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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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sondern nur, um sich augenblicklich in eine lebhaftere Erregung zu versetzen, um
der drückenden Langenweile zu entfliehen. Sie bringen daher von ihren Anstren¬
gungen keine dauerhaften Schätze mit. Ihre lauten Anschauungen geben ihrer
sinnlichen Empfindung eine große Feinheit, ihrer Leidenschaft einen entsprechenden
Ausdruck, aber die höchsten Functionen des menschlichen Geistes bleiben unbe¬
friedigt; keine allgemeine und wohlbegründete Idee für deu Verstand, keine dauer¬
hafte Nahrung für das Herz wird gewonnen; die Leidenschaft wird gesucht als
ein Reizmittel, genährt dnrch schwelgerischen Müßiggang, erhöht durch die mate¬
riellen Hilfsmittel einer raffinirten Civilisation und durch glänzende Verhältnisse,
gefeiert durch eine schimmernde Literatur, die sich zur Magd der Sinnlichkeit herab¬
würdigt, und deren einziger Ausgang die Eitelkeit ist. Das Spiel, die bequemste
und zugleich die sicherste Art, der Langenweile zu entgehen, erfordert bei einem fa-
shionablen Edelmann eben so viel Ernst und Studium, als die Wissenschaft oder
das bürgerliche Geschäft, aber es dient dazu, das ganze Lebe" in einen Schein
zu verkehren.

Die Atmosphäre dieser Welt athmet uns in Byron's Gedichten entgegen,
und er ist sich dessen auch wohl bewußt. Ju einem unbewachten Augenblicke läßt
er sich trotz seines Liberalismus zu der Erklärung hinreißen, daß eigentlich nur
ihm und bei Thomas Moore von Poesie die Rede sein könne, weil Beide das
vornehme Leben kennten und mitgemacht hätten; die anderen Dichter gingen in
engen Verhältnissen und kleinen Gesichtskreisen unter. Das ist allerdings nicht
Mi Glaubensbekenntniß,-an dem er immer festgehalten hat, aber auch schon als
vorübergehender Einfall ist es charakteristisch. Er war anch im Uebrigen in sei¬
nen Ansichten strenger Aristokrat, und hat darum wahre Freundschaft eben so wenig
gekannt, als vielleicht wahre Liebe. Sein politischer Liberalismus läßt sich damit
M>z bequem vereinigen. Er ging Hand in Hand mit jenem Freiheitsdrang des
Adels halbgebildeter Nationen, bei denen seine Poesie anch vielleicht die nachhal¬
tigste Wirkung ausgeübt hat: es war die Liebe zu einem kräftigen, ursprünglichen,
wichen und lebhaft bewegten Leben, und der Haß gegen deu Mechanismus des
gefühllosen, absoluten Staats, der dem Herzen keine Erhebung verstattet, und
der die geniale und freie Natur tu unerträgliche Fesseln zwingt. Aristokratisch
selbst der Uebermuth, mit dem er für die Sache der Freiheit wirkte, der
Leichtsinn, mit dem er sich durch unmittelbare Stimmungen in Beziehung auf
die ernsthaftesten politischen Fragen leiten ließ, und die grandiose, etwas vornehme
fauler, mit der er mit seineu freilich sehr verschiedenartigen Verbündeten um
Mg. Ueberhaupt ist der aristokratische Sinn bei den Engländern so eiugewur-
5°le, daß z. B. Thomas Moore in den Notizen, die er über das Leben seines
Freundes giebt, in Augenblicken, wo man eher alles Andere erwarten sollte, sichdaran erinnert, daß er es mit einem "edlen Lord" zu thun hat.

Allerdings hat diese Rücksicht aus seine hohe Geburt und seine Stellung im


sondern nur, um sich augenblicklich in eine lebhaftere Erregung zu versetzen, um
der drückenden Langenweile zu entfliehen. Sie bringen daher von ihren Anstren¬
gungen keine dauerhaften Schätze mit. Ihre lauten Anschauungen geben ihrer
sinnlichen Empfindung eine große Feinheit, ihrer Leidenschaft einen entsprechenden
Ausdruck, aber die höchsten Functionen des menschlichen Geistes bleiben unbe¬
friedigt; keine allgemeine und wohlbegründete Idee für deu Verstand, keine dauer¬
hafte Nahrung für das Herz wird gewonnen; die Leidenschaft wird gesucht als
ein Reizmittel, genährt dnrch schwelgerischen Müßiggang, erhöht durch die mate¬
riellen Hilfsmittel einer raffinirten Civilisation und durch glänzende Verhältnisse,
gefeiert durch eine schimmernde Literatur, die sich zur Magd der Sinnlichkeit herab¬
würdigt, und deren einziger Ausgang die Eitelkeit ist. Das Spiel, die bequemste
und zugleich die sicherste Art, der Langenweile zu entgehen, erfordert bei einem fa-
shionablen Edelmann eben so viel Ernst und Studium, als die Wissenschaft oder
das bürgerliche Geschäft, aber es dient dazu, das ganze Lebe» in einen Schein
zu verkehren.

Die Atmosphäre dieser Welt athmet uns in Byron's Gedichten entgegen,
und er ist sich dessen auch wohl bewußt. Ju einem unbewachten Augenblicke läßt
er sich trotz seines Liberalismus zu der Erklärung hinreißen, daß eigentlich nur
ihm und bei Thomas Moore von Poesie die Rede sein könne, weil Beide das
vornehme Leben kennten und mitgemacht hätten; die anderen Dichter gingen in
engen Verhältnissen und kleinen Gesichtskreisen unter. Das ist allerdings nicht
Mi Glaubensbekenntniß,-an dem er immer festgehalten hat, aber auch schon als
vorübergehender Einfall ist es charakteristisch. Er war anch im Uebrigen in sei¬
nen Ansichten strenger Aristokrat, und hat darum wahre Freundschaft eben so wenig
gekannt, als vielleicht wahre Liebe. Sein politischer Liberalismus läßt sich damit
M>z bequem vereinigen. Er ging Hand in Hand mit jenem Freiheitsdrang des
Adels halbgebildeter Nationen, bei denen seine Poesie anch vielleicht die nachhal¬
tigste Wirkung ausgeübt hat: es war die Liebe zu einem kräftigen, ursprünglichen,
wichen und lebhaft bewegten Leben, und der Haß gegen deu Mechanismus des
gefühllosen, absoluten Staats, der dem Herzen keine Erhebung verstattet, und
der die geniale und freie Natur tu unerträgliche Fesseln zwingt. Aristokratisch
selbst der Uebermuth, mit dem er für die Sache der Freiheit wirkte, der
Leichtsinn, mit dem er sich durch unmittelbare Stimmungen in Beziehung auf
die ernsthaftesten politischen Fragen leiten ließ, und die grandiose, etwas vornehme
fauler, mit der er mit seineu freilich sehr verschiedenartigen Verbündeten um
Mg. Ueberhaupt ist der aristokratische Sinn bei den Engländern so eiugewur-
5°le, daß z. B. Thomas Moore in den Notizen, die er über das Leben seines
Freundes giebt, in Augenblicken, wo man eher alles Andere erwarten sollte, sichdaran erinnert, daß er es mit einem „edlen Lord" zu thun hat.

Allerdings hat diese Rücksicht aus seine hohe Geburt und seine Stellung im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/49>, abgerufen am 23.07.2024.