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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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den Kindern wieder, die tiefer unten sich nicht mehr sicher fühlten, und ausge¬
gangen waren, Mann und Vater zu suchen. Er brachte sie zu einem befreundeten
Bauer, wo sie sich längere Zeit aufhielten, die Frau angeblich als Hausdirne,
die Kinder als des Bauern eigenes Erzeugnis).

Darauf ging er wieder in die Höhe, und nahm in einer verschneiten Höhle
seine Zuflucht. Als er von da ans um Mitte März einst Reisig sammeln ging,
ergriff ihn eine Lawine, nahm ihn mit sich und zerbrach ihm das Hüftbein.
Unter den wildesten Schmerzen schleppte er sich zu seinem Freunde, ans dem
Voldercrberge, der ihn gastlich aufnahm, und durch eine andere treue Seele ver¬
binden ließ. In der nächsten Nacht trugen sie ihn ans öden Seitenpfaden nach
seinem Hof zu Rinn und luden ihn im Stalle ab. Kam sein Knecht, Joseph
Zoppl, beim Hahuschrei in den Stall, und fand seinen todtblcichcn Herrn. Der
kluge Knecht gab zu verstehen, daß die Streifwachcn der Bayern noch täglich auf
den Hof kämen, not grub ihm im Stall ein schmales Grab. Der Herr legte
sich wclteutsagend hinein, der Knecht deckte ihn mit Bretern HU, und breitete
über diese Kuhmist aus. Frau und Kinder, die unterdessen wieder in ihrer
Heimath eingezogen waren, hatten keine Ahnung, wer in ihrem Stall begraben
lag. Eben so wenig die bayrischen Einquartierungen, die fast täglich aus dem
Hose übernachteten.

In dieser Grube, von seinem Knechte Zoppl mit Ammensorgfalt verpflegt,
hielt Speckbacher fast sechs Wochen aus; die Kleider faulem ihm zwar zuletzt
am Leibe, aber seiue Wunden und Brüche heilten leidlich zusammen.

In deu ersten Tagen des Mai nahm er Abschied von seinen Lieben, l"d
sich etliche Pfund Fleisch und einiges Brod auf, und ging über die Jöcher uach
Dux, von da ins Hintere Zillerthal, dann weiter über, die Gerlas ins Priuzgau,
uach Steyermark und zuletzt nach Wien, wo er Ende Mai ankam. So lange er
in Feindes Land war, getraute er sich nicht, menschliche Wohnungen zu betreten.
Schlafen konnte er sehr wenig; wenn er sich auf den nackten Erdboden hin¬
streckte, zwang ihn die Kälte auf solchen Hohen, bald wieder aufzubrechen. Dabei
war seiue Phantasie so fiebensch aufgeregt, daß ihn selbst im kurzen Schlafe
kriegerische Traumgestalten verfolgten. Dergleichen Phantasiegebilde sollen bei
dem erschreckten Volke in Tyrol nach dem Aufstand vielfältig vorgekommen sein.
Heiligenbilder sollen geweint, Crucifixe an Kreuzwegen mit den Augen gewinkt
haben; abgeblühte Lilien und Stränßcr erhoben frisch ihre Kelche, wenn Waisen
und Wittwen auf dem Schlachtfelds cutschlummerter Landesvertheidiger sich in¬
brünstig vor den Madonnen niederwarfen. Auf unzugänglichen Felsen versicherte
man Gewieher gehört zu haben. Aus Mösern und Haiden streckten zerfleischte
Arme und krallenartige Finger sich dem schaudernden Wanderer entgegen. Den
alten Kaiserthurm zu Kufstein wollte man mehrmals in Flammen sehen. I"
dem blutgetränkten Friedhofe zu Wiltan meinte man blaue Manchen auf den


den Kindern wieder, die tiefer unten sich nicht mehr sicher fühlten, und ausge¬
gangen waren, Mann und Vater zu suchen. Er brachte sie zu einem befreundeten
Bauer, wo sie sich längere Zeit aufhielten, die Frau angeblich als Hausdirne,
die Kinder als des Bauern eigenes Erzeugnis).

Darauf ging er wieder in die Höhe, und nahm in einer verschneiten Höhle
seine Zuflucht. Als er von da ans um Mitte März einst Reisig sammeln ging,
ergriff ihn eine Lawine, nahm ihn mit sich und zerbrach ihm das Hüftbein.
Unter den wildesten Schmerzen schleppte er sich zu seinem Freunde, ans dem
Voldercrberge, der ihn gastlich aufnahm, und durch eine andere treue Seele ver¬
binden ließ. In der nächsten Nacht trugen sie ihn ans öden Seitenpfaden nach
seinem Hof zu Rinn und luden ihn im Stalle ab. Kam sein Knecht, Joseph
Zoppl, beim Hahuschrei in den Stall, und fand seinen todtblcichcn Herrn. Der
kluge Knecht gab zu verstehen, daß die Streifwachcn der Bayern noch täglich auf
den Hof kämen, not grub ihm im Stall ein schmales Grab. Der Herr legte
sich wclteutsagend hinein, der Knecht deckte ihn mit Bretern HU, und breitete
über diese Kuhmist aus. Frau und Kinder, die unterdessen wieder in ihrer
Heimath eingezogen waren, hatten keine Ahnung, wer in ihrem Stall begraben
lag. Eben so wenig die bayrischen Einquartierungen, die fast täglich aus dem
Hose übernachteten.

In dieser Grube, von seinem Knechte Zoppl mit Ammensorgfalt verpflegt,
hielt Speckbacher fast sechs Wochen aus; die Kleider faulem ihm zwar zuletzt
am Leibe, aber seiue Wunden und Brüche heilten leidlich zusammen.

In deu ersten Tagen des Mai nahm er Abschied von seinen Lieben, l»d
sich etliche Pfund Fleisch und einiges Brod auf, und ging über die Jöcher uach
Dux, von da ins Hintere Zillerthal, dann weiter über, die Gerlas ins Priuzgau,
uach Steyermark und zuletzt nach Wien, wo er Ende Mai ankam. So lange er
in Feindes Land war, getraute er sich nicht, menschliche Wohnungen zu betreten.
Schlafen konnte er sehr wenig; wenn er sich auf den nackten Erdboden hin¬
streckte, zwang ihn die Kälte auf solchen Hohen, bald wieder aufzubrechen. Dabei
war seiue Phantasie so fiebensch aufgeregt, daß ihn selbst im kurzen Schlafe
kriegerische Traumgestalten verfolgten. Dergleichen Phantasiegebilde sollen bei
dem erschreckten Volke in Tyrol nach dem Aufstand vielfältig vorgekommen sein.
Heiligenbilder sollen geweint, Crucifixe an Kreuzwegen mit den Augen gewinkt
haben; abgeblühte Lilien und Stränßcr erhoben frisch ihre Kelche, wenn Waisen
und Wittwen auf dem Schlachtfelds cutschlummerter Landesvertheidiger sich in¬
brünstig vor den Madonnen niederwarfen. Auf unzugänglichen Felsen versicherte
man Gewieher gehört zu haben. Aus Mösern und Haiden streckten zerfleischte
Arme und krallenartige Finger sich dem schaudernden Wanderer entgegen. Den
alten Kaiserthurm zu Kufstein wollte man mehrmals in Flammen sehen. I"
dem blutgetränkten Friedhofe zu Wiltan meinte man blaue Manchen auf den


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[0494] den Kindern wieder, die tiefer unten sich nicht mehr sicher fühlten, und ausge¬ gangen waren, Mann und Vater zu suchen. Er brachte sie zu einem befreundeten Bauer, wo sie sich längere Zeit aufhielten, die Frau angeblich als Hausdirne, die Kinder als des Bauern eigenes Erzeugnis). Darauf ging er wieder in die Höhe, und nahm in einer verschneiten Höhle seine Zuflucht. Als er von da ans um Mitte März einst Reisig sammeln ging, ergriff ihn eine Lawine, nahm ihn mit sich und zerbrach ihm das Hüftbein. Unter den wildesten Schmerzen schleppte er sich zu seinem Freunde, ans dem Voldercrberge, der ihn gastlich aufnahm, und durch eine andere treue Seele ver¬ binden ließ. In der nächsten Nacht trugen sie ihn ans öden Seitenpfaden nach seinem Hof zu Rinn und luden ihn im Stalle ab. Kam sein Knecht, Joseph Zoppl, beim Hahuschrei in den Stall, und fand seinen todtblcichcn Herrn. Der kluge Knecht gab zu verstehen, daß die Streifwachcn der Bayern noch täglich auf den Hof kämen, not grub ihm im Stall ein schmales Grab. Der Herr legte sich wclteutsagend hinein, der Knecht deckte ihn mit Bretern HU, und breitete über diese Kuhmist aus. Frau und Kinder, die unterdessen wieder in ihrer Heimath eingezogen waren, hatten keine Ahnung, wer in ihrem Stall begraben lag. Eben so wenig die bayrischen Einquartierungen, die fast täglich aus dem Hose übernachteten. In dieser Grube, von seinem Knechte Zoppl mit Ammensorgfalt verpflegt, hielt Speckbacher fast sechs Wochen aus; die Kleider faulem ihm zwar zuletzt am Leibe, aber seiue Wunden und Brüche heilten leidlich zusammen. In deu ersten Tagen des Mai nahm er Abschied von seinen Lieben, l»d sich etliche Pfund Fleisch und einiges Brod auf, und ging über die Jöcher uach Dux, von da ins Hintere Zillerthal, dann weiter über, die Gerlas ins Priuzgau, uach Steyermark und zuletzt nach Wien, wo er Ende Mai ankam. So lange er in Feindes Land war, getraute er sich nicht, menschliche Wohnungen zu betreten. Schlafen konnte er sehr wenig; wenn er sich auf den nackten Erdboden hin¬ streckte, zwang ihn die Kälte auf solchen Hohen, bald wieder aufzubrechen. Dabei war seiue Phantasie so fiebensch aufgeregt, daß ihn selbst im kurzen Schlafe kriegerische Traumgestalten verfolgten. Dergleichen Phantasiegebilde sollen bei dem erschreckten Volke in Tyrol nach dem Aufstand vielfältig vorgekommen sein. Heiligenbilder sollen geweint, Crucifixe an Kreuzwegen mit den Augen gewinkt haben; abgeblühte Lilien und Stränßcr erhoben frisch ihre Kelche, wenn Waisen und Wittwen auf dem Schlachtfelds cutschlummerter Landesvertheidiger sich in¬ brünstig vor den Madonnen niederwarfen. Auf unzugänglichen Felsen versicherte man Gewieher gehört zu haben. Aus Mösern und Haiden streckten zerfleischte Arme und krallenartige Finger sich dem schaudernden Wanderer entgegen. Den alten Kaiserthurm zu Kufstein wollte man mehrmals in Flammen sehen. I" dem blutgetränkten Friedhofe zu Wiltan meinte man blaue Manchen auf den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/494>, abgerufen am 23.07.2024.