Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

folg, und ist auch in der That schwächer, als die beiden folgenden Stücke, aber es
giebt uns doch bereits ein vollständiges Bild von der Empfindungsweise des
Verfassers. Jsacck ist ein Hamlet mit etwas Byron'scher Färbung, ans Däne¬
mark an den wüsten Hof des byzantinischen Kaiserreichs versetzt. Die einzige
reale Empfindung, die er gehabt hat, fällt vor den Anfang des Stücks; es war
die Liebe zu Irenen, die gestorben ist, und auf deren Grabhügel er sich einmal
begiebt> um eine Spur der Empfindung in sich zu erwecken, ohne es weiter zu
bringen, als zu einem schärfern Ausdruck jener düstern, unfruchtbaren Melancholie,
die sein Wesen eben so charakterisirt, wie das des dänischen Prinzen auf dem
Kirchhof. Er ist erst 30 Jahre alt, aber es ist ihm, als hätte er ein Jahr¬
hundert gelebt. Er glaubt an nichts mehr. Nur zuweilen wird ein" stille Sehn¬
sucht nach der Kindheit in ihm rege, wo er wenigstens noch hoffen konnte. Er
wendet seinen Zweifel gegen alle Machte des Lebens. Die Kirche, welche seine
Zeit beherrscht, imponirt ihm nicht, obgleich er ihre Macht wohl zu schätzen und
unter Umständen anzuwenden weiß; aber die nämliche cynische Ironie, mit der
er sich vom Aberglauben befreit, wendet er auch gegen die wirklichen Ideen. Er
ist vollständig blasirt, das Leben ist ihm ein bloßer Traum, eine wesenlose Er¬
scheinung. -- Dieser Charakter wird zum Handeln getrieben, und zwar zu einem
Handeln, welches sonst nur aus dem leidenschaftlichsten Ehrgeiz hervorzugehen
Pflegt. Er stellt sich nämlich an die Spitze einer Verschwörung, welche ihn auf
den Kaiserthron von Byzanz heben soll, aber lediglich um sein Leben zu sichern,
welches von dem herrschenden Tyrannen bedroht wird, weil er durch seine Ge¬
burt dem Throne zu nahe steht. Er tritt in seine neue Rolle mit entschiedenem
Ernst, aber mit- ebeu so entschiedener Kälte ein, er handelt energisch nud dem
Zweck entsprechend, aber ein bitteres Hohnlächeln über alles menschliche Handeln
spielt dabei um seine Lippen. Nachdem er den Tyrannen gestürzt hat, übergiebt
er den Thron gleichgiltig seinem Bruder. Sein Eude wird herbeigeführt durch
die Prinzessin Theodora, die ihn liebt, und deren Liebe er zwar nicht eigentlich
verschmäht, aber sehr lauwarm aufgenommen hat, wie das von seinem blasirten
Wesen nicht anders zu erwarten war. Sie erdolcht ihn zum Schluß hinter der
Scene, und stürzt mit blutigem Dolch und flatternden Haaren ans die Bühne,
indem der Vorhang fällt.

Der Held seines zweiten Stückes, Philipp van Artcvelde, welches einen
entschiedenen Erfolg errang, und dem Dichter seine bleibende Anerkennung sicherte,
'se ein potenzirter Jsaak ComnenuS. In der Vorrede zu diesem Stück giebt der
Dichter eine sehr scharfe Kritik Byron's, die man als eine Art Selbstkritik anse¬
hen muß. Allein diese Erkenntniß hat aufhellt Schaffell keinen Einfluß ausgeübt:
Artcvelde ist wieder ein Hamlet, der mit der raffinirtesten Reflexion die entschie¬
denste Thatkraft verbindet. Es ist, als ob er vor seiner jetzige" Erscheinung
schon ein früheres Leben durchgemacht und alle Erfahrungen desselben mit sicherm


S6>

folg, und ist auch in der That schwächer, als die beiden folgenden Stücke, aber es
giebt uns doch bereits ein vollständiges Bild von der Empfindungsweise des
Verfassers. Jsacck ist ein Hamlet mit etwas Byron'scher Färbung, ans Däne¬
mark an den wüsten Hof des byzantinischen Kaiserreichs versetzt. Die einzige
reale Empfindung, die er gehabt hat, fällt vor den Anfang des Stücks; es war
die Liebe zu Irenen, die gestorben ist, und auf deren Grabhügel er sich einmal
begiebt> um eine Spur der Empfindung in sich zu erwecken, ohne es weiter zu
bringen, als zu einem schärfern Ausdruck jener düstern, unfruchtbaren Melancholie,
die sein Wesen eben so charakterisirt, wie das des dänischen Prinzen auf dem
Kirchhof. Er ist erst 30 Jahre alt, aber es ist ihm, als hätte er ein Jahr¬
hundert gelebt. Er glaubt an nichts mehr. Nur zuweilen wird ein« stille Sehn¬
sucht nach der Kindheit in ihm rege, wo er wenigstens noch hoffen konnte. Er
wendet seinen Zweifel gegen alle Machte des Lebens. Die Kirche, welche seine
Zeit beherrscht, imponirt ihm nicht, obgleich er ihre Macht wohl zu schätzen und
unter Umständen anzuwenden weiß; aber die nämliche cynische Ironie, mit der
er sich vom Aberglauben befreit, wendet er auch gegen die wirklichen Ideen. Er
ist vollständig blasirt, das Leben ist ihm ein bloßer Traum, eine wesenlose Er¬
scheinung. — Dieser Charakter wird zum Handeln getrieben, und zwar zu einem
Handeln, welches sonst nur aus dem leidenschaftlichsten Ehrgeiz hervorzugehen
Pflegt. Er stellt sich nämlich an die Spitze einer Verschwörung, welche ihn auf
den Kaiserthron von Byzanz heben soll, aber lediglich um sein Leben zu sichern,
welches von dem herrschenden Tyrannen bedroht wird, weil er durch seine Ge¬
burt dem Throne zu nahe steht. Er tritt in seine neue Rolle mit entschiedenem
Ernst, aber mit- ebeu so entschiedener Kälte ein, er handelt energisch nud dem
Zweck entsprechend, aber ein bitteres Hohnlächeln über alles menschliche Handeln
spielt dabei um seine Lippen. Nachdem er den Tyrannen gestürzt hat, übergiebt
er den Thron gleichgiltig seinem Bruder. Sein Eude wird herbeigeführt durch
die Prinzessin Theodora, die ihn liebt, und deren Liebe er zwar nicht eigentlich
verschmäht, aber sehr lauwarm aufgenommen hat, wie das von seinem blasirten
Wesen nicht anders zu erwarten war. Sie erdolcht ihn zum Schluß hinter der
Scene, und stürzt mit blutigem Dolch und flatternden Haaren ans die Bühne,
indem der Vorhang fällt.

Der Held seines zweiten Stückes, Philipp van Artcvelde, welches einen
entschiedenen Erfolg errang, und dem Dichter seine bleibende Anerkennung sicherte,
'se ein potenzirter Jsaak ComnenuS. In der Vorrede zu diesem Stück giebt der
Dichter eine sehr scharfe Kritik Byron's, die man als eine Art Selbstkritik anse¬
hen muß. Allein diese Erkenntniß hat aufhellt Schaffell keinen Einfluß ausgeübt:
Artcvelde ist wieder ein Hamlet, der mit der raffinirtesten Reflexion die entschie¬
denste Thatkraft verbindet. Es ist, als ob er vor seiner jetzige» Erscheinung
schon ein früheres Leben durchgemacht und alle Erfahrungen desselben mit sicherm


S6>
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281064"/>
          <p xml:id="ID_1278" prev="#ID_1277"> folg, und ist auch in der That schwächer, als die beiden folgenden Stücke, aber es<lb/>
giebt uns doch bereits ein vollständiges Bild von der Empfindungsweise des<lb/>
Verfassers. Jsacck ist ein Hamlet mit etwas Byron'scher Färbung, ans Däne¬<lb/>
mark an den wüsten Hof des byzantinischen Kaiserreichs versetzt. Die einzige<lb/>
reale Empfindung, die er gehabt hat, fällt vor den Anfang des Stücks; es war<lb/>
die Liebe zu Irenen, die gestorben ist, und auf deren Grabhügel er sich einmal<lb/>
begiebt&gt; um eine Spur der Empfindung in sich zu erwecken, ohne es weiter zu<lb/>
bringen, als zu einem schärfern Ausdruck jener düstern, unfruchtbaren Melancholie,<lb/>
die sein Wesen eben so charakterisirt, wie das des dänischen Prinzen auf dem<lb/>
Kirchhof. Er ist erst 30 Jahre alt, aber es ist ihm, als hätte er ein Jahr¬<lb/>
hundert gelebt. Er glaubt an nichts mehr. Nur zuweilen wird ein« stille Sehn¬<lb/>
sucht nach der Kindheit in ihm rege, wo er wenigstens noch hoffen konnte. Er<lb/>
wendet seinen Zweifel gegen alle Machte des Lebens. Die Kirche, welche seine<lb/>
Zeit beherrscht, imponirt ihm nicht, obgleich er ihre Macht wohl zu schätzen und<lb/>
unter Umständen anzuwenden weiß; aber die nämliche cynische Ironie, mit der<lb/>
er sich vom Aberglauben befreit, wendet er auch gegen die wirklichen Ideen. Er<lb/>
ist vollständig blasirt, das Leben ist ihm ein bloßer Traum, eine wesenlose Er¬<lb/>
scheinung. &#x2014; Dieser Charakter wird zum Handeln getrieben, und zwar zu einem<lb/>
Handeln, welches sonst nur aus dem leidenschaftlichsten Ehrgeiz hervorzugehen<lb/>
Pflegt. Er stellt sich nämlich an die Spitze einer Verschwörung, welche ihn auf<lb/>
den Kaiserthron von Byzanz heben soll, aber lediglich um sein Leben zu sichern,<lb/>
welches von dem herrschenden Tyrannen bedroht wird, weil er durch seine Ge¬<lb/>
burt dem Throne zu nahe steht. Er tritt in seine neue Rolle mit entschiedenem<lb/>
Ernst, aber mit- ebeu so entschiedener Kälte ein, er handelt energisch nud dem<lb/>
Zweck entsprechend, aber ein bitteres Hohnlächeln über alles menschliche Handeln<lb/>
spielt dabei um seine Lippen. Nachdem er den Tyrannen gestürzt hat, übergiebt<lb/>
er den Thron gleichgiltig seinem Bruder. Sein Eude wird herbeigeführt durch<lb/>
die Prinzessin Theodora, die ihn liebt, und deren Liebe er zwar nicht eigentlich<lb/>
verschmäht, aber sehr lauwarm aufgenommen hat, wie das von seinem blasirten<lb/>
Wesen nicht anders zu erwarten war. Sie erdolcht ihn zum Schluß hinter der<lb/>
Scene, und stürzt mit blutigem Dolch und flatternden Haaren ans die Bühne,<lb/>
indem der Vorhang fällt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1279" next="#ID_1280"> Der Held seines zweiten Stückes, Philipp van Artcvelde, welches einen<lb/>
entschiedenen Erfolg errang, und dem Dichter seine bleibende Anerkennung sicherte,<lb/>
'se ein potenzirter Jsaak ComnenuS. In der Vorrede zu diesem Stück giebt der<lb/>
Dichter eine sehr scharfe Kritik Byron's, die man als eine Art Selbstkritik anse¬<lb/>
hen muß. Allein diese Erkenntniß hat aufhellt Schaffell keinen Einfluß ausgeübt:<lb/>
Artcvelde ist wieder ein Hamlet, der mit der raffinirtesten Reflexion die entschie¬<lb/>
denste Thatkraft verbindet. Es ist, als ob er vor seiner jetzige» Erscheinung<lb/>
schon ein früheres Leben durchgemacht und alle Erfahrungen desselben mit sicherm</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> S6&gt;</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0447] folg, und ist auch in der That schwächer, als die beiden folgenden Stücke, aber es giebt uns doch bereits ein vollständiges Bild von der Empfindungsweise des Verfassers. Jsacck ist ein Hamlet mit etwas Byron'scher Färbung, ans Däne¬ mark an den wüsten Hof des byzantinischen Kaiserreichs versetzt. Die einzige reale Empfindung, die er gehabt hat, fällt vor den Anfang des Stücks; es war die Liebe zu Irenen, die gestorben ist, und auf deren Grabhügel er sich einmal begiebt> um eine Spur der Empfindung in sich zu erwecken, ohne es weiter zu bringen, als zu einem schärfern Ausdruck jener düstern, unfruchtbaren Melancholie, die sein Wesen eben so charakterisirt, wie das des dänischen Prinzen auf dem Kirchhof. Er ist erst 30 Jahre alt, aber es ist ihm, als hätte er ein Jahr¬ hundert gelebt. Er glaubt an nichts mehr. Nur zuweilen wird ein« stille Sehn¬ sucht nach der Kindheit in ihm rege, wo er wenigstens noch hoffen konnte. Er wendet seinen Zweifel gegen alle Machte des Lebens. Die Kirche, welche seine Zeit beherrscht, imponirt ihm nicht, obgleich er ihre Macht wohl zu schätzen und unter Umständen anzuwenden weiß; aber die nämliche cynische Ironie, mit der er sich vom Aberglauben befreit, wendet er auch gegen die wirklichen Ideen. Er ist vollständig blasirt, das Leben ist ihm ein bloßer Traum, eine wesenlose Er¬ scheinung. — Dieser Charakter wird zum Handeln getrieben, und zwar zu einem Handeln, welches sonst nur aus dem leidenschaftlichsten Ehrgeiz hervorzugehen Pflegt. Er stellt sich nämlich an die Spitze einer Verschwörung, welche ihn auf den Kaiserthron von Byzanz heben soll, aber lediglich um sein Leben zu sichern, welches von dem herrschenden Tyrannen bedroht wird, weil er durch seine Ge¬ burt dem Throne zu nahe steht. Er tritt in seine neue Rolle mit entschiedenem Ernst, aber mit- ebeu so entschiedener Kälte ein, er handelt energisch nud dem Zweck entsprechend, aber ein bitteres Hohnlächeln über alles menschliche Handeln spielt dabei um seine Lippen. Nachdem er den Tyrannen gestürzt hat, übergiebt er den Thron gleichgiltig seinem Bruder. Sein Eude wird herbeigeführt durch die Prinzessin Theodora, die ihn liebt, und deren Liebe er zwar nicht eigentlich verschmäht, aber sehr lauwarm aufgenommen hat, wie das von seinem blasirten Wesen nicht anders zu erwarten war. Sie erdolcht ihn zum Schluß hinter der Scene, und stürzt mit blutigem Dolch und flatternden Haaren ans die Bühne, indem der Vorhang fällt. Der Held seines zweiten Stückes, Philipp van Artcvelde, welches einen entschiedenen Erfolg errang, und dem Dichter seine bleibende Anerkennung sicherte, 'se ein potenzirter Jsaak ComnenuS. In der Vorrede zu diesem Stück giebt der Dichter eine sehr scharfe Kritik Byron's, die man als eine Art Selbstkritik anse¬ hen muß. Allein diese Erkenntniß hat aufhellt Schaffell keinen Einfluß ausgeübt: Artcvelde ist wieder ein Hamlet, der mit der raffinirtesten Reflexion die entschie¬ denste Thatkraft verbindet. Es ist, als ob er vor seiner jetzige» Erscheinung schon ein früheres Leben durchgemacht und alle Erfahrungen desselben mit sicherm S6>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/447
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/447>, abgerufen am 23.07.2024.