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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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niederen Klassen, Dienstboten ze.sind ungleich untergeordneter, n"d dienen, wie alle der-
gleichen, zu viel, zu eben so vielen Mißbräuchen, znmHcrnmlaufe", Stelldicheins u. tgi.,
als sie verhüten solle". Die Enthaltsamkcitsvcreinc wirken manches Gute, nur
gewiß am wenigsten mit den etwas drastischen Mitteln, zu denen auch hier wie
anderwärts in Wort und That die Zuflucht genommen wird. Den meisten
Schwung verrathen noch die Jünglingsvercine. Hieran schließen sich noch man-
nichfache andere Gliederungen der innern Missionsthätigkeit, die keine wesentlichen
Unterschiede von den ähnlichen, allgemach bekannter gewordenen Bestrebungen an
anderen Orten zeigen. Sie theilen vielmehr alles Gute und Mangelhafte der¬
selben in reichlichem Maße. Jeden Sommer des Jahres, gewöhnlich im August,
finden diese verschiedenen Thätigkeiten ihren gemeinsamen Ausdruck in Vereinigungen
während der rcuommirtcn, sogenannten "Festwoche im Thale." Es sind die Glanz-
Momente der Pastoralen Wirksamkeit.

Das Volk, welches dem Reichthum der weltlichen Herren und der Thätigkeit
der geistlichen zur Folie dient, sind die Fabrikarbeiter, vorzugsweise Weber, und
unter diesen wieder, Seidenweber. Wenn man an einem warmen Sommertage
durch die entlegneren Stadttheile streift nud aus den geöffneten Fenstern fernher
das Sausen der Webstuhle hört, oder wenn mau ganzen Trupps mit ihren Webe-
bänmeu begegnet, fertige Stoffe dringend, oder die köstlich glänzende Rohseide
heimtragend, es könnte die Thätigkeit ein Gefühl von Freude erwecken, --
störte nicht sofort das meist kranke Aussehen und die oft genng große Dürftigkeit
der äußern Erscheinung. Nicht einmal jenes Dasein, wie es in den schlesischen
Gcbirgsdistricten bei arbeitsamen, ordentlichen Leinwcberfamilien, die nicht
dem Fabrikanten unbedingt verfallen sind, doch ab und zu sich findet --- nicht
einmal das wird man hier sehen;, denn ist der wnpperthaier Weber l'arm je im
vollen BesH seines Webstnhls und Handwerlzeügs, so vermag er vollends nie
die kostbaren Rohstoffe zu erwerben, welche ihm einen eigenen kaufmännischen Ver¬
trieb seines Fabrikates im Kleinen gestatten würden. Er vertreibt wol anch der¬
gleichen, oder er kleidet sich und die Seinen in hübsche Stosse, aber es sind die
fehlerhaften, ihm theuer genug angerechneten Stücke, daran er mindestens seinen
Arbeitslohn verliert. Sein Loos, wie er auch arbeite, bleibt Armuth, oft sehr
bittere Armuth. Und doch zählt, wer seinen eigenen Herd hat, die Seinigen
'An sich, noch zu den Glücklicheren. Schlimmer ist'S freilich, wo das Arbeiten in
^n Fabrikgebäuden an die Stelle der Hausarbeit getreten. Alle wirkliche und
Scheinfrömmigkeit, alles Wachen und Predigen, aller guter und böser Wille hat
wenig hier wie anderwärts die schädlichen Einflüsse auf die physische und mora¬
lische Gesundheit der Arbeiter verhüten können. Die religiöse Richtung der Fabri¬
kanten kommt den Arbeitern nicht zu Gute, sie ist meist nur ein willkommener-
Borwand, eine Beschönigung sür die eigene Härte und ein Zuchtmittel für die
Armen. Am schlimmsten sind hier, wie gewöhnlich, "die Feinen", womit charak-
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niederen Klassen, Dienstboten ze.sind ungleich untergeordneter, n»d dienen, wie alle der-
gleichen, zu viel, zu eben so vielen Mißbräuchen, znmHcrnmlaufe», Stelldicheins u. tgi.,
als sie verhüten solle». Die Enthaltsamkcitsvcreinc wirken manches Gute, nur
gewiß am wenigsten mit den etwas drastischen Mitteln, zu denen auch hier wie
anderwärts in Wort und That die Zuflucht genommen wird. Den meisten
Schwung verrathen noch die Jünglingsvercine. Hieran schließen sich noch man-
nichfache andere Gliederungen der innern Missionsthätigkeit, die keine wesentlichen
Unterschiede von den ähnlichen, allgemach bekannter gewordenen Bestrebungen an
anderen Orten zeigen. Sie theilen vielmehr alles Gute und Mangelhafte der¬
selben in reichlichem Maße. Jeden Sommer des Jahres, gewöhnlich im August,
finden diese verschiedenen Thätigkeiten ihren gemeinsamen Ausdruck in Vereinigungen
während der rcuommirtcn, sogenannten „Festwoche im Thale." Es sind die Glanz-
Momente der Pastoralen Wirksamkeit.

Das Volk, welches dem Reichthum der weltlichen Herren und der Thätigkeit
der geistlichen zur Folie dient, sind die Fabrikarbeiter, vorzugsweise Weber, und
unter diesen wieder, Seidenweber. Wenn man an einem warmen Sommertage
durch die entlegneren Stadttheile streift nud aus den geöffneten Fenstern fernher
das Sausen der Webstuhle hört, oder wenn mau ganzen Trupps mit ihren Webe-
bänmeu begegnet, fertige Stoffe dringend, oder die köstlich glänzende Rohseide
heimtragend, es könnte die Thätigkeit ein Gefühl von Freude erwecken, —
störte nicht sofort das meist kranke Aussehen und die oft genng große Dürftigkeit
der äußern Erscheinung. Nicht einmal jenes Dasein, wie es in den schlesischen
Gcbirgsdistricten bei arbeitsamen, ordentlichen Leinwcberfamilien, die nicht
dem Fabrikanten unbedingt verfallen sind, doch ab und zu sich findet --- nicht
einmal das wird man hier sehen;, denn ist der wnpperthaier Weber l'arm je im
vollen BesH seines Webstnhls und Handwerlzeügs, so vermag er vollends nie
die kostbaren Rohstoffe zu erwerben, welche ihm einen eigenen kaufmännischen Ver¬
trieb seines Fabrikates im Kleinen gestatten würden. Er vertreibt wol anch der¬
gleichen, oder er kleidet sich und die Seinen in hübsche Stosse, aber es sind die
fehlerhaften, ihm theuer genug angerechneten Stücke, daran er mindestens seinen
Arbeitslohn verliert. Sein Loos, wie er auch arbeite, bleibt Armuth, oft sehr
bittere Armuth. Und doch zählt, wer seinen eigenen Herd hat, die Seinigen
'An sich, noch zu den Glücklicheren. Schlimmer ist'S freilich, wo das Arbeiten in
^n Fabrikgebäuden an die Stelle der Hausarbeit getreten. Alle wirkliche und
Scheinfrömmigkeit, alles Wachen und Predigen, aller guter und böser Wille hat
wenig hier wie anderwärts die schädlichen Einflüsse auf die physische und mora¬
lische Gesundheit der Arbeiter verhüten können. Die religiöse Richtung der Fabri¬
kanten kommt den Arbeitern nicht zu Gute, sie ist meist nur ein willkommener-
Borwand, eine Beschönigung sür die eigene Härte und ein Zuchtmittel für die
Armen. Am schlimmsten sind hier, wie gewöhnlich, „die Feinen", womit charak-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/375>, abgerufen am 23.07.2024.