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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Theilung des Hauses entfernten. Das Ministerium war seiner eigenen Partei
gegenüber in der Minorität geblieben. Mit einer so schlecht disciplinirten mini¬
steriellen Partei konnte das Cabinet nicht hoffen, ein Budget durchzusetzen, das
so viel wohlbegründete Einwendungen gegen sich hatte. So bot denn Lord John
Russell am nächsten Tage der Konigin seine Entlassung an, welche dieselbe auch
annahm.

Jetzt begaun ein ministerielles Interregnum, wie es seit Perceval's Tode in
der parlamentarischen Geschichte Englands ohne Beispiel ist. Vom 22. Febr. bis zum
3. März, wie damals (18-12) vom 22. Mai bis zum 8. Juni, dauerten die Unter¬
handlungen mit den leitenden Staatsmännern der verschiedenen Parteien, um mit
dem Wiedereintritt der alte" Minister zu enden. Die Protectionisten, die so heiß
den Sieg herbeigewünscht hatten, sahen sich jetzt anßer Stande ihn zu benutzen.
Lord Stanley wurde zuerst zur Königin berufen, aber er mußte sich gestehen,
daß er keine Aussicht hatte, im Unterhaus eine Majorität zu erlange"; und selbst,
wenn er eine Auslösung des Parlaments wagen wollte, konnte er sich nicht ver-
hehlen, daß sein Ministerium schwerlich von langer Dauer sein werde; denn er
selbst ist der einzige bedeutende Staatsmann der Partei, und im Unterhause wäre
er für alle praktischen Zwecke auf den sehr unbedeutenden Hrn. Herries angewie¬
sen, denn Herr Disraeli ist zwar ein brillanter Redner, aber kein praktischer
Politiker -- ein Sheridan, aber kein Fox. Man versuchte jetzt eine Combination
zwischen den Whigs und Peeliten, der eine starke Majorität im Unterhause
sicher war. Lord Lansdowne und Lord Russell einerseits, und Lord Aberdeen und
Sir I. Graham andererseits traten zu diesem Zwecke mit einander in Unterhaut ¬
lung. Die beiden Peeliten zeigten sich sehr bereit, den Whigs ihre Mitwirkung
angedeihen zu lassen, in der commerciellen Politik stimmten sie natürlich mit ihnen
überein, wegen der zu ergreifenden finanzielle" Maßregeln verständigte man sich,
und Beide erklärten sich für eine baldige verständige Erweiterung des Wahlrechts.
Aber mit Lord Rüssels antipäpstlichen Maßregeln konnten sich die beiden zum Bünd¬
nis; Eingeladenen "icht für einverstanden erklären. Beide sahen darin einen Ein¬
griff in die Glaubensfreiheit der katholischen Unterthanen der Königin, und ob¬
gleich Lord I. Russell die Wirksamkeit der Bill ans England und Schottland
beschränken wollte, hielten sie doch Strafbestimmungen gegen die katholische
Geistlichkeit nicht für vereinbar mit ihren politischen Principien. Daran zerschlug
sich auch diese Combination, und da Lord Aberdeen und Sir I. Graham zugleich
erklärten, daß, obgleich sie die vorgeschlagenen Strafbestimmungen für unnütz und
selbst für ungerecht hielten, bei der einmal im Volke obwaltenden gereizten Stim-
mung doch Etwas geschehen müsse, so gestanden sie damit zugleich die Unmöglich¬
keit ein, selbst ein Ministerium zu bilden. Damit waren alle verfügbaren Mate¬
rialien zu einer neuen Cabinetsbildnng erschöpft, und die Königin rief auf Wel¬
lingtons Rath Lord Russell wieder ans Unter.


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Theilung des Hauses entfernten. Das Ministerium war seiner eigenen Partei
gegenüber in der Minorität geblieben. Mit einer so schlecht disciplinirten mini¬
steriellen Partei konnte das Cabinet nicht hoffen, ein Budget durchzusetzen, das
so viel wohlbegründete Einwendungen gegen sich hatte. So bot denn Lord John
Russell am nächsten Tage der Konigin seine Entlassung an, welche dieselbe auch
annahm.

Jetzt begaun ein ministerielles Interregnum, wie es seit Perceval's Tode in
der parlamentarischen Geschichte Englands ohne Beispiel ist. Vom 22. Febr. bis zum
3. März, wie damals (18-12) vom 22. Mai bis zum 8. Juni, dauerten die Unter¬
handlungen mit den leitenden Staatsmännern der verschiedenen Parteien, um mit
dem Wiedereintritt der alte» Minister zu enden. Die Protectionisten, die so heiß
den Sieg herbeigewünscht hatten, sahen sich jetzt anßer Stande ihn zu benutzen.
Lord Stanley wurde zuerst zur Königin berufen, aber er mußte sich gestehen,
daß er keine Aussicht hatte, im Unterhaus eine Majorität zu erlange»; und selbst,
wenn er eine Auslösung des Parlaments wagen wollte, konnte er sich nicht ver-
hehlen, daß sein Ministerium schwerlich von langer Dauer sein werde; denn er
selbst ist der einzige bedeutende Staatsmann der Partei, und im Unterhause wäre
er für alle praktischen Zwecke auf den sehr unbedeutenden Hrn. Herries angewie¬
sen, denn Herr Disraeli ist zwar ein brillanter Redner, aber kein praktischer
Politiker — ein Sheridan, aber kein Fox. Man versuchte jetzt eine Combination
zwischen den Whigs und Peeliten, der eine starke Majorität im Unterhause
sicher war. Lord Lansdowne und Lord Russell einerseits, und Lord Aberdeen und
Sir I. Graham andererseits traten zu diesem Zwecke mit einander in Unterhaut ¬
lung. Die beiden Peeliten zeigten sich sehr bereit, den Whigs ihre Mitwirkung
angedeihen zu lassen, in der commerciellen Politik stimmten sie natürlich mit ihnen
überein, wegen der zu ergreifenden finanzielle» Maßregeln verständigte man sich,
und Beide erklärten sich für eine baldige verständige Erweiterung des Wahlrechts.
Aber mit Lord Rüssels antipäpstlichen Maßregeln konnten sich die beiden zum Bünd¬
nis; Eingeladenen »icht für einverstanden erklären. Beide sahen darin einen Ein¬
griff in die Glaubensfreiheit der katholischen Unterthanen der Königin, und ob¬
gleich Lord I. Russell die Wirksamkeit der Bill ans England und Schottland
beschränken wollte, hielten sie doch Strafbestimmungen gegen die katholische
Geistlichkeit nicht für vereinbar mit ihren politischen Principien. Daran zerschlug
sich auch diese Combination, und da Lord Aberdeen und Sir I. Graham zugleich
erklärten, daß, obgleich sie die vorgeschlagenen Strafbestimmungen für unnütz und
selbst für ungerecht hielten, bei der einmal im Volke obwaltenden gereizten Stim-
mung doch Etwas geschehen müsse, so gestanden sie damit zugleich die Unmöglich¬
keit ein, selbst ein Ministerium zu bilden. Damit waren alle verfügbaren Mate¬
rialien zu einer neuen Cabinetsbildnng erschöpft, und die Königin rief auf Wel¬
lingtons Rath Lord Russell wieder ans Unter.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/319>, abgerufen am 01.09.2024.