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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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die Luft ziehen, so lange es dem Einzelnen möglich ist, sie sich vom Leibe zu halten.
Der Holländer Ameröford, die Französischen ans Languedoc, dem Elsaß
und Dünkirchen und die Deutschen, unsre Pfälzer, Hanauer, Nürnberger, Göt¬
tinger, Ohlauer, Soraner, Schwedter n. f. w. sind nützliche Staatsbürger, aber
keine Gentlemen. Eben so wenig der Russische gelbe von Sarepta und der ölige
Saratow. Nur der Ungarische und der Türkische Tabak können sich in guter
Gesellschaft sehen lassen, und der Ungarische leidet doch noch daran, daß die helle"
Sorten flau und gehaltlos, die schwereren erdig und brandig zu sein pflegen,
aber in dem Aroma der besten Arten ist schou ein Orientalischer Adel, der dein
kleinen goldenen Blatte des Türkischen Tabaks in noch höherem Grade zukommt.
Dieser feine Rauchtabak, welcher süß ist, ohne widerlich zu werden, nud mit
betäubendem Wohlgeruch aufregt und darauf einschläfert, gleicht der Poesie deS
Orients, und wird, wie ein Gedicht von Hafis, bei seltenem Genuß entzücken;
zum Hausgenossen und Vertraute" seiner Seele aber kann der kräftige Deutsche
ihn "icht gebrauchen.

Vieles und Interessantes ließe sich über das Rauchen der verschiedenen
Völker und über ihre Pfeifen mittheilen. Aber der Einsender dieser Zeilen mi߬
traut dem Umfange seines ethnographischen Wissens. Und so beschränke sich diese
Mittheilung ans die ersten Elemente menschlicher Bildung, ans die Cigarren der
Havanna!). Es ziemt bei großen Dingen zunächst, nach ihrer Entstehung zu fragen.
Die Fabrikation der Cigarren hat, wie die Bereitung des Weins, etwas Unerklär¬
liches, wobei die Göttin Natur selbstständig als Bildnerin auftritt, und mitten uuter
den menschlichen Handarbeitern geheimnißvolle Operationen vornimmt. Der Mensch
ist wie gewöhnlich darauf bedacht, diese Arbeit der Natur klug für sich zu be¬
nutze". -- Er sammelt zuerst die reifen Blätter ein, indem er entweder die einzel¬
nen abbricht, oder, was vorzüglicher ist, den ganze" Stengel mit den Blät¬
tern abnimmt; er trocknet die Blätter, indem er sie einzeln an einander reiht,
"der den ganze" Stengel mit seinen Blättern aufhängt. Den getrocknete" Tabak
nimmt er vom Trvckcnbodeu, und wickelt die Blätter in Bunde, welche bei
Amerikanischen Sorten hänfig in der bekannten Form der NcmmiuW (Händchen)
den Schaufenstern der Tabaksläden zu sehen sind. Darauf bereitet er eine
große Metamorphose vor, welche wir beim Tabak, wie beim Wein, die Gährung
nenne", und welche in die rohe Masse des Beerensaftes und der Tabaksblätter
Geist, Feuer, ein neues zauberhaftes Leben bringt. Das Verfahren dabei ist sehr
verschieben; bei uns werden die kleinen Tabaksbüudel in lustigen Raume zu vier
bis finf Fuß hohen Häuser zusammengesetzt, in diese Hansen tritt bei feuchtem
Tabak i" wenigen Tage", bei gut getrocknetem in wenigen Wochen, eine starke
Wärme el", die Blätter beginne" zu schwitzen, erhalten eine schöne, gold-
°der kastanienbraune Farbe, verlieren den rohen erdige" Beigeschmack, der
'hum vo" der Bodentrnmc anhing, und gewinnen ihr Aroma, el"e" milder" Ge-


die Luft ziehen, so lange es dem Einzelnen möglich ist, sie sich vom Leibe zu halten.
Der Holländer Ameröford, die Französischen ans Languedoc, dem Elsaß
und Dünkirchen und die Deutschen, unsre Pfälzer, Hanauer, Nürnberger, Göt¬
tinger, Ohlauer, Soraner, Schwedter n. f. w. sind nützliche Staatsbürger, aber
keine Gentlemen. Eben so wenig der Russische gelbe von Sarepta und der ölige
Saratow. Nur der Ungarische und der Türkische Tabak können sich in guter
Gesellschaft sehen lassen, und der Ungarische leidet doch noch daran, daß die helle»
Sorten flau und gehaltlos, die schwereren erdig und brandig zu sein pflegen,
aber in dem Aroma der besten Arten ist schou ein Orientalischer Adel, der dein
kleinen goldenen Blatte des Türkischen Tabaks in noch höherem Grade zukommt.
Dieser feine Rauchtabak, welcher süß ist, ohne widerlich zu werden, nud mit
betäubendem Wohlgeruch aufregt und darauf einschläfert, gleicht der Poesie deS
Orients, und wird, wie ein Gedicht von Hafis, bei seltenem Genuß entzücken;
zum Hausgenossen und Vertraute» seiner Seele aber kann der kräftige Deutsche
ihn »icht gebrauchen.

Vieles und Interessantes ließe sich über das Rauchen der verschiedenen
Völker und über ihre Pfeifen mittheilen. Aber der Einsender dieser Zeilen mi߬
traut dem Umfange seines ethnographischen Wissens. Und so beschränke sich diese
Mittheilung ans die ersten Elemente menschlicher Bildung, ans die Cigarren der
Havanna!). Es ziemt bei großen Dingen zunächst, nach ihrer Entstehung zu fragen.
Die Fabrikation der Cigarren hat, wie die Bereitung des Weins, etwas Unerklär¬
liches, wobei die Göttin Natur selbstständig als Bildnerin auftritt, und mitten uuter
den menschlichen Handarbeitern geheimnißvolle Operationen vornimmt. Der Mensch
ist wie gewöhnlich darauf bedacht, diese Arbeit der Natur klug für sich zu be¬
nutze». — Er sammelt zuerst die reifen Blätter ein, indem er entweder die einzel¬
nen abbricht, oder, was vorzüglicher ist, den ganze» Stengel mit den Blät¬
tern abnimmt; er trocknet die Blätter, indem er sie einzeln an einander reiht,
"der den ganze» Stengel mit seinen Blättern aufhängt. Den getrocknete» Tabak
nimmt er vom Trvckcnbodeu, und wickelt die Blätter in Bunde, welche bei
Amerikanischen Sorten hänfig in der bekannten Form der NcmmiuW (Händchen)
den Schaufenstern der Tabaksläden zu sehen sind. Darauf bereitet er eine
große Metamorphose vor, welche wir beim Tabak, wie beim Wein, die Gährung
nenne», und welche in die rohe Masse des Beerensaftes und der Tabaksblätter
Geist, Feuer, ein neues zauberhaftes Leben bringt. Das Verfahren dabei ist sehr
verschieben; bei uns werden die kleinen Tabaksbüudel in lustigen Raume zu vier
bis finf Fuß hohen Häuser zusammengesetzt, in diese Hansen tritt bei feuchtem
Tabak i» wenigen Tage», bei gut getrocknetem in wenigen Wochen, eine starke
Wärme el», die Blätter beginne» zu schwitzen, erhalten eine schöne, gold-
°der kastanienbraune Farbe, verlieren den rohen erdige» Beigeschmack, der
'hum vo» der Bodentrnmc anhing, und gewinnen ihr Aroma, el»e» milder» Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/89>, abgerufen am 23.07.2024.