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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Und als sie ihn fragt, ob nicht der junge Held, der mit Gefahr des Lebens ein
Kind aus den Flammen gerissen, ihm ein Gefühl des Mitleids entlockt:


Er sei verflucht, wenn er mir das gethan,
Er hat auf einen Augenblick
Mein Herz veruntreut, zum Verräther
An Deutschlands großer Sache mich gemacht.
Ich will die höhnische Dämvucnbrut nicht liebeiu

Als dieser junge Römer getödtet werden soll und Hermann an seine Sieger¬
pflicht erinnert:

Hermann: An Pflicht und Recht! Sieh da, so wahr ich lebe!
Er hat das Buch von Cicero gelesen.
Was müßt' ich thun, sag' an, nach diesem Werk?

Septimius: Nach diesem Werk? Armsel'ger Spötter, Dn!
Mein Haupt, das wehrlos vor Dir steht,
Soll Deiner Rache heilig sein,
Also gebeut Dir das Gefühl des Rechts,
In deines Busens Blättern aufgeschrieben!

Hermann. Du weißt, was Recht ist, Du verfluchter Bube,
Und kamst nach Deutschland, ""beleidigt,
Um uns zu unterdrücke"?
Nehmt eine Keule doppelten Gewichts,
Und schlagt ihn todt!

Das ist entsetzlich wild "ud wird noch schrecklicher durch die beständige
Ironie, mit der Hermann seine" vertrauenden Gegnern ebenso, wie seinen un¬
schlüssiger Landsleuten, die er als energielose Tugendbündler verachtet, begegnet;
aber es erregt unser eigenes Gefühl und erweckt ein dramatisches Interesse für
den tragischen Kampf einer so wilden, leidenschaftlichen Natur mit der Nothwen¬
digkeit, sich Zwang aufzulegen. Zudem nimmt die Handlung unser Interesse noch
von einer andern Seite in Anspruch; wir haben es eigentlich nicht mit den
Römern, nicht mit August und Varus zu thun, sondern mit den Franzosen und
ihrem großen ruchlosen Kaiser. Die Zeit brachte ähnliche Gefnhlsconflicte in
Menge hervor. Wenn Dörnberg das Vertrauen des Königs Jerome, wenn
Dort das Vertrauen des Marschall Macdonald täuschen muß, so ist diese Ver¬
letzung des Gefühls, dem in den Persönlichkeiten der Feinde manche menschlich
liebenswürdige und Achtung' gebietende Seiten begegnen, nur durch jenen concen-
trirten Haß zu überwinden, der in der Anschauung von der Unsittlichkeit des
Ganzen auch das Gefühl für den Einzelnen begräbt. Thaten wie die Anzün-
dung von Moskau erhalten nnr durch diese Stimmung ihre historische Färbung,
und all die hübschen Lieder von Arndt, Stägemann, Körner, Schenkendorf,
Rückert n. s. w., die bereits mitten im Rausche des Kampfes geschrieben wurden,
geben uns lange nicht ein so klares Bild von derselben, als dieser anticipirte


Und als sie ihn fragt, ob nicht der junge Held, der mit Gefahr des Lebens ein
Kind aus den Flammen gerissen, ihm ein Gefühl des Mitleids entlockt:


Er sei verflucht, wenn er mir das gethan,
Er hat auf einen Augenblick
Mein Herz veruntreut, zum Verräther
An Deutschlands großer Sache mich gemacht.
Ich will die höhnische Dämvucnbrut nicht liebeiu

Als dieser junge Römer getödtet werden soll und Hermann an seine Sieger¬
pflicht erinnert:

Hermann: An Pflicht und Recht! Sieh da, so wahr ich lebe!
Er hat das Buch von Cicero gelesen.
Was müßt' ich thun, sag' an, nach diesem Werk?

Septimius: Nach diesem Werk? Armsel'ger Spötter, Dn!
Mein Haupt, das wehrlos vor Dir steht,
Soll Deiner Rache heilig sein,
Also gebeut Dir das Gefühl des Rechts,
In deines Busens Blättern aufgeschrieben!

Hermann. Du weißt, was Recht ist, Du verfluchter Bube,
Und kamst nach Deutschland, »»beleidigt,
Um uns zu unterdrücke»?
Nehmt eine Keule doppelten Gewichts,
Und schlagt ihn todt!

Das ist entsetzlich wild »ud wird noch schrecklicher durch die beständige
Ironie, mit der Hermann seine» vertrauenden Gegnern ebenso, wie seinen un¬
schlüssiger Landsleuten, die er als energielose Tugendbündler verachtet, begegnet;
aber es erregt unser eigenes Gefühl und erweckt ein dramatisches Interesse für
den tragischen Kampf einer so wilden, leidenschaftlichen Natur mit der Nothwen¬
digkeit, sich Zwang aufzulegen. Zudem nimmt die Handlung unser Interesse noch
von einer andern Seite in Anspruch; wir haben es eigentlich nicht mit den
Römern, nicht mit August und Varus zu thun, sondern mit den Franzosen und
ihrem großen ruchlosen Kaiser. Die Zeit brachte ähnliche Gefnhlsconflicte in
Menge hervor. Wenn Dörnberg das Vertrauen des Königs Jerome, wenn
Dort das Vertrauen des Marschall Macdonald täuschen muß, so ist diese Ver¬
letzung des Gefühls, dem in den Persönlichkeiten der Feinde manche menschlich
liebenswürdige und Achtung' gebietende Seiten begegnen, nur durch jenen concen-
trirten Haß zu überwinden, der in der Anschauung von der Unsittlichkeit des
Ganzen auch das Gefühl für den Einzelnen begräbt. Thaten wie die Anzün-
dung von Moskau erhalten nnr durch diese Stimmung ihre historische Färbung,
und all die hübschen Lieder von Arndt, Stägemann, Körner, Schenkendorf,
Rückert n. s. w., die bereits mitten im Rausche des Kampfes geschrieben wurden,
geben uns lange nicht ein so klares Bild von derselben, als dieser anticipirte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/344>, abgerufen am 01.09.2024.