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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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diesen wirst, nicht minder; daß man Katholiken nur als unvermeidliches Uebel
tolcrirt, etwa auch noch; aber daß man Ehen zwischen Lutherischen und Re-
formirten für Mischehen ansieht und den Brüdern in Christo vom niederlän-
disch-reformirten Bekenntniß den Teufel ans den Hals wünscht, scheint außer dem
Spaß. Natürliche Folge davon ist'S, wenn der Eifer den Intoleranten nicht
rasten läßt, Seelen vom Nachbarbekenntniß aus den Klauen deö Teufels zu ent¬
reißen. Man treibt die Proselytenmacherei jedoch fast mehr, oder mindestens
eben so sehr weltlicher Seits und mit weltlichen Mitteln, als Seitens der Geist¬
lichkeit.

Die Mittel, durch welche diese ihre Wirksamkeit übt, sind anßer den gewöhn¬
lichen Verrichtungen des geistlichen Amtes, der Lehre im Haus und Predigt in
der Kirche, alle jene, durch welche die "innere Mission" seit Jahren ihre löblichen
Zwecke zu erreichen trachtet: Hausbesuche, Bibelstunden, Jünglings- und Enthalt-
samkeits-Vereine, Verbreitung der Schrift, Verbreitung von Predigten, Tractät-
lein n. s. w. -- unter letzteren zuweilen ziemlich alberne Dinge --, in letzter
Reihe die Sorge für das leibliche Wohl der Beichtkinder. Wahre Moralität
und Tugend werden durch den Glauben der Wnpperthäler so wenig gefördert,
daß ihr Glaube ihnen in der That nur eine noch bequemere Abfindung mit dem
lieben Gott ist, als die guten Werte, welche die katholische Kirche immer noch
neben dem Glauben zur Seligkeit fordert. Das Spiegelbild der innern Leere ist
jetzt die fast widrige Nüchternheit des wnpperthäler Cultus. Die beiden Haupt-
kirchen ElberfeldS-z. B. sind nichts als rohe, geschmacklose, im Innern bis znM
Exceß nüchterne Steinhaufen, kahle, getünchte Wände, ^amphiteatralische Anord¬
nung der Sitze, wie bei einer Schaubühne, kein würdiger Schmuck des Altars, nichts,
gar nichts, was an die Heiligkeit des Ortes gemahnte. Der Wnpperthäler selbst
aber ist nirgends unhöflicher, als in der Kirche, in Neben und Geberden. Auch
die kirchlichen Acte, denen man anderwärts nicht leicht ohne besondern Anlaß
die größere Würde des Gotteshauses entzieht, Trauungen und Taufen, werden
"im Thale" allezeit im Hause abgehalten, was den Dienst der Geistlichen erschwert,
und wenigstens für feiner Fühlende oft seltsame Juconvenienzeu hervorbringt
z. B. Taufen ans einem Salat- ober Snppennapf ze. Die älteren Kirche"
ElberfeldS entbehren sogar eines Tanfstcins und der bezüglichen Kircheu-
gefäße ^- erst in der jüngst entstandenen zweiten lutherischen Kirche ist solchem
Mangel abgeholfen worden. Dem armen Volk sind die Hausbesuche gewidmet,
für das Volk sind die Bibelstunden und Vereine zur Eriveckung und Förderung
geistliche" Lebens eingerichtet; hier allerdings ist es, wo der Geistliche des Thales seine
meiste, mühevollste und, wie mau in der Regel annimmt, auch segensreichste Thätigkeit
entwickelt. Die Einwirkung ans die Reichen ist nicht übermäßig groß.

Die Abendgottesdienste mit den Armen, zwar gemeinsam "ut auch von de"
gradnirtcren Gemeindegliedern besucht, und die Bibelstunden, zunächst für die


diesen wirst, nicht minder; daß man Katholiken nur als unvermeidliches Uebel
tolcrirt, etwa auch noch; aber daß man Ehen zwischen Lutherischen und Re-
formirten für Mischehen ansieht und den Brüdern in Christo vom niederlän-
disch-reformirten Bekenntniß den Teufel ans den Hals wünscht, scheint außer dem
Spaß. Natürliche Folge davon ist'S, wenn der Eifer den Intoleranten nicht
rasten läßt, Seelen vom Nachbarbekenntniß aus den Klauen deö Teufels zu ent¬
reißen. Man treibt die Proselytenmacherei jedoch fast mehr, oder mindestens
eben so sehr weltlicher Seits und mit weltlichen Mitteln, als Seitens der Geist¬
lichkeit.

Die Mittel, durch welche diese ihre Wirksamkeit übt, sind anßer den gewöhn¬
lichen Verrichtungen des geistlichen Amtes, der Lehre im Haus und Predigt in
der Kirche, alle jene, durch welche die „innere Mission" seit Jahren ihre löblichen
Zwecke zu erreichen trachtet: Hausbesuche, Bibelstunden, Jünglings- und Enthalt-
samkeits-Vereine, Verbreitung der Schrift, Verbreitung von Predigten, Tractät-
lein n. s. w. — unter letzteren zuweilen ziemlich alberne Dinge —, in letzter
Reihe die Sorge für das leibliche Wohl der Beichtkinder. Wahre Moralität
und Tugend werden durch den Glauben der Wnpperthäler so wenig gefördert,
daß ihr Glaube ihnen in der That nur eine noch bequemere Abfindung mit dem
lieben Gott ist, als die guten Werte, welche die katholische Kirche immer noch
neben dem Glauben zur Seligkeit fordert. Das Spiegelbild der innern Leere ist
jetzt die fast widrige Nüchternheit des wnpperthäler Cultus. Die beiden Haupt-
kirchen ElberfeldS-z. B. sind nichts als rohe, geschmacklose, im Innern bis znM
Exceß nüchterne Steinhaufen, kahle, getünchte Wände, ^amphiteatralische Anord¬
nung der Sitze, wie bei einer Schaubühne, kein würdiger Schmuck des Altars, nichts,
gar nichts, was an die Heiligkeit des Ortes gemahnte. Der Wnpperthäler selbst
aber ist nirgends unhöflicher, als in der Kirche, in Neben und Geberden. Auch
die kirchlichen Acte, denen man anderwärts nicht leicht ohne besondern Anlaß
die größere Würde des Gotteshauses entzieht, Trauungen und Taufen, werden
„im Thale" allezeit im Hause abgehalten, was den Dienst der Geistlichen erschwert,
und wenigstens für feiner Fühlende oft seltsame Juconvenienzeu hervorbringt
z. B. Taufen ans einem Salat- ober Snppennapf ze. Die älteren Kirche»
ElberfeldS entbehren sogar eines Tanfstcins und der bezüglichen Kircheu-
gefäße ^- erst in der jüngst entstandenen zweiten lutherischen Kirche ist solchem
Mangel abgeholfen worden. Dem armen Volk sind die Hausbesuche gewidmet,
für das Volk sind die Bibelstunden und Vereine zur Eriveckung und Förderung
geistliche» Lebens eingerichtet; hier allerdings ist es, wo der Geistliche des Thales seine
meiste, mühevollste und, wie mau in der Regel annimmt, auch segensreichste Thätigkeit
entwickelt. Die Einwirkung ans die Reichen ist nicht übermäßig groß.

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gradnirtcren Gemeindegliedern besucht, und die Bibelstunden, zunächst für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/374>, abgerufen am 23.07.2024.