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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Ursache seiner Hinfälligkeit geworden. Am 3. Februar wurde das Parlament eröffnet,
die Thronrede stellte Maßregeln gegen die päpstlichen Übergriffe und eine Re¬
form des Kanzleigerichts in Aussicht, schwieg aber über die Steuerermäßigung
und über die Wahlreform. Am 7. Februar erklärte sich Lord John Russell über
die Absichten der Regierung in Bezug auf die oberwähute Maßregel der päpst¬
lichen Curie. Die von ihm einzubringende Bill hatte den Zweck: erstens die
Annahme bischöflicher Titel, die von Orten in England oder Irland herrühren,
katholischen Geistlichen zu verbieten, zweitens, alle Vermächtnisse, Schenkungen und
vormuudschaftlichc Anvertranuug von Eigenthum an solche Personen null und nichtig
zu machen. Die Bill befriedigte nicht ganz das protestantische Gewissen Eng¬
lands, und selbst sehr gemäßigte Stimmen, wie die Times, verlangten wenigstens,
daß der Zusammentritt katholischer Synoden und die Giftigkeit ihrer Beschlüsse
von der Billigung der Regierung abhängig gemacht werde. Doch zeigte sich
die conservative Seite des Hauses willig, das Ministerium zu unterstützen. Leb¬
hafte" Widerspruch aber fand die beabsichtigte Maßregel unter den Anhängern
des Ministeriums selbst; sowol die Englischen Radicalen, von dem Standpunkte
unbedingter Toleranz aus, wie die 30--40 katholischen Irischen Mitglieder im In¬
teresse ihrer Kirche, vppvnirten der Bill ans das Heftigste. Doch wurde sie
nach dreimal vertagter Debatte am 14. Februar im Princip mit der ungeheuren
Majorität vou 39S gegen 63 Stimmen genehmigt. Wie bedenklich dieser Sieg
für das Ministerium war, hatte sich schon am Tage vorher gezeigt.

Während der Debatte über die ?apa1-aAi'c;s8ion bill hatte dem Unterhaus
noch ein anderer Antrag zur Berathung vorgelegen. Herr Disraeli, der jetzt im
Unterhause der erklärte Führer der Protectionisten ist, verlangte die Ernennung
eines Comite zur Untersuchung des Nothstandes der ackerbauenden Klassen. Der
Antrag hatte keinen unmittelbaren praktischen Zweck; es war einer jener L-iHons
ü'essai, welche die Parteihäuptcr ost steigen lassen, um die Strömungen in der
Atmosphäre des Hauses zu prüfen, und die fernere Parteitaktik darnach einzurich¬
ten. Die Irischen katholischen Mitglieder ergriffen aber mit Freuden diese Gele¬
genheit, um ihrem Zorn gegen das Ministerium Luft zu machen, und eine große
Zahl derselben, obgleich früher die Freihandelspolitik des Ministeriums unter-
stützend, stimmte diesmal "ans Irischen Gründen," wie sie offen bekannten, mit
den Protectionisten. Das Ministerium hatte zwar noch eine Majorität, aber
blos von -14 Stimmen -- 28-1 waren gegen, 267 für den Antrag. Die protec-
tionistischen Zeitungen feierten die Abstimmung als einen halben Sieg; unläugbar
war es ein Zeichen des beginnenden Zerfalls der ministeriellen Majorität. Eine
Art Entschädigung für die Abtrünnigkeit der Irländer war dem Ministerium das
sehr entschiedene Auftrete" Sir I. Graham'S, seit Peels Tode der bedeutendste
Staatsmann der freihändlerischen Conservativen, der seine Anhänger aufforderte,
alle untergeordneten Meinnngsdiffereuzen zu vergessen, und sich in dem großen


Grenzvotcn. II. 1851. 39

Ursache seiner Hinfälligkeit geworden. Am 3. Februar wurde das Parlament eröffnet,
die Thronrede stellte Maßregeln gegen die päpstlichen Übergriffe und eine Re¬
form des Kanzleigerichts in Aussicht, schwieg aber über die Steuerermäßigung
und über die Wahlreform. Am 7. Februar erklärte sich Lord John Russell über
die Absichten der Regierung in Bezug auf die oberwähute Maßregel der päpst¬
lichen Curie. Die von ihm einzubringende Bill hatte den Zweck: erstens die
Annahme bischöflicher Titel, die von Orten in England oder Irland herrühren,
katholischen Geistlichen zu verbieten, zweitens, alle Vermächtnisse, Schenkungen und
vormuudschaftlichc Anvertranuug von Eigenthum an solche Personen null und nichtig
zu machen. Die Bill befriedigte nicht ganz das protestantische Gewissen Eng¬
lands, und selbst sehr gemäßigte Stimmen, wie die Times, verlangten wenigstens,
daß der Zusammentritt katholischer Synoden und die Giftigkeit ihrer Beschlüsse
von der Billigung der Regierung abhängig gemacht werde. Doch zeigte sich
die conservative Seite des Hauses willig, das Ministerium zu unterstützen. Leb¬
hafte» Widerspruch aber fand die beabsichtigte Maßregel unter den Anhängern
des Ministeriums selbst; sowol die Englischen Radicalen, von dem Standpunkte
unbedingter Toleranz aus, wie die 30—40 katholischen Irischen Mitglieder im In¬
teresse ihrer Kirche, vppvnirten der Bill ans das Heftigste. Doch wurde sie
nach dreimal vertagter Debatte am 14. Februar im Princip mit der ungeheuren
Majorität vou 39S gegen 63 Stimmen genehmigt. Wie bedenklich dieser Sieg
für das Ministerium war, hatte sich schon am Tage vorher gezeigt.

Während der Debatte über die ?apa1-aAi'c;s8ion bill hatte dem Unterhaus
noch ein anderer Antrag zur Berathung vorgelegen. Herr Disraeli, der jetzt im
Unterhause der erklärte Führer der Protectionisten ist, verlangte die Ernennung
eines Comite zur Untersuchung des Nothstandes der ackerbauenden Klassen. Der
Antrag hatte keinen unmittelbaren praktischen Zweck; es war einer jener L-iHons
ü'essai, welche die Parteihäuptcr ost steigen lassen, um die Strömungen in der
Atmosphäre des Hauses zu prüfen, und die fernere Parteitaktik darnach einzurich¬
ten. Die Irischen katholischen Mitglieder ergriffen aber mit Freuden diese Gele¬
genheit, um ihrem Zorn gegen das Ministerium Luft zu machen, und eine große
Zahl derselben, obgleich früher die Freihandelspolitik des Ministeriums unter-
stützend, stimmte diesmal „ans Irischen Gründen," wie sie offen bekannten, mit
den Protectionisten. Das Ministerium hatte zwar noch eine Majorität, aber
blos von -14 Stimmen — 28-1 waren gegen, 267 für den Antrag. Die protec-
tionistischen Zeitungen feierten die Abstimmung als einen halben Sieg; unläugbar
war es ein Zeichen des beginnenden Zerfalls der ministeriellen Majorität. Eine
Art Entschädigung für die Abtrünnigkeit der Irländer war dem Ministerium das
sehr entschiedene Auftrete» Sir I. Graham'S, seit Peels Tode der bedeutendste
Staatsmann der freihändlerischen Conservativen, der seine Anhänger aufforderte,
alle untergeordneten Meinnngsdiffereuzen zu vergessen, und sich in dem großen


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[0317] Ursache seiner Hinfälligkeit geworden. Am 3. Februar wurde das Parlament eröffnet, die Thronrede stellte Maßregeln gegen die päpstlichen Übergriffe und eine Re¬ form des Kanzleigerichts in Aussicht, schwieg aber über die Steuerermäßigung und über die Wahlreform. Am 7. Februar erklärte sich Lord John Russell über die Absichten der Regierung in Bezug auf die oberwähute Maßregel der päpst¬ lichen Curie. Die von ihm einzubringende Bill hatte den Zweck: erstens die Annahme bischöflicher Titel, die von Orten in England oder Irland herrühren, katholischen Geistlichen zu verbieten, zweitens, alle Vermächtnisse, Schenkungen und vormuudschaftlichc Anvertranuug von Eigenthum an solche Personen null und nichtig zu machen. Die Bill befriedigte nicht ganz das protestantische Gewissen Eng¬ lands, und selbst sehr gemäßigte Stimmen, wie die Times, verlangten wenigstens, daß der Zusammentritt katholischer Synoden und die Giftigkeit ihrer Beschlüsse von der Billigung der Regierung abhängig gemacht werde. Doch zeigte sich die conservative Seite des Hauses willig, das Ministerium zu unterstützen. Leb¬ hafte» Widerspruch aber fand die beabsichtigte Maßregel unter den Anhängern des Ministeriums selbst; sowol die Englischen Radicalen, von dem Standpunkte unbedingter Toleranz aus, wie die 30—40 katholischen Irischen Mitglieder im In¬ teresse ihrer Kirche, vppvnirten der Bill ans das Heftigste. Doch wurde sie nach dreimal vertagter Debatte am 14. Februar im Princip mit der ungeheuren Majorität vou 39S gegen 63 Stimmen genehmigt. Wie bedenklich dieser Sieg für das Ministerium war, hatte sich schon am Tage vorher gezeigt. Während der Debatte über die ?apa1-aAi'c;s8ion bill hatte dem Unterhaus noch ein anderer Antrag zur Berathung vorgelegen. Herr Disraeli, der jetzt im Unterhause der erklärte Führer der Protectionisten ist, verlangte die Ernennung eines Comite zur Untersuchung des Nothstandes der ackerbauenden Klassen. Der Antrag hatte keinen unmittelbaren praktischen Zweck; es war einer jener L-iHons ü'essai, welche die Parteihäuptcr ost steigen lassen, um die Strömungen in der Atmosphäre des Hauses zu prüfen, und die fernere Parteitaktik darnach einzurich¬ ten. Die Irischen katholischen Mitglieder ergriffen aber mit Freuden diese Gele¬ genheit, um ihrem Zorn gegen das Ministerium Luft zu machen, und eine große Zahl derselben, obgleich früher die Freihandelspolitik des Ministeriums unter- stützend, stimmte diesmal „ans Irischen Gründen," wie sie offen bekannten, mit den Protectionisten. Das Ministerium hatte zwar noch eine Majorität, aber blos von -14 Stimmen — 28-1 waren gegen, 267 für den Antrag. Die protec- tionistischen Zeitungen feierten die Abstimmung als einen halben Sieg; unläugbar war es ein Zeichen des beginnenden Zerfalls der ministeriellen Majorität. Eine Art Entschädigung für die Abtrünnigkeit der Irländer war dem Ministerium das sehr entschiedene Auftrete» Sir I. Graham'S, seit Peels Tode der bedeutendste Staatsmann der freihändlerischen Conservativen, der seine Anhänger aufforderte, alle untergeordneten Meinnngsdiffereuzen zu vergessen, und sich in dem großen Grenzvotcn. II. 1851. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/317>, abgerufen am 27.07.2024.