Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Entscheidungskampfe um die definitive Anerkennung des Princips der Handels¬
freiheit einträchtig um das Ministerium: zu schaaren.

Das Ministerium sah sich l'alt in einer Lage, wo es diese neuen Anhänger
sehr nöthig brauchte. Die Whigs, die nicht in dem Rufe stehen, gute Finanziers
zu sein, hatten diesmal dnrch ein seltenes Glück einen Ueberschuß von 2 Millio¬
nen Pfund Sterling. Alles hoffte, Sir Ch. Wood werde diese bedeutende
Summe zu irgend einem ansehnlichen Steuernachlaß benutzen, und so, indem er
eine der vielen Erwartungen der Steuerpflichtigen ganz befriedigte, eine Klasse
der Belasteten ganz für das Ministerium gewinnen. Anlaß dazu war genug
vorhanden. Alle einsichtigen Finanzrcformen dringen seit langer Zeit auf eine
Ermäßigung "ud bessere Vertheilung der Einkommensteuer; die Bevölkerung der
Städte konnte sich das Ministerium durch die Abschaffung der Feustersteuer aus
lauge Zeit hin verpflichten; die liberale Partei war sehr für Aufhebung der
Papier- und Annoncensteuer, und selbst die Gunst der Grundbesitzer war durch
Erniedrigung der Malzsteuer zu gewinnen. Merkwürdiger Weise benutzte der
Kanzler der Schatzkammer von diesen vielen Gelegenheiten, sich Freunde zu er¬
werben, keine einzige. Die Einkommensteuer, welche mit besonderer Ungerechtig¬
keit am Schwersten auf das Einkommen fällt, das nicht von Capitalien herrührt,
sollte ganz unverändert, und abermals auf 3 Jahre fortbestehen; die Fenstersteuer
wurde in eine Häusersteuer verwandelt und aus ^/z herabgesetzt; ein beträchtlicher
Theil des Überschusses sollte zur Tilgung von Staatsschulden, der Rest zur Herab¬
setzung der Zölle ans Kaffee und Zimmerholz verwendet werden. Sir Ch. Wood
wollte Allen gefällig sein, und befriedigte Niemanden. Seine Vorschläge wurden
im Parlamente und in der Presse mit allgemeiner Uuznftiedenheit aufgenommen,
und das Fiasco, das sie überall machten, ermuthigte die proteclionistische Oppo¬
sition, einen Angriff auf die aller Orten unbeliebte Einkommensteuer vorzubereiten
und auf diese Weise das Ministerium zu stürzen. Wenn sie schon bei Disraeli's Antrag
durch Unterstützung der katholischen Jrländer nur um 14 Stimmen in der Mino¬
rität blieben, so konnten sie hier fast mit Sicherheit aus eine Majorität rechnen.

Der Sturz des Ministeriums kam aber noch eher, als sie erwartet hatten. Da
das Cabinet sich nicht selbst herbeiließ, den ersten Schritt zu der so oft ver¬
sprochenen Wahlreform zu thun, so trug am 20. Februar Hr. Locke King auf Er¬
laubniß zur Einbringung einer Bill an, welche den Census für die Wähler in
den Parlamentsflecken auf dieselbe Höhe festsetzte, wie in den Grafschaften, näm¬
lich ans 10 Pfd. jährlichen Zins. Lord John Russell sprach gegen den Antrag,
versprach jedoch, zu Anfang nächster Session eine Ausdehnung des Wahlrechts
vorzuschlagen. Dennoch entschied sich das Haus mit 100 gegen Stimmen für
den King'sehen Antrag. Die Majorität war genau so stark wie die Minorität,
welche im vorigen Jahre für den Antrag gestimmt hatte; aber damals hatten die
Konservativen mit dem Ministerium gestimmt, währeud sie sich diesmal vor der


Entscheidungskampfe um die definitive Anerkennung des Princips der Handels¬
freiheit einträchtig um das Ministerium: zu schaaren.

Das Ministerium sah sich l'alt in einer Lage, wo es diese neuen Anhänger
sehr nöthig brauchte. Die Whigs, die nicht in dem Rufe stehen, gute Finanziers
zu sein, hatten diesmal dnrch ein seltenes Glück einen Ueberschuß von 2 Millio¬
nen Pfund Sterling. Alles hoffte, Sir Ch. Wood werde diese bedeutende
Summe zu irgend einem ansehnlichen Steuernachlaß benutzen, und so, indem er
eine der vielen Erwartungen der Steuerpflichtigen ganz befriedigte, eine Klasse
der Belasteten ganz für das Ministerium gewinnen. Anlaß dazu war genug
vorhanden. Alle einsichtigen Finanzrcformen dringen seit langer Zeit auf eine
Ermäßigung »ud bessere Vertheilung der Einkommensteuer; die Bevölkerung der
Städte konnte sich das Ministerium durch die Abschaffung der Feustersteuer aus
lauge Zeit hin verpflichten; die liberale Partei war sehr für Aufhebung der
Papier- und Annoncensteuer, und selbst die Gunst der Grundbesitzer war durch
Erniedrigung der Malzsteuer zu gewinnen. Merkwürdiger Weise benutzte der
Kanzler der Schatzkammer von diesen vielen Gelegenheiten, sich Freunde zu er¬
werben, keine einzige. Die Einkommensteuer, welche mit besonderer Ungerechtig¬
keit am Schwersten auf das Einkommen fällt, das nicht von Capitalien herrührt,
sollte ganz unverändert, und abermals auf 3 Jahre fortbestehen; die Fenstersteuer
wurde in eine Häusersteuer verwandelt und aus ^/z herabgesetzt; ein beträchtlicher
Theil des Überschusses sollte zur Tilgung von Staatsschulden, der Rest zur Herab¬
setzung der Zölle ans Kaffee und Zimmerholz verwendet werden. Sir Ch. Wood
wollte Allen gefällig sein, und befriedigte Niemanden. Seine Vorschläge wurden
im Parlamente und in der Presse mit allgemeiner Uuznftiedenheit aufgenommen,
und das Fiasco, das sie überall machten, ermuthigte die proteclionistische Oppo¬
sition, einen Angriff auf die aller Orten unbeliebte Einkommensteuer vorzubereiten
und auf diese Weise das Ministerium zu stürzen. Wenn sie schon bei Disraeli's Antrag
durch Unterstützung der katholischen Jrländer nur um 14 Stimmen in der Mino¬
rität blieben, so konnten sie hier fast mit Sicherheit aus eine Majorität rechnen.

Der Sturz des Ministeriums kam aber noch eher, als sie erwartet hatten. Da
das Cabinet sich nicht selbst herbeiließ, den ersten Schritt zu der so oft ver¬
sprochenen Wahlreform zu thun, so trug am 20. Februar Hr. Locke King auf Er¬
laubniß zur Einbringung einer Bill an, welche den Census für die Wähler in
den Parlamentsflecken auf dieselbe Höhe festsetzte, wie in den Grafschaften, näm¬
lich ans 10 Pfd. jährlichen Zins. Lord John Russell sprach gegen den Antrag,
versprach jedoch, zu Anfang nächster Session eine Ausdehnung des Wahlrechts
vorzuschlagen. Dennoch entschied sich das Haus mit 100 gegen Stimmen für
den King'sehen Antrag. Die Majorität war genau so stark wie die Minorität,
welche im vorigen Jahre für den Antrag gestimmt hatte; aber damals hatten die
Konservativen mit dem Ministerium gestimmt, währeud sie sich diesmal vor der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91511"/>
          <p xml:id="ID_877" prev="#ID_876"> Entscheidungskampfe um die definitive Anerkennung des Princips der Handels¬<lb/>
freiheit einträchtig um das Ministerium: zu schaaren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_878"> Das Ministerium sah sich l'alt in einer Lage, wo es diese neuen Anhänger<lb/>
sehr nöthig brauchte. Die Whigs, die nicht in dem Rufe stehen, gute Finanziers<lb/>
zu sein, hatten diesmal dnrch ein seltenes Glück einen Ueberschuß von 2 Millio¬<lb/>
nen Pfund Sterling. Alles hoffte, Sir Ch. Wood werde diese bedeutende<lb/>
Summe zu irgend einem ansehnlichen Steuernachlaß benutzen, und so, indem er<lb/>
eine der vielen Erwartungen der Steuerpflichtigen ganz befriedigte, eine Klasse<lb/>
der Belasteten ganz für das Ministerium gewinnen. Anlaß dazu war genug<lb/>
vorhanden. Alle einsichtigen Finanzrcformen dringen seit langer Zeit auf eine<lb/>
Ermäßigung »ud bessere Vertheilung der Einkommensteuer; die Bevölkerung der<lb/>
Städte konnte sich das Ministerium durch die Abschaffung der Feustersteuer aus<lb/>
lauge Zeit hin verpflichten; die liberale Partei war sehr für Aufhebung der<lb/>
Papier- und Annoncensteuer, und selbst die Gunst der Grundbesitzer war durch<lb/>
Erniedrigung der Malzsteuer zu gewinnen. Merkwürdiger Weise benutzte der<lb/>
Kanzler der Schatzkammer von diesen vielen Gelegenheiten, sich Freunde zu er¬<lb/>
werben, keine einzige. Die Einkommensteuer, welche mit besonderer Ungerechtig¬<lb/>
keit am Schwersten auf das Einkommen fällt, das nicht von Capitalien herrührt,<lb/>
sollte ganz unverändert, und abermals auf 3 Jahre fortbestehen; die Fenstersteuer<lb/>
wurde in eine Häusersteuer verwandelt und aus ^/z herabgesetzt; ein beträchtlicher<lb/>
Theil des Überschusses sollte zur Tilgung von Staatsschulden, der Rest zur Herab¬<lb/>
setzung der Zölle ans Kaffee und Zimmerholz verwendet werden. Sir Ch. Wood<lb/>
wollte Allen gefällig sein, und befriedigte Niemanden. Seine Vorschläge wurden<lb/>
im Parlamente und in der Presse mit allgemeiner Uuznftiedenheit aufgenommen,<lb/>
und das Fiasco, das sie überall machten, ermuthigte die proteclionistische Oppo¬<lb/>
sition, einen Angriff auf die aller Orten unbeliebte Einkommensteuer vorzubereiten<lb/>
und auf diese Weise das Ministerium zu stürzen. Wenn sie schon bei Disraeli's Antrag<lb/>
durch Unterstützung der katholischen Jrländer nur um 14 Stimmen in der Mino¬<lb/>
rität blieben, so konnten sie hier fast mit Sicherheit aus eine Majorität rechnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Der Sturz des Ministeriums kam aber noch eher, als sie erwartet hatten. Da<lb/>
das Cabinet sich nicht selbst herbeiließ, den ersten Schritt zu der so oft ver¬<lb/>
sprochenen Wahlreform zu thun, so trug am 20. Februar Hr. Locke King auf Er¬<lb/>
laubniß zur Einbringung einer Bill an, welche den Census für die Wähler in<lb/>
den Parlamentsflecken auf dieselbe Höhe festsetzte, wie in den Grafschaften, näm¬<lb/>
lich ans 10 Pfd. jährlichen Zins. Lord John Russell sprach gegen den Antrag,<lb/>
versprach jedoch, zu Anfang nächster Session eine Ausdehnung des Wahlrechts<lb/>
vorzuschlagen. Dennoch entschied sich das Haus mit 100 gegen Stimmen für<lb/>
den King'sehen Antrag. Die Majorität war genau so stark wie die Minorität,<lb/>
welche im vorigen Jahre für den Antrag gestimmt hatte; aber damals hatten die<lb/>
Konservativen mit dem Ministerium gestimmt, währeud sie sich diesmal vor der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] Entscheidungskampfe um die definitive Anerkennung des Princips der Handels¬ freiheit einträchtig um das Ministerium: zu schaaren. Das Ministerium sah sich l'alt in einer Lage, wo es diese neuen Anhänger sehr nöthig brauchte. Die Whigs, die nicht in dem Rufe stehen, gute Finanziers zu sein, hatten diesmal dnrch ein seltenes Glück einen Ueberschuß von 2 Millio¬ nen Pfund Sterling. Alles hoffte, Sir Ch. Wood werde diese bedeutende Summe zu irgend einem ansehnlichen Steuernachlaß benutzen, und so, indem er eine der vielen Erwartungen der Steuerpflichtigen ganz befriedigte, eine Klasse der Belasteten ganz für das Ministerium gewinnen. Anlaß dazu war genug vorhanden. Alle einsichtigen Finanzrcformen dringen seit langer Zeit auf eine Ermäßigung »ud bessere Vertheilung der Einkommensteuer; die Bevölkerung der Städte konnte sich das Ministerium durch die Abschaffung der Feustersteuer aus lauge Zeit hin verpflichten; die liberale Partei war sehr für Aufhebung der Papier- und Annoncensteuer, und selbst die Gunst der Grundbesitzer war durch Erniedrigung der Malzsteuer zu gewinnen. Merkwürdiger Weise benutzte der Kanzler der Schatzkammer von diesen vielen Gelegenheiten, sich Freunde zu er¬ werben, keine einzige. Die Einkommensteuer, welche mit besonderer Ungerechtig¬ keit am Schwersten auf das Einkommen fällt, das nicht von Capitalien herrührt, sollte ganz unverändert, und abermals auf 3 Jahre fortbestehen; die Fenstersteuer wurde in eine Häusersteuer verwandelt und aus ^/z herabgesetzt; ein beträchtlicher Theil des Überschusses sollte zur Tilgung von Staatsschulden, der Rest zur Herab¬ setzung der Zölle ans Kaffee und Zimmerholz verwendet werden. Sir Ch. Wood wollte Allen gefällig sein, und befriedigte Niemanden. Seine Vorschläge wurden im Parlamente und in der Presse mit allgemeiner Uuznftiedenheit aufgenommen, und das Fiasco, das sie überall machten, ermuthigte die proteclionistische Oppo¬ sition, einen Angriff auf die aller Orten unbeliebte Einkommensteuer vorzubereiten und auf diese Weise das Ministerium zu stürzen. Wenn sie schon bei Disraeli's Antrag durch Unterstützung der katholischen Jrländer nur um 14 Stimmen in der Mino¬ rität blieben, so konnten sie hier fast mit Sicherheit aus eine Majorität rechnen. Der Sturz des Ministeriums kam aber noch eher, als sie erwartet hatten. Da das Cabinet sich nicht selbst herbeiließ, den ersten Schritt zu der so oft ver¬ sprochenen Wahlreform zu thun, so trug am 20. Februar Hr. Locke King auf Er¬ laubniß zur Einbringung einer Bill an, welche den Census für die Wähler in den Parlamentsflecken auf dieselbe Höhe festsetzte, wie in den Grafschaften, näm¬ lich ans 10 Pfd. jährlichen Zins. Lord John Russell sprach gegen den Antrag, versprach jedoch, zu Anfang nächster Session eine Ausdehnung des Wahlrechts vorzuschlagen. Dennoch entschied sich das Haus mit 100 gegen Stimmen für den King'sehen Antrag. Die Majorität war genau so stark wie die Minorität, welche im vorigen Jahre für den Antrag gestimmt hatte; aber damals hatten die Konservativen mit dem Ministerium gestimmt, währeud sie sich diesmal vor der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/318>, abgerufen am 27.07.2024.