerlich
um große Summen zu zanken gehabt haben, da er den Besuch der Weinsäufer
über die Maßen liebte, nud sich gegen die jungen Officiere, die ihm Besuche
machten, stets sehr nobel benahm.

Die Aerzte in Polen sind zu drei Viertheilen Deutsche. Einige siud Fran¬
zosen. Der Mangel einer Universität und der Widerwille der Polen, in Rußland
zu studiren, veranlassen den ungeheuren Mangel an Aerzten, der wieder Ursache
davon wird, daß ein einwandernder Mediciner mit geringer Mühe Glück machen
kann; nur darf er sich uicht in eine kleine Stadt oder gar aufs Land setzen, denn
da würde er verhungern. Warschau, Ludim, Kalisch und die übrigen größern
Gubernialstädte sind die Plätze für die Doctoren.

Es ist Sitte, dein Arzte jeden Besuch unverweilt zu bezahlen, indem man
ihm beim Scheiden das Geld in Papier gewickelt einbändige. Unter einem Silber¬
rubel kann man nie geben, und wer dem Adel angehört oder zu demselben gerechnet
sein will, zahlt nicht gern nnter einem Ducaten. Ein Lonisd'or für einen Besuch
ist bei den Vornehmen nicht ungewöhnlich. Der hohe Preis der ärztlichen Be¬
handlung hält natürlich einen sehr großen Theil des städtischen Publicums
ab, sich in Krankheitsfällen der Aerzte zu bedienen. Deswegen hat man oft auf¬
gefordert, besoldete Kreisärzte anzustellen. Allein die Regierung fand keine. Die
wenigen vorhandenen Aerzte zogen die Lonisd'ors der Vornehmen der Besoldung
vor; und zu schaffen waren die Aerzte nicht so, wie man Soldaten schafft.

Da die Unbildung anch bei dem städtischen Mittelstände zum Theil sehr
groß ist, so kommen oft wunderliche Geschichten vor, indem man in der Meinung,
daß jede Medicin für jede Krankheit gut sei, sür andere Personen verordnete
Medicamente ans sich anwendet. So trug sich in Sandomir vor einigen Jahren
folgende erbauliche Geschichte zu. Die Gattin eines Municipalgerichtsadjuucteu
Namens Mvchnacki erkrankt an einer heftigen Gedärmeutzündung in Folge einer
schlecht behandelten Entbindung. Der Gatte, der wol schon bei gesunder Familie
Mühe hatte, mit seinen 2 Tausend Gulden (333 Thlr.) Gehalt durchzukommen,
würde sich nicht entschlossen haben, den Arzt zur Hilfe zu rufen, wenn nicht die
Hebamme dazu getrieben hätte. Genug, der Arzt wird geholt und er verordnet
seine Medicamente. Zu gleicher Zeit legten sich aber auch die vier Kinder am
Scharlachfieber. Um dieses Ereigniß den Arzt nicht entdecken zu lassen, bettet
sie der Papa in eine Dachstube, und reicht ihnen, um sie gratis durchzuschleppen,
von derselben Medicin und nach derselben Regel, die der Doctor sür seine Frau
verordnet hat. Drei Kinder starben sehr bald, das vierte wurde contract. —
So benutzte die Frau eines Seifensieders in Warschau bei einer Art gastrischen
Fiebers das Recept, welches ihrer Freundin wegen eiues offenen Fußschadcns


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[0357] zur Unterhaltung der Equipage. Nachdem er Leibarzt des Fürsten geworden, wuchs seine Praxis ungeheuer. Seine Einnahmen beliefen sich jährlich auf 12 bis Is Tausend Thaler. Doch dürsten nach seinem Tode sich hie Nachkomme» schwerlich um große Summen zu zanken gehabt haben, da er den Besuch der Weinsäufer über die Maßen liebte, nud sich gegen die jungen Officiere, die ihm Besuche machten, stets sehr nobel benahm. Die Aerzte in Polen sind zu drei Viertheilen Deutsche. Einige siud Fran¬ zosen. Der Mangel einer Universität und der Widerwille der Polen, in Rußland zu studiren, veranlassen den ungeheuren Mangel an Aerzten, der wieder Ursache davon wird, daß ein einwandernder Mediciner mit geringer Mühe Glück machen kann; nur darf er sich uicht in eine kleine Stadt oder gar aufs Land setzen, denn da würde er verhungern. Warschau, Ludim, Kalisch und die übrigen größern Gubernialstädte sind die Plätze für die Doctoren. Es ist Sitte, dein Arzte jeden Besuch unverweilt zu bezahlen, indem man ihm beim Scheiden das Geld in Papier gewickelt einbändige. Unter einem Silber¬ rubel kann man nie geben, und wer dem Adel angehört oder zu demselben gerechnet sein will, zahlt nicht gern nnter einem Ducaten. Ein Lonisd'or für einen Besuch ist bei den Vornehmen nicht ungewöhnlich. Der hohe Preis der ärztlichen Be¬ handlung hält natürlich einen sehr großen Theil des städtischen Publicums ab, sich in Krankheitsfällen der Aerzte zu bedienen. Deswegen hat man oft auf¬ gefordert, besoldete Kreisärzte anzustellen. Allein die Regierung fand keine. Die wenigen vorhandenen Aerzte zogen die Lonisd'ors der Vornehmen der Besoldung vor; und zu schaffen waren die Aerzte nicht so, wie man Soldaten schafft. Da die Unbildung anch bei dem städtischen Mittelstände zum Theil sehr groß ist, so kommen oft wunderliche Geschichten vor, indem man in der Meinung, daß jede Medicin für jede Krankheit gut sei, sür andere Personen verordnete Medicamente ans sich anwendet. So trug sich in Sandomir vor einigen Jahren folgende erbauliche Geschichte zu. Die Gattin eines Municipalgerichtsadjuucteu Namens Mvchnacki erkrankt an einer heftigen Gedärmeutzündung in Folge einer schlecht behandelten Entbindung. Der Gatte, der wol schon bei gesunder Familie Mühe hatte, mit seinen 2 Tausend Gulden (333 Thlr.) Gehalt durchzukommen, würde sich nicht entschlossen haben, den Arzt zur Hilfe zu rufen, wenn nicht die Hebamme dazu getrieben hätte. Genug, der Arzt wird geholt und er verordnet seine Medicamente. Zu gleicher Zeit legten sich aber auch die vier Kinder am Scharlachfieber. Um dieses Ereigniß den Arzt nicht entdecken zu lassen, bettet sie der Papa in eine Dachstube, und reicht ihnen, um sie gratis durchzuschleppen, von derselben Medicin und nach derselben Regel, die der Doctor sür seine Frau verordnet hat. Drei Kinder starben sehr bald, das vierte wurde contract. — So benutzte die Frau eines Seifensieders in Warschau bei einer Art gastrischen Fiebers das Recept, welches ihrer Freundin wegen eiues offenen Fußschadcns Grenzboten, II. Isse. 4i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/357>, abgerufen am 27.07.2024.