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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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dem vergißt man es nicht. Die penetrant gescheidter Augen bleiben uns immer
im Gedächtniß, und nicht nur ihrer Klugheit halber, sondern anch darum, weil
ihnen allein die Ausprägung der Gemüthsaffecte anheimfällt. Nur eines können
sie nicht, sie können nicht lachen. Dies besorgen die Gesichtsmuskeln rein äußer¬
lich, weil's überhaupt in der innern Natur des ganzen Mannes nicht liegt. Dafür
sind diese Angen mitunter zornig, erbittert, beleidigt, auch wol voll souverainer
Verachtung gegen Bornirtheit oder Sophisterei, weil dies wieder vollkommen im
ehrenhaften Charakter liegt, und äußerlich doch von guten Erzichnugsregeln verpönt
wird. Früher nannte man Herrn Grafen Hegnenberg und den Freih. von
Lerchenfeld stets neben einander. Man hatte Recht, denn der Graf gab die
praktische Ergänzung der abstracten Vorschwebungen des Letztern, und dieser ver¬
weichlichte dann wieder mit süddeutscher Gemüthlichkeit die schroffen Postulate des
Grafen. Seitdem aber 1849 Hr. von Lerchenfeld auf dem Präsidentenstuhle
bewiesen hat, wie ihm jede klare Objectivität und ruhige Erhabenheit fehlt, ist es
unter Hcgncnbcrg's Vorsitz jedenfalls fraglos geworden, welcher jweite Abstand
zwischen Geist und Charakter beider Männer vorhanden ist, wie viel weiter und
reicher der geistige Horizont des Grasen, als jener des Freiherr", obgleich er
viel weniger allgemeine ZeitnugMrtikcl darin aufnimmt, um sie später in u^mu
>>clj>>>im vor den Kammern abzusprechen, etwa wie schreibselige Literaten Artikel
und Bücher abschreiben. Freilich fehlt dem Grafen die "gemüthliche" Volubilität
des Freiherrn, und er mag darum in einer Kammer, welcher gedruckte Artikel
häufig selbstständig gedachte Reden scheinen, von minderer Wirkung sein. Er
kann das Tamtam der Begeisterung und Entrüstung nicht schlagen. Die stür¬
mischen oder majestätischen Wogen beider Seelenstimmungen lrvstallisiren sich
vielmehr in seinem Munde zu Lancetten und Dolchspitzen. Jede einzelne derselben
ist in ätzendes Gist getaucht und tötet den hilflosen Gegner. Hätte Graf
Hegnenberg die Masse des Lerchenfeld'sehen Wissens, er hätte sie längst gesichtet
und wäre in praktischen Fragen wahrscheinlich ein unüberwindlicher Kämpfer-
Der Witz träte dann nicht störend an Stelle des Grundes, die Persiflage nicht
unpassend an den Platz der Entgegnung. Gestaltete es die diese Ehrfurcht vor
der zweite" bayerischen Kammer, man konnte glauben, sie hätte ihn sogar theilweise
aus Furcht zum Präsidenten gemacht, aus Furcht vor seinen brennenden Sarcasmen
und stechenden Bonmots. Er versieht nun das Präsideutenamt mit jenem Ernst
n"d auch jener Trockenheit, wie eben derartige Leute gewöhnlich den aufgedrungene"
Beruf; er thut es gewissenhaft, doch ohne innere Befriedigung, und darum muß
auch der eingeborne Mensch noch von Zeit zu Zeit mit dieser ^oder jener todt-
schlägerischen Bemerkung hervorbrechen. So geschah es, als einst der Prof. v.
Lief vollkommen unverständlich die bereits vom Ausschuß -zurückgelegten Tiraden
über die Trias als Referat des deutschen Ausschusses 3V2 Stunden lang dem
Kammerpublicnm aufdrang, nachdem die deutsche Frage vier Tage lang debattirt


dem vergißt man es nicht. Die penetrant gescheidter Augen bleiben uns immer
im Gedächtniß, und nicht nur ihrer Klugheit halber, sondern anch darum, weil
ihnen allein die Ausprägung der Gemüthsaffecte anheimfällt. Nur eines können
sie nicht, sie können nicht lachen. Dies besorgen die Gesichtsmuskeln rein äußer¬
lich, weil's überhaupt in der innern Natur des ganzen Mannes nicht liegt. Dafür
sind diese Angen mitunter zornig, erbittert, beleidigt, auch wol voll souverainer
Verachtung gegen Bornirtheit oder Sophisterei, weil dies wieder vollkommen im
ehrenhaften Charakter liegt, und äußerlich doch von guten Erzichnugsregeln verpönt
wird. Früher nannte man Herrn Grafen Hegnenberg und den Freih. von
Lerchenfeld stets neben einander. Man hatte Recht, denn der Graf gab die
praktische Ergänzung der abstracten Vorschwebungen des Letztern, und dieser ver¬
weichlichte dann wieder mit süddeutscher Gemüthlichkeit die schroffen Postulate des
Grafen. Seitdem aber 1849 Hr. von Lerchenfeld auf dem Präsidentenstuhle
bewiesen hat, wie ihm jede klare Objectivität und ruhige Erhabenheit fehlt, ist es
unter Hcgncnbcrg's Vorsitz jedenfalls fraglos geworden, welcher jweite Abstand
zwischen Geist und Charakter beider Männer vorhanden ist, wie viel weiter und
reicher der geistige Horizont des Grasen, als jener des Freiherr», obgleich er
viel weniger allgemeine ZeitnugMrtikcl darin aufnimmt, um sie später in u^mu
>>clj>>>im vor den Kammern abzusprechen, etwa wie schreibselige Literaten Artikel
und Bücher abschreiben. Freilich fehlt dem Grafen die „gemüthliche" Volubilität
des Freiherrn, und er mag darum in einer Kammer, welcher gedruckte Artikel
häufig selbstständig gedachte Reden scheinen, von minderer Wirkung sein. Er
kann das Tamtam der Begeisterung und Entrüstung nicht schlagen. Die stür¬
mischen oder majestätischen Wogen beider Seelenstimmungen lrvstallisiren sich
vielmehr in seinem Munde zu Lancetten und Dolchspitzen. Jede einzelne derselben
ist in ätzendes Gist getaucht und tötet den hilflosen Gegner. Hätte Graf
Hegnenberg die Masse des Lerchenfeld'sehen Wissens, er hätte sie längst gesichtet
und wäre in praktischen Fragen wahrscheinlich ein unüberwindlicher Kämpfer-
Der Witz träte dann nicht störend an Stelle des Grundes, die Persiflage nicht
unpassend an den Platz der Entgegnung. Gestaltete es die diese Ehrfurcht vor
der zweite» bayerischen Kammer, man konnte glauben, sie hätte ihn sogar theilweise
aus Furcht zum Präsidenten gemacht, aus Furcht vor seinen brennenden Sarcasmen
und stechenden Bonmots. Er versieht nun das Präsideutenamt mit jenem Ernst
n»d auch jener Trockenheit, wie eben derartige Leute gewöhnlich den aufgedrungene»
Beruf; er thut es gewissenhaft, doch ohne innere Befriedigung, und darum muß
auch der eingeborne Mensch noch von Zeit zu Zeit mit dieser ^oder jener todt-
schlägerischen Bemerkung hervorbrechen. So geschah es, als einst der Prof. v.
Lief vollkommen unverständlich die bereits vom Ausschuß -zurückgelegten Tiraden
über die Trias als Referat des deutschen Ausschusses 3V2 Stunden lang dem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/384>, abgerufen am 23.07.2024.