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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Leben die Englische Gesellschaft nicht abgehalten, wegen seiner Unsittlichkeit mit
'bin entschieden zu brechen. Es ist nicht leicht, in dieser Beziehung sich ein voll'
kommen unparteiisches Urtheil zu bilden. Die Prüderie der Engländer ist sehr
groß, allein wir könne" "us nicht verhehlen, daß in der hohen Aristokratie Cha¬
raktere genug sich vorfinden, die an raffinirter Unsittlichkeit Lord Byron wenig¬
stens gleichkommen, ohne daß die Englische Gesellschaft sich genöthigt sieht, ein
Scherbengericht über sie zu ballen. Man erinnere sich an die Figur Lord Stey-
ne's bei Thackeray, wobei man freilich nicht übersehen darf, daß seit dreißig Jahren
sich auch in dieser Beziehung viel geändert hat; die Hauptsache war aber immer,
daß bei dem Glänze seines Ruhmes Byron'S Leben als ein öffentliches an¬
gesehen werden mußte, daß seine "unsittliche Gesinnung" also öffentliches Aer¬
gerniß gab. Ganz auf ähnliche Weise hat der Französische Adel, dem man wahr¬
haftig keine übertriebene Prüderie vorwerfen wird, über Mirabeau den Stab
gebrochen. Beide tasteten nicht allein die Grundvesten der sogenannte" Sittlich¬
keit an, sondern sie rüttelten zugleich an dem altehnvürdigcn Ban der gescllschaf"
lichen Institutionen; Beide waren in ihrer innersten Gesinnung entschiedene Ari¬
stokraten, d. h. Aristokraten als Einzelne, sie hatten aber nicht die Disciplin einer
conservativen Partei, sie gingen frei und souverain ihrem Gefühl und ihrer Lei¬
denschaft nach, und wirkten daher demagogisch gegen das Bestehende. Das haben
ihnen ihre Standesgenossen nie verziehen, und in den Eifer derselben für das
Christenthum und die öffentliche Moral mischt sich eine starke Färbung politischer
Antipathie.

Um Byron richtig zu würdigen, müssen wir die verschiedenen Perioden sei¬
ner poetischen Thätigkeit sondern. Sie scheiden sich durch das öffentliche Ereig¬
nis; , welches für seine gesellschaftliche Stellung wie für seine Empfindungen eine
neue Wendung herbeiführte, nämlich die Scheidung von seiner Gemahlin, 18<6.

Von seinen ersten poetische" Versuchen, den "Stunden der Muße", 16^'
ist nicht viel zu sagen. Die Gedichte des 19jährige" In"gli"go unterschiede"
sich nicht wesentlich von denen seiner Zeitgenossen. Eine strenge Kritik, die in
der Edinbnrgher Vierteljahrschrift erschien, veranlaßte ihn zu der bekannten Sa-
tyre gegen die Schottischen Kritiker, die, aufrichtig gesagt, eben so langweilig ""d
unpoetisch ist, wie das Meiste, das wir in diesem negativen Genre kenne",
Moore und Shelley mit eingerechnet. Byron hat auch in der folgenden Zeit
noch mehrere Satyren geschrieben, meistens politischen Inhalts, z. B. "D"
Bision des Gerichts" gegen König Georg, die sich alle durch eine sehr entschiedene
Grobheit-auszeichnen. Der Eindruck derselben wird aber bedeutend geschwächt,
wenn man erfährt, daß in den allermeisten Fällen irgend ein Motiv beleidigter Eitel¬
keit vorhanden war. So hat er in seiner ersten Satyre W. Scott noch helM
angegriffen; als Dieser sich aber davon nicht abhalten ließ, Byron's mit vielem
Lob und Theilnahme zu gedenken, verwandelte sich die erste Abneigung i" eine


Leben die Englische Gesellschaft nicht abgehalten, wegen seiner Unsittlichkeit mit
'bin entschieden zu brechen. Es ist nicht leicht, in dieser Beziehung sich ein voll'
kommen unparteiisches Urtheil zu bilden. Die Prüderie der Engländer ist sehr
groß, allein wir könne» »us nicht verhehlen, daß in der hohen Aristokratie Cha¬
raktere genug sich vorfinden, die an raffinirter Unsittlichkeit Lord Byron wenig¬
stens gleichkommen, ohne daß die Englische Gesellschaft sich genöthigt sieht, ein
Scherbengericht über sie zu ballen. Man erinnere sich an die Figur Lord Stey-
ne's bei Thackeray, wobei man freilich nicht übersehen darf, daß seit dreißig Jahren
sich auch in dieser Beziehung viel geändert hat; die Hauptsache war aber immer,
daß bei dem Glänze seines Ruhmes Byron'S Leben als ein öffentliches an¬
gesehen werden mußte, daß seine „unsittliche Gesinnung" also öffentliches Aer¬
gerniß gab. Ganz auf ähnliche Weise hat der Französische Adel, dem man wahr¬
haftig keine übertriebene Prüderie vorwerfen wird, über Mirabeau den Stab
gebrochen. Beide tasteten nicht allein die Grundvesten der sogenannte» Sittlich¬
keit an, sondern sie rüttelten zugleich an dem altehnvürdigcn Ban der gescllschaf»
lichen Institutionen; Beide waren in ihrer innersten Gesinnung entschiedene Ari¬
stokraten, d. h. Aristokraten als Einzelne, sie hatten aber nicht die Disciplin einer
conservativen Partei, sie gingen frei und souverain ihrem Gefühl und ihrer Lei¬
denschaft nach, und wirkten daher demagogisch gegen das Bestehende. Das haben
ihnen ihre Standesgenossen nie verziehen, und in den Eifer derselben für das
Christenthum und die öffentliche Moral mischt sich eine starke Färbung politischer
Antipathie.

Um Byron richtig zu würdigen, müssen wir die verschiedenen Perioden sei¬
ner poetischen Thätigkeit sondern. Sie scheiden sich durch das öffentliche Ereig¬
nis; , welches für seine gesellschaftliche Stellung wie für seine Empfindungen eine
neue Wendung herbeiführte, nämlich die Scheidung von seiner Gemahlin, 18<6.

Von seinen ersten poetische» Versuchen, den „Stunden der Muße", 16^'
ist nicht viel zu sagen. Die Gedichte des 19jährige» In»gli»go unterschiede»
sich nicht wesentlich von denen seiner Zeitgenossen. Eine strenge Kritik, die in
der Edinbnrgher Vierteljahrschrift erschien, veranlaßte ihn zu der bekannten Sa-
tyre gegen die Schottischen Kritiker, die, aufrichtig gesagt, eben so langweilig ""d
unpoetisch ist, wie das Meiste, das wir in diesem negativen Genre kenne»,
Moore und Shelley mit eingerechnet. Byron hat auch in der folgenden Zeit
noch mehrere Satyren geschrieben, meistens politischen Inhalts, z. B. „D"
Bision des Gerichts" gegen König Georg, die sich alle durch eine sehr entschiedene
Grobheit-auszeichnen. Der Eindruck derselben wird aber bedeutend geschwächt,
wenn man erfährt, daß in den allermeisten Fällen irgend ein Motiv beleidigter Eitel¬
keit vorhanden war. So hat er in seiner ersten Satyre W. Scott noch helM
angegriffen; als Dieser sich aber davon nicht abhalten ließ, Byron's mit vielem
Lob und Theilnahme zu gedenken, verwandelte sich die erste Abneigung i» eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/50>, abgerufen am 23.07.2024.