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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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ist er nicht einmal ein anregendes Element; seine Gedantenkatarakte überstürzen
sie nur betäubend, und sie schüttelt deren phosphorescirende Tropfen mit verlegenem
Lächeln ab, um schleunigst wieder vollkommen trocken zu werden. Das thut ihm
im Herzen weh, und er spricht mir noch selten nmvirsche Worte über gänzlichen
Mangel natürlicher Logik gerade in jenen Verhandlungen, worauf man sich am
meisten zu Gute that. Aber er ändert trvjzdem nichts daran. Denn läßt er sich
mich zu irgend einem Antrage herab, welcher seines Trachtens urwüchsige Natur-
Philosophie mit.dvctrinairer vermitteln müßte -- man hört ihn gefälligen Ohres
an und verwirft ihn dennoch.

In dieser Beziehung hat er viel Aehnlichkeit mit einem nnn ganz stillen
Manne, mit dein qnieseirtcn Rentbeamter Martin Heinrich Degenhardt, an dessen
Stelle der Wahlkreis Karlstadt sogar einen Stellvertreter gesendet hat, weil er
gestorben ist. Was Heine in barok phantastischem Sinne der Kammer ist, das
war Hr. Degenhardt im aller, allcrphiliströsesten. Er war blos confus, ohne
gedankenvoll zu sein, kannte nur ein Paar Gedankenkreise seines Wahlbezirks, oder
vielleicht auch nnr seiner Wohnstraße zu Würzburg, hatte weder von natürlicher,
"och von staatsrechtlicher Logik strenge Begriffe, wollte aber in jedem großen
Und kleinen Dinge seine guten Bekannten, Vettern und Freunde berücksichtigt
sehen. Er modificirte darum stets mit eben so großer Gemüthlichkeit als Aus¬
dauer, erlebte jedoch nur die Annahme einer einzigen Modification in vielleicht
vier bis fünf LandtagSsessionen. Trotzdem war er eben so wenig abzuschrecken,
"is die gutmüthige Kammer ärgerlich zu machen, wenn er in wunderbaren Ton¬
sprüngen aus dem Contrabaß zum Fistelsoprau seine Anliegen weitschweifig zur
Berücksichtigung empfahl. Ruhe seiner Asche und ein freundliches Andenken seinem
Herzen, welches mit sentimentalen Alltagsbrockcn die Welt zu beglücken hoffte.

Nur einem Mtglicde der Kammer prickelte noch stets die Ungeduld des
eifrigen Geschäftsmannes bei Degenhardt'schen Reden durch alle Glieder, obschon
^ sie eben so regelmäßig im Pflichtgefühl nothwendiger Objectivität unterdrückte.
Das war der erste Präsident, Graf Hegncnberg-Dux. Er ist überhaupt einer
>'vn jenen Menschen, denen man eS ans den ersten Blick ansieht, daß sie der
Sache vollkommen angehören, die sie nun einmal besorgen. Klein und gedrungen,
"h"e eckig zu erscheinen, weit mehr nervig als musculös, von einer gewissermaßen
Natürlichen Eleganz in Haltung, Kleidung und Bewegungen, wirklich vornehm
"l)"e jnnkerhaste Aeußerlichkeit, leicht beweglich ohne Unruhe, darf man den Grafen
Hegnenberg in der That zu geschickter Beherrschung einer geistig erregten Menge
geschaffen glauben. Man kann selten einen Mann sehen, welcher ohne eigentliche
von der Natur gegebene Mittel doch jedem Beobachter etwas gleichermaßen
Jmpvnirendes hat. Mau kaun nicht einmal sagen, worin es liegt. Denn sein
Gesicht ist von keinem prägnanten Ausdruck, in deu Formen der einzelnen Theile
War modern regelmäßig, doch weder charakteristisch, noch plastisch schön. Trotz¬


ig*

ist er nicht einmal ein anregendes Element; seine Gedantenkatarakte überstürzen
sie nur betäubend, und sie schüttelt deren phosphorescirende Tropfen mit verlegenem
Lächeln ab, um schleunigst wieder vollkommen trocken zu werden. Das thut ihm
im Herzen weh, und er spricht mir noch selten nmvirsche Worte über gänzlichen
Mangel natürlicher Logik gerade in jenen Verhandlungen, worauf man sich am
meisten zu Gute that. Aber er ändert trvjzdem nichts daran. Denn läßt er sich
mich zu irgend einem Antrage herab, welcher seines Trachtens urwüchsige Natur-
Philosophie mit.dvctrinairer vermitteln müßte — man hört ihn gefälligen Ohres
an und verwirft ihn dennoch.

In dieser Beziehung hat er viel Aehnlichkeit mit einem nnn ganz stillen
Manne, mit dein qnieseirtcn Rentbeamter Martin Heinrich Degenhardt, an dessen
Stelle der Wahlkreis Karlstadt sogar einen Stellvertreter gesendet hat, weil er
gestorben ist. Was Heine in barok phantastischem Sinne der Kammer ist, das
war Hr. Degenhardt im aller, allcrphiliströsesten. Er war blos confus, ohne
gedankenvoll zu sein, kannte nur ein Paar Gedankenkreise seines Wahlbezirks, oder
vielleicht auch nnr seiner Wohnstraße zu Würzburg, hatte weder von natürlicher,
»och von staatsrechtlicher Logik strenge Begriffe, wollte aber in jedem großen
Und kleinen Dinge seine guten Bekannten, Vettern und Freunde berücksichtigt
sehen. Er modificirte darum stets mit eben so großer Gemüthlichkeit als Aus¬
dauer, erlebte jedoch nur die Annahme einer einzigen Modification in vielleicht
vier bis fünf LandtagSsessionen. Trotzdem war er eben so wenig abzuschrecken,
"is die gutmüthige Kammer ärgerlich zu machen, wenn er in wunderbaren Ton¬
sprüngen aus dem Contrabaß zum Fistelsoprau seine Anliegen weitschweifig zur
Berücksichtigung empfahl. Ruhe seiner Asche und ein freundliches Andenken seinem
Herzen, welches mit sentimentalen Alltagsbrockcn die Welt zu beglücken hoffte.

Nur einem Mtglicde der Kammer prickelte noch stets die Ungeduld des
eifrigen Geschäftsmannes bei Degenhardt'schen Reden durch alle Glieder, obschon
^ sie eben so regelmäßig im Pflichtgefühl nothwendiger Objectivität unterdrückte.
Das war der erste Präsident, Graf Hegncnberg-Dux. Er ist überhaupt einer
>'vn jenen Menschen, denen man eS ans den ersten Blick ansieht, daß sie der
Sache vollkommen angehören, die sie nun einmal besorgen. Klein und gedrungen,
"h»e eckig zu erscheinen, weit mehr nervig als musculös, von einer gewissermaßen
Natürlichen Eleganz in Haltung, Kleidung und Bewegungen, wirklich vornehm
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Hegnenberg in der That zu geschickter Beherrschung einer geistig erregten Menge
geschaffen glauben. Man kann selten einen Mann sehen, welcher ohne eigentliche
von der Natur gegebene Mittel doch jedem Beobachter etwas gleichermaßen
Jmpvnirendes hat. Mau kaun nicht einmal sagen, worin es liegt. Denn sein
Gesicht ist von keinem prägnanten Ausdruck, in deu Formen der einzelnen Theile
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/383>, abgerufen am 23.07.2024.