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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Wie streng die demokratische Partei im Elsaß, wie überhaupt in ganz Frank¬
reich, disciplinirt ist, konnte man am Abend des i. Mai in Straßburg bemerken.
Es war den demokratisch gesinnten Arbeitern, und es ist davon auch hier eine
sehr große Zahl vorhanden, streng von der Führern untersagt worden, den minde¬
sten Tumult zu begehen und besonders der bewaffneten Macht keinen Anlaß zum
Einschreiten zu geben, und mit militärischem Gehorsam ward dies befolgt. Kein
lautes Geschrei, keine Unordnung ward von den Tausenden von Menschen, grö߬
tenteils den untern Ständen angehörend, die an dem Abend in den Straßen
umherzogen, verübt. Vor einzelnen Häusern, an denen als Transparent die Zahl
4862 mit rother Schrift auf schwarzem Grund angebracht war, sammelten sich
wol zahlreiche Gruppen, allein auch sie verhielten sich schweigend und theilten
sich etwaige Bemerkungen nur leise mit. Einige Buben, die "vivere 1<zö rouxös"
zu schreien anfangen wollten, wurden von den Arbeitern selbst mit zornigen
Worten zur Ruhe verwiesen. Eine gleiche, fast unheimliche Ruhe haben am 4.
Mai, dem Tag, an dem man allgemein Unruhen prophezeite, die Demokraten in
allen Elsässischen Orten bewiesen.

Im Uebrigen ist die demokratische Partei im ganzen Elsaß sehr stark ver¬
treten, wie auch fast alle Abgeordnete, die derselbe nach Paris gesandt hat, den
strengen Republikanern angehören. Die große Masse der Arbeiter, aus dem Lande
wie in den Städten, kurz fast der ganze besitzlose Stand, ist mit demokratisch-
socialistischeu Ideen al^efüllt. Die besitzenden Handwerker und Bauern, also
der ganze Mittelstand, ist größtentheils gemäßigt republikanisch gesinnt. Diese
ganze Klasse will Ruhe und Ordnung, um ungestört ihren Geschäften nachgehen
zu könne", und glaubt, daß diese am Sichersten dadurch gewahrt werden könne,
wenn man die jetzige Verfassung ungeschwächt erhalte. Allen neuen Regieruugs-
regimeutern, mögen diese nun Orlcanistisch, oder Bonapartistisch, oder gar legitimi-
stisch sein, ist der größte Theil dieses Mittelstandes abgeneigt, deun er fürchtet,
wol nicht ohne Grund, daß die Rothen nur aus einen Umsturz der jetzigen
republikanischen Verfassung warten, um dann neue und gewaltige Erschütterungen
zu versuchen. Der Wunsch dieser zahlreichen Partei ist, daß eine neue Präsiden¬
tenwahl ganz auf die Weise, wie dieselbe in der Verfassung vorgeschrieben ist, im
Jahre 1862 vorgenommen werde. In diesem Fall würde der General Cavaignac
wol auf eine große Mehrheit der Stimmen des ganzen Mittelstandes nicht
allein im Elsaß, sondern in allen östlichen Provinzen Frankreichs, zu zählen haben.
Ungemein wenige Anhänger hat hier die legitimistische Partei, und man kann
sagen, daß nur ein Theil der Geistlichkeit, einige hohe Civil- und Militairbeamte,
einige Banquiers, die daun hoffen, in den Adelstand erhoben zu werden, und ein¬
zelne vormalige Adelige zu derselben gehören. Die Bourbons sind min schon
dreimal aus Frankreich vertrieben worden, und, wie allgemein bekannt, hat der
Erbe derselben in seiner Verbannung Nichts gelernt, noch vergessen. Man hätte


Wie streng die demokratische Partei im Elsaß, wie überhaupt in ganz Frank¬
reich, disciplinirt ist, konnte man am Abend des i. Mai in Straßburg bemerken.
Es war den demokratisch gesinnten Arbeitern, und es ist davon auch hier eine
sehr große Zahl vorhanden, streng von der Führern untersagt worden, den minde¬
sten Tumult zu begehen und besonders der bewaffneten Macht keinen Anlaß zum
Einschreiten zu geben, und mit militärischem Gehorsam ward dies befolgt. Kein
lautes Geschrei, keine Unordnung ward von den Tausenden von Menschen, grö߬
tenteils den untern Ständen angehörend, die an dem Abend in den Straßen
umherzogen, verübt. Vor einzelnen Häusern, an denen als Transparent die Zahl
4862 mit rother Schrift auf schwarzem Grund angebracht war, sammelten sich
wol zahlreiche Gruppen, allein auch sie verhielten sich schweigend und theilten
sich etwaige Bemerkungen nur leise mit. Einige Buben, die „vivere 1<zö rouxös"
zu schreien anfangen wollten, wurden von den Arbeitern selbst mit zornigen
Worten zur Ruhe verwiesen. Eine gleiche, fast unheimliche Ruhe haben am 4.
Mai, dem Tag, an dem man allgemein Unruhen prophezeite, die Demokraten in
allen Elsässischen Orten bewiesen.

Im Uebrigen ist die demokratische Partei im ganzen Elsaß sehr stark ver¬
treten, wie auch fast alle Abgeordnete, die derselbe nach Paris gesandt hat, den
strengen Republikanern angehören. Die große Masse der Arbeiter, aus dem Lande
wie in den Städten, kurz fast der ganze besitzlose Stand, ist mit demokratisch-
socialistischeu Ideen al^efüllt. Die besitzenden Handwerker und Bauern, also
der ganze Mittelstand, ist größtentheils gemäßigt republikanisch gesinnt. Diese
ganze Klasse will Ruhe und Ordnung, um ungestört ihren Geschäften nachgehen
zu könne», und glaubt, daß diese am Sichersten dadurch gewahrt werden könne,
wenn man die jetzige Verfassung ungeschwächt erhalte. Allen neuen Regieruugs-
regimeutern, mögen diese nun Orlcanistisch, oder Bonapartistisch, oder gar legitimi-
stisch sein, ist der größte Theil dieses Mittelstandes abgeneigt, deun er fürchtet,
wol nicht ohne Grund, daß die Rothen nur aus einen Umsturz der jetzigen
republikanischen Verfassung warten, um dann neue und gewaltige Erschütterungen
zu versuchen. Der Wunsch dieser zahlreichen Partei ist, daß eine neue Präsiden¬
tenwahl ganz auf die Weise, wie dieselbe in der Verfassung vorgeschrieben ist, im
Jahre 1862 vorgenommen werde. In diesem Fall würde der General Cavaignac
wol auf eine große Mehrheit der Stimmen des ganzen Mittelstandes nicht
allein im Elsaß, sondern in allen östlichen Provinzen Frankreichs, zu zählen haben.
Ungemein wenige Anhänger hat hier die legitimistische Partei, und man kann
sagen, daß nur ein Theil der Geistlichkeit, einige hohe Civil- und Militairbeamte,
einige Banquiers, die daun hoffen, in den Adelstand erhoben zu werden, und ein¬
zelne vormalige Adelige zu derselben gehören. Die Bourbons sind min schon
dreimal aus Frankreich vertrieben worden, und, wie allgemein bekannt, hat der
Erbe derselben in seiner Verbannung Nichts gelernt, noch vergessen. Man hätte


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[0355] Wie streng die demokratische Partei im Elsaß, wie überhaupt in ganz Frank¬ reich, disciplinirt ist, konnte man am Abend des i. Mai in Straßburg bemerken. Es war den demokratisch gesinnten Arbeitern, und es ist davon auch hier eine sehr große Zahl vorhanden, streng von der Führern untersagt worden, den minde¬ sten Tumult zu begehen und besonders der bewaffneten Macht keinen Anlaß zum Einschreiten zu geben, und mit militärischem Gehorsam ward dies befolgt. Kein lautes Geschrei, keine Unordnung ward von den Tausenden von Menschen, grö߬ tenteils den untern Ständen angehörend, die an dem Abend in den Straßen umherzogen, verübt. Vor einzelnen Häusern, an denen als Transparent die Zahl 4862 mit rother Schrift auf schwarzem Grund angebracht war, sammelten sich wol zahlreiche Gruppen, allein auch sie verhielten sich schweigend und theilten sich etwaige Bemerkungen nur leise mit. Einige Buben, die „vivere 1<zö rouxös" zu schreien anfangen wollten, wurden von den Arbeitern selbst mit zornigen Worten zur Ruhe verwiesen. Eine gleiche, fast unheimliche Ruhe haben am 4. Mai, dem Tag, an dem man allgemein Unruhen prophezeite, die Demokraten in allen Elsässischen Orten bewiesen. Im Uebrigen ist die demokratische Partei im ganzen Elsaß sehr stark ver¬ treten, wie auch fast alle Abgeordnete, die derselbe nach Paris gesandt hat, den strengen Republikanern angehören. Die große Masse der Arbeiter, aus dem Lande wie in den Städten, kurz fast der ganze besitzlose Stand, ist mit demokratisch- socialistischeu Ideen al^efüllt. Die besitzenden Handwerker und Bauern, also der ganze Mittelstand, ist größtentheils gemäßigt republikanisch gesinnt. Diese ganze Klasse will Ruhe und Ordnung, um ungestört ihren Geschäften nachgehen zu könne», und glaubt, daß diese am Sichersten dadurch gewahrt werden könne, wenn man die jetzige Verfassung ungeschwächt erhalte. Allen neuen Regieruugs- regimeutern, mögen diese nun Orlcanistisch, oder Bonapartistisch, oder gar legitimi- stisch sein, ist der größte Theil dieses Mittelstandes abgeneigt, deun er fürchtet, wol nicht ohne Grund, daß die Rothen nur aus einen Umsturz der jetzigen republikanischen Verfassung warten, um dann neue und gewaltige Erschütterungen zu versuchen. Der Wunsch dieser zahlreichen Partei ist, daß eine neue Präsiden¬ tenwahl ganz auf die Weise, wie dieselbe in der Verfassung vorgeschrieben ist, im Jahre 1862 vorgenommen werde. In diesem Fall würde der General Cavaignac wol auf eine große Mehrheit der Stimmen des ganzen Mittelstandes nicht allein im Elsaß, sondern in allen östlichen Provinzen Frankreichs, zu zählen haben. Ungemein wenige Anhänger hat hier die legitimistische Partei, und man kann sagen, daß nur ein Theil der Geistlichkeit, einige hohe Civil- und Militairbeamte, einige Banquiers, die daun hoffen, in den Adelstand erhoben zu werden, und ein¬ zelne vormalige Adelige zu derselben gehören. Die Bourbons sind min schon dreimal aus Frankreich vertrieben worden, und, wie allgemein bekannt, hat der Erbe derselben in seiner Verbannung Nichts gelernt, noch vergessen. Man hätte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/355>, abgerufen am 27.07.2024.