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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Gräbern der erschlagenen Tyroler erblickt zu haben. Im Thal Passeyer hörte
man schweren Kanonendonner oft an Tagen, wo weit und breit Niemand einen
Schuß abließ.

Dieses halbe Jahr aus Speckbachers Leben hat zuerst Bartholdi in seinem
"Kriege der Tyroler Landleute" nach Erzählungen, die jener zu Wien gegeben,
dem deutschen Vaterlande mitgetheilt. Wunderbar, wie der Bericht lautet, ging
er bald auch in englische und französische Bücher über. Die Tyroler, die ihn
dort lasen, wollten ihn selbst nicht mehr glauben. Ich erinnere mich wenigstens,
wie ich vor manchem Jahre im Tyrolerboten eine Anzeige las, sehr gereizt
geschrieben, worin sich der junge Recensent über ein ausländisches Buch erboste,
welches wortgetreu, aber ohne die Quelle zu nennen, die Barthvldi'sche Erzählung
gab. Recensent sand es sehr betrübend, daß unberufene Ausländer die Tyroler
derlei erlogene Abenteuer bestehen ließen. Gubernialrath Voglfanger, der ge¬
wissenhafte Mann, beschämte ihn später dadurch, daß er alle diese Abenteuer
wieder in die Skizze aufnahm, die er selbst vou Speckbacher's Leben niederschrieb.
I. G. Mayr will seine Erzählung aus dem Munde des Mannes selbst vernom¬
men haben. Uebrigens haben Andere nicht viel weniger ausgestanden, nur ist es
nicht so im Einzelnen bekannt geworden. Auch der unselige Kolb, der am Eude
des Aufstandes eine so wahnsinnige Rolle gespielt, lag mit seinem Sohne sechs
Wochen in einer Alpendohle des Cüsenthales. Joachim Haspinger war neun
Monate lang bei einem Freunde verborge", bis er sich nach Oestreich retten
konnte.

Der Kaiser zu Wien soll seinen Helden mit ungemeiner Huld empfangen
hab.en; er verlieh ihm eine goldene Medaille und ein Landgut in Ungarn, im
Temeswarer Banat. Die flüchtigen Tyroler sollte" sich überhaupt dort unten in.
Ungarn ansiedeln, und eine säuberliche Niederlassung herstellen. Als Speckbacher
aber an Ort und Stelle kam, das niedrige trockene Land und das walachische
Volk, seine künftigen Nachbarn, betrachtete, wollte^ihm,das ungarische Bauern¬
wesen sehr wenig gefallen. Er schrieb gleichwol an seine Frau, ob sie kommen
wolle; sie antwortete, sie könne ihr liebes Heimathland nicht verlassen.")

Da gab anch er diesen ungarischen Trödel auf.

Bald darauf kaufte er sich ein Gütchen in einem Dorfe bei Wien, wobei
er aber den Kaufpreis zum größten Theile schuldig bleiben mußte. Nun schrieb
er auch wieder seiner Frau, und die Speckbacherin kam wirklich zu ihm, konnte
es aber vor Heimweh nicht aushalten, und zog wieder nach Tyrol. Auf der



*) Uebrigens weiß ich doch wirklich nicht, ob solche Briefe als echt gegeben werden
sollten, da doch jeder vernünftige Leser sieht, daß sie von dem angeblichen Briefsteller oder der
angeblichen Briestcllerin unmöglich geschrieben sein können, dagegen höchst wahrscheinlich vom
Herrn Pfarrer, Herrn Adjunct, Herrn Doctor herrühren. Die juridische Regel -juoÄ' sud-
Lvripsi scrixsi kann doch da unmöglich gelten.
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Gräbern der erschlagenen Tyroler erblickt zu haben. Im Thal Passeyer hörte
man schweren Kanonendonner oft an Tagen, wo weit und breit Niemand einen
Schuß abließ.

Dieses halbe Jahr aus Speckbachers Leben hat zuerst Bartholdi in seinem
„Kriege der Tyroler Landleute" nach Erzählungen, die jener zu Wien gegeben,
dem deutschen Vaterlande mitgetheilt. Wunderbar, wie der Bericht lautet, ging
er bald auch in englische und französische Bücher über. Die Tyroler, die ihn
dort lasen, wollten ihn selbst nicht mehr glauben. Ich erinnere mich wenigstens,
wie ich vor manchem Jahre im Tyrolerboten eine Anzeige las, sehr gereizt
geschrieben, worin sich der junge Recensent über ein ausländisches Buch erboste,
welches wortgetreu, aber ohne die Quelle zu nennen, die Barthvldi'sche Erzählung
gab. Recensent sand es sehr betrübend, daß unberufene Ausländer die Tyroler
derlei erlogene Abenteuer bestehen ließen. Gubernialrath Voglfanger, der ge¬
wissenhafte Mann, beschämte ihn später dadurch, daß er alle diese Abenteuer
wieder in die Skizze aufnahm, die er selbst vou Speckbacher's Leben niederschrieb.
I. G. Mayr will seine Erzählung aus dem Munde des Mannes selbst vernom¬
men haben. Uebrigens haben Andere nicht viel weniger ausgestanden, nur ist es
nicht so im Einzelnen bekannt geworden. Auch der unselige Kolb, der am Eude
des Aufstandes eine so wahnsinnige Rolle gespielt, lag mit seinem Sohne sechs
Wochen in einer Alpendohle des Cüsenthales. Joachim Haspinger war neun
Monate lang bei einem Freunde verborge«, bis er sich nach Oestreich retten
konnte.

Der Kaiser zu Wien soll seinen Helden mit ungemeiner Huld empfangen
hab.en; er verlieh ihm eine goldene Medaille und ein Landgut in Ungarn, im
Temeswarer Banat. Die flüchtigen Tyroler sollte« sich überhaupt dort unten in.
Ungarn ansiedeln, und eine säuberliche Niederlassung herstellen. Als Speckbacher
aber an Ort und Stelle kam, das niedrige trockene Land und das walachische
Volk, seine künftigen Nachbarn, betrachtete, wollte^ihm,das ungarische Bauern¬
wesen sehr wenig gefallen. Er schrieb gleichwol an seine Frau, ob sie kommen
wolle; sie antwortete, sie könne ihr liebes Heimathland nicht verlassen.")

Da gab anch er diesen ungarischen Trödel auf.

Bald darauf kaufte er sich ein Gütchen in einem Dorfe bei Wien, wobei
er aber den Kaufpreis zum größten Theile schuldig bleiben mußte. Nun schrieb
er auch wieder seiner Frau, und die Speckbacherin kam wirklich zu ihm, konnte
es aber vor Heimweh nicht aushalten, und zog wieder nach Tyrol. Auf der



*) Uebrigens weiß ich doch wirklich nicht, ob solche Briefe als echt gegeben werden
sollten, da doch jeder vernünftige Leser sieht, daß sie von dem angeblichen Briefsteller oder der
angeblichen Briestcllerin unmöglich geschrieben sein können, dagegen höchst wahrscheinlich vom
Herrn Pfarrer, Herrn Adjunct, Herrn Doctor herrühren. Die juridische Regel -juoÄ' sud-
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[0495] Gräbern der erschlagenen Tyroler erblickt zu haben. Im Thal Passeyer hörte man schweren Kanonendonner oft an Tagen, wo weit und breit Niemand einen Schuß abließ. Dieses halbe Jahr aus Speckbachers Leben hat zuerst Bartholdi in seinem „Kriege der Tyroler Landleute" nach Erzählungen, die jener zu Wien gegeben, dem deutschen Vaterlande mitgetheilt. Wunderbar, wie der Bericht lautet, ging er bald auch in englische und französische Bücher über. Die Tyroler, die ihn dort lasen, wollten ihn selbst nicht mehr glauben. Ich erinnere mich wenigstens, wie ich vor manchem Jahre im Tyrolerboten eine Anzeige las, sehr gereizt geschrieben, worin sich der junge Recensent über ein ausländisches Buch erboste, welches wortgetreu, aber ohne die Quelle zu nennen, die Barthvldi'sche Erzählung gab. Recensent sand es sehr betrübend, daß unberufene Ausländer die Tyroler derlei erlogene Abenteuer bestehen ließen. Gubernialrath Voglfanger, der ge¬ wissenhafte Mann, beschämte ihn später dadurch, daß er alle diese Abenteuer wieder in die Skizze aufnahm, die er selbst vou Speckbacher's Leben niederschrieb. I. G. Mayr will seine Erzählung aus dem Munde des Mannes selbst vernom¬ men haben. Uebrigens haben Andere nicht viel weniger ausgestanden, nur ist es nicht so im Einzelnen bekannt geworden. Auch der unselige Kolb, der am Eude des Aufstandes eine so wahnsinnige Rolle gespielt, lag mit seinem Sohne sechs Wochen in einer Alpendohle des Cüsenthales. Joachim Haspinger war neun Monate lang bei einem Freunde verborge«, bis er sich nach Oestreich retten konnte. Der Kaiser zu Wien soll seinen Helden mit ungemeiner Huld empfangen hab.en; er verlieh ihm eine goldene Medaille und ein Landgut in Ungarn, im Temeswarer Banat. Die flüchtigen Tyroler sollte« sich überhaupt dort unten in. Ungarn ansiedeln, und eine säuberliche Niederlassung herstellen. Als Speckbacher aber an Ort und Stelle kam, das niedrige trockene Land und das walachische Volk, seine künftigen Nachbarn, betrachtete, wollte^ihm,das ungarische Bauern¬ wesen sehr wenig gefallen. Er schrieb gleichwol an seine Frau, ob sie kommen wolle; sie antwortete, sie könne ihr liebes Heimathland nicht verlassen.") Da gab anch er diesen ungarischen Trödel auf. Bald darauf kaufte er sich ein Gütchen in einem Dorfe bei Wien, wobei er aber den Kaufpreis zum größten Theile schuldig bleiben mußte. Nun schrieb er auch wieder seiner Frau, und die Speckbacherin kam wirklich zu ihm, konnte es aber vor Heimweh nicht aushalten, und zog wieder nach Tyrol. Auf der *) Uebrigens weiß ich doch wirklich nicht, ob solche Briefe als echt gegeben werden sollten, da doch jeder vernünftige Leser sieht, daß sie von dem angeblichen Briefsteller oder der angeblichen Briestcllerin unmöglich geschrieben sein können, dagegen höchst wahrscheinlich vom Herrn Pfarrer, Herrn Adjunct, Herrn Doctor herrühren. Die juridische Regel -juoÄ' sud- Lvripsi scrixsi kann doch da unmöglich gelten. 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/495>, abgerufen am 23.07.2024.