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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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die Welt geht, verfällt er in dem nämlichen Augenblick in die kleinen Leiden der
persönlichen Eitelkeit, und die letztern wirken so lebhaft auf ihn ein, daß er dar¬
über nicht uur die Welt vergißt, soudern sich auch in sehr ernsthaften Dingen
von ihnen bestimmen läßt. Es liegt in dieser formten Haltung der Welt gegen¬
über immer eine gewisse Coquetterie. Der Dichter kann es nicht vergessen, daß
der Anflug von Schwermuth seinem Gesicht einen interessanten Ausdruck verleiht.
Zugleich liegt in dem beständigen Wechsel von ausgelassener Laune und finsterer
Traurigkeit etwas Krankhaftes, welches freilich auch in seiner Lebensweise seinen
Grund sendet. Wir müssen erstaunen, wenn wir in seinen Tagebüchern den
Wahnsinn verfolgen, mit welchem er gegen seine Gesundheit wüthete, und
zwar ohne eigentliche Lust, denu der Rausch machte ihn finster und einsylbig,
und auch die Freuden der Liebe hatten wenigstens in den letzten Jahren
für ihn ihren Reiz verloren. Der letzte Grund aber jener Sehnsucht nach
einem Unbestimmten, das ihn stets floh, war die fürchterliche Langeweile, über die
er, wie über den Dämon seines Lebens, die bittersten Klagen führt, und die uns
lebhaft an Pascal's wunderbaren Einfall erinnert, das ganze Streben der Men¬
schen im Ernst und Spiel gehe nur darauf aus, sich selbst zu fliehen, sich selbst
zu vergessen, weil, wenn sie einmal genöthigt würden, mit ihrem Innern allein
zu sein, die daraus hervorsteigenden Nachtgespcnster sie in ein solches Entsetzen
jagen würden, daß sie es mehr fliehen, als den Tod.

Was Pascal als die Natur des sündhaften Menschen im Allgemeinen an¬
giebt, ist nur der Ausdruck einer bestimmten Stufe der Cultur. Hier komme"
wir auf einen Punkt, der für das Wesen unsres Dichters charakteristisch ist, und
den man gar zu leicht übersieht. Byron ist der eigentliche Ausdruck der moder¬
nen Aristokratie, nicht jener schlichten, einfachen Landaristokratie, wie sie W. Scott
schildert, die theils in den Traditionen ihrer heroischen Vorzeit, theils in sehr
einfachen und selbst beschränkten äußerlichen Verhältnissen und sittlichen Vorstelln"?.""
lebt, sondern jener unermeßlich reichen Aristokratie der großen Weltstädte, die siel)
genöthigt sieht, das Wahnsinnigste nud Unmöglichste zu träumen, um nur ni
irgend einer Weise die Wirklichkeit zu überbieten. Mit ausgestreckten Armen ver¬
folgen diese modernen Heliogvbale die Prvtenssormen des Vergnügens, nur un
zu finden, daß dieses flüchtige Wesen ihnen so schnell entschlüpft, als sie es er¬
griffen haben, und daß es nur Müdigkeit, Verdruß und freudlose Leere hinter siel)
läßt. Ihr einziges Ideal ist das entzückende Zittern der fein gespannten Nerven,
in dem sie allein ihr sonst gegenstandloses Dasein empfinden; ihr Pathos >>
die Neue über den Verlust des menschlichen Inhalts, ihre Weisheit die Mattig¬
keit und Uebersättigung ermüdeter Wollust. Zur Abwechslung ihrer sinnlichen
Freuden unternehmen sie auch literarische Studien; sie treiben Politik, machen
weite Reisen, aber nicht in jenem ernsten, hoffnungsvollen, aufopfernden Geist,


die Welt geht, verfällt er in dem nämlichen Augenblick in die kleinen Leiden der
persönlichen Eitelkeit, und die letztern wirken so lebhaft auf ihn ein, daß er dar¬
über nicht uur die Welt vergißt, soudern sich auch in sehr ernsthaften Dingen
von ihnen bestimmen läßt. Es liegt in dieser formten Haltung der Welt gegen¬
über immer eine gewisse Coquetterie. Der Dichter kann es nicht vergessen, daß
der Anflug von Schwermuth seinem Gesicht einen interessanten Ausdruck verleiht.
Zugleich liegt in dem beständigen Wechsel von ausgelassener Laune und finsterer
Traurigkeit etwas Krankhaftes, welches freilich auch in seiner Lebensweise seinen
Grund sendet. Wir müssen erstaunen, wenn wir in seinen Tagebüchern den
Wahnsinn verfolgen, mit welchem er gegen seine Gesundheit wüthete, und
zwar ohne eigentliche Lust, denu der Rausch machte ihn finster und einsylbig,
und auch die Freuden der Liebe hatten wenigstens in den letzten Jahren
für ihn ihren Reiz verloren. Der letzte Grund aber jener Sehnsucht nach
einem Unbestimmten, das ihn stets floh, war die fürchterliche Langeweile, über die
er, wie über den Dämon seines Lebens, die bittersten Klagen führt, und die uns
lebhaft an Pascal's wunderbaren Einfall erinnert, das ganze Streben der Men¬
schen im Ernst und Spiel gehe nur darauf aus, sich selbst zu fliehen, sich selbst
zu vergessen, weil, wenn sie einmal genöthigt würden, mit ihrem Innern allein
zu sein, die daraus hervorsteigenden Nachtgespcnster sie in ein solches Entsetzen
jagen würden, daß sie es mehr fliehen, als den Tod.

Was Pascal als die Natur des sündhaften Menschen im Allgemeinen an¬
giebt, ist nur der Ausdruck einer bestimmten Stufe der Cultur. Hier komme»
wir auf einen Punkt, der für das Wesen unsres Dichters charakteristisch ist, und
den man gar zu leicht übersieht. Byron ist der eigentliche Ausdruck der moder¬
nen Aristokratie, nicht jener schlichten, einfachen Landaristokratie, wie sie W. Scott
schildert, die theils in den Traditionen ihrer heroischen Vorzeit, theils in sehr
einfachen und selbst beschränkten äußerlichen Verhältnissen und sittlichen Vorstelln»?.«"
lebt, sondern jener unermeßlich reichen Aristokratie der großen Weltstädte, die siel)
genöthigt sieht, das Wahnsinnigste nud Unmöglichste zu träumen, um nur ni
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folgen diese modernen Heliogvbale die Prvtenssormen des Vergnügens, nur un
zu finden, daß dieses flüchtige Wesen ihnen so schnell entschlüpft, als sie es er¬
griffen haben, und daß es nur Müdigkeit, Verdruß und freudlose Leere hinter siel)
läßt. Ihr einziges Ideal ist das entzückende Zittern der fein gespannten Nerven,
in dem sie allein ihr sonst gegenstandloses Dasein empfinden; ihr Pathos >>
die Neue über den Verlust des menschlichen Inhalts, ihre Weisheit die Mattig¬
keit und Uebersättigung ermüdeter Wollust. Zur Abwechslung ihrer sinnlichen
Freuden unternehmen sie auch literarische Studien; sie treiben Politik, machen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/48>, abgerufen am 23.07.2024.