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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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öffnete Thüren, die Fenster dauernd geschlossen mit Läden oder dicht verhangen.
-- Die frequenten Hauseingange, so wie die Wohnzimmer liegen seitwärts oder
nach hinten. Auch hier ist Reinlichkeit und Sauberkeit vom Boden bis zum
Keller -- es ist wie etwas vou dem nicht allzufernen holländischen Wesen. Das
Leben in diesen Häusern ist meist still und geräuschlos, wie ihr Ansehen; denn
nicht immer sind die Geschäftslocale im Wohnhause selbst. Den Herrn fesselt den
größten Theil des Tages "das Comptoir"; nur etwa die Mahlzeiten und ein
Gesundheitslauf -- deun Spaziergang würde man ihn wegen des scharfen Trittes
dabei anderwärts kaum nennen -- führen ihn mit der Gattin zusammen; die
Kinder überläßt man sehr viel den Dienstboten. Dennoch fehlt es nicht an einem
ausgedehnten Familienleben. In gewissen Kreisen nämlich ist Alles verwandt,
indem die Ehebündnisse oft im Interesse des Geschäfts abgeschlossen wurden,
wodurch eine gewisse Verbindung des Reichthums gegenüber der Unbemitteltheit
nud Armuth erzeugt ward, zu welcher Zutritt zu erlangen in zehn Fällen neun¬
mal nnr klingenden Gründen gelingen dürfte. Ist mit Herrichtung deL neuen
Hauswesens die haarscharfe Auöeinanderschuug zwischen Vater und Kind erfolgt, ist
das neue Geschäft begründet, so gestaltet sich meist auch der Verkehr mit den An¬
gehörigen nach conventionellen Regeln. Man sieht sich öfter, doch meist nur zu.
bestimmten Zeiten, lind ohne über die Gefahr tödtlicher Langeweile, des Klat¬
sches und der heftigsten Medisance hinwegzukommen. Die Gemüthlosigkeit dieses
Lebens giebt sich darin kund, daß Jeder vom Andern, der Freund vom nächsten
Freunde, ja der Bruder vom Bruder die schlimmsten Dinge zu erzählen weiß und
erzählt. Der männliche Theil der Familie sucht für die freien Tage und Abende
gern außer dem Hanse noch Zerstreuung.

Es ist keine Uebertreibung, daß ein ganz specifischer Egoismus dem wupperthaler
Kaufmann angeboren sei. Was der heranwachsende Knabe sieht und hört, ist
nur das Geschäft und was darum und daran hängt; der Sinn des kindischen
Spieles ist daraus gerichtet; der Unterricht huldigt vorwiegend, wenn nicht allein, dem
Princip des Nutzens; kaum in die Jünglingsjahre getreten, beginnt der Wupperthaler
bereits die praktische Laufbahn. Es liegt nahe, daß bei solcher Grundanschauung
von wirklicher Bildung im Ganzen wenig oder gar nicht die Rede sein könne, und
es setzen in der That den Fremden die Beweise von Unwissenheit und Ungebildet-
heit, die ihm bei Personen von kaufmännischer Distinction und einem gewissen
äußerlichen 8-^vuir s-un- begegnen, in nicht geringes Erstaunen. Ja, der evidenteste
Beweis, dessen Grund zu erkennen natürlich den Heimischen am wenigsten gelingt,
ist, daß es kaum ein Geschäft giebt, dessen Führer und Lenker, unter der Aegide
des Herrn, nicht "ein Fremder" wäre. Daß dies Alles ans Unterrichtsanstalten und
Schulen zurückwirken müsse, liegt ans der Hand: man verlangt nicht viel, so leistet
man auch wenig, wie breitspurig sich auch der moderne Realismus geberdet;
gelehrte Bildung aber ist ein Ding, das örtlich nicht gedeihen kann, weil man'ö


öffnete Thüren, die Fenster dauernd geschlossen mit Läden oder dicht verhangen.
— Die frequenten Hauseingange, so wie die Wohnzimmer liegen seitwärts oder
nach hinten. Auch hier ist Reinlichkeit und Sauberkeit vom Boden bis zum
Keller — es ist wie etwas vou dem nicht allzufernen holländischen Wesen. Das
Leben in diesen Häusern ist meist still und geräuschlos, wie ihr Ansehen; denn
nicht immer sind die Geschäftslocale im Wohnhause selbst. Den Herrn fesselt den
größten Theil des Tages „das Comptoir"; nur etwa die Mahlzeiten und ein
Gesundheitslauf — deun Spaziergang würde man ihn wegen des scharfen Trittes
dabei anderwärts kaum nennen — führen ihn mit der Gattin zusammen; die
Kinder überläßt man sehr viel den Dienstboten. Dennoch fehlt es nicht an einem
ausgedehnten Familienleben. In gewissen Kreisen nämlich ist Alles verwandt,
indem die Ehebündnisse oft im Interesse des Geschäfts abgeschlossen wurden,
wodurch eine gewisse Verbindung des Reichthums gegenüber der Unbemitteltheit
nud Armuth erzeugt ward, zu welcher Zutritt zu erlangen in zehn Fällen neun¬
mal nnr klingenden Gründen gelingen dürfte. Ist mit Herrichtung deL neuen
Hauswesens die haarscharfe Auöeinanderschuug zwischen Vater und Kind erfolgt, ist
das neue Geschäft begründet, so gestaltet sich meist auch der Verkehr mit den An¬
gehörigen nach conventionellen Regeln. Man sieht sich öfter, doch meist nur zu.
bestimmten Zeiten, lind ohne über die Gefahr tödtlicher Langeweile, des Klat¬
sches und der heftigsten Medisance hinwegzukommen. Die Gemüthlosigkeit dieses
Lebens giebt sich darin kund, daß Jeder vom Andern, der Freund vom nächsten
Freunde, ja der Bruder vom Bruder die schlimmsten Dinge zu erzählen weiß und
erzählt. Der männliche Theil der Familie sucht für die freien Tage und Abende
gern außer dem Hanse noch Zerstreuung.

Es ist keine Uebertreibung, daß ein ganz specifischer Egoismus dem wupperthaler
Kaufmann angeboren sei. Was der heranwachsende Knabe sieht und hört, ist
nur das Geschäft und was darum und daran hängt; der Sinn des kindischen
Spieles ist daraus gerichtet; der Unterricht huldigt vorwiegend, wenn nicht allein, dem
Princip des Nutzens; kaum in die Jünglingsjahre getreten, beginnt der Wupperthaler
bereits die praktische Laufbahn. Es liegt nahe, daß bei solcher Grundanschauung
von wirklicher Bildung im Ganzen wenig oder gar nicht die Rede sein könne, und
es setzen in der That den Fremden die Beweise von Unwissenheit und Ungebildet-
heit, die ihm bei Personen von kaufmännischer Distinction und einem gewissen
äußerlichen 8-^vuir s-un- begegnen, in nicht geringes Erstaunen. Ja, der evidenteste
Beweis, dessen Grund zu erkennen natürlich den Heimischen am wenigsten gelingt,
ist, daß es kaum ein Geschäft giebt, dessen Führer und Lenker, unter der Aegide
des Herrn, nicht „ein Fremder" wäre. Daß dies Alles ans Unterrichtsanstalten und
Schulen zurückwirken müsse, liegt ans der Hand: man verlangt nicht viel, so leistet
man auch wenig, wie breitspurig sich auch der moderne Realismus geberdet;
gelehrte Bildung aber ist ein Ding, das örtlich nicht gedeihen kann, weil man'ö


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[0368] öffnete Thüren, die Fenster dauernd geschlossen mit Läden oder dicht verhangen. — Die frequenten Hauseingange, so wie die Wohnzimmer liegen seitwärts oder nach hinten. Auch hier ist Reinlichkeit und Sauberkeit vom Boden bis zum Keller — es ist wie etwas vou dem nicht allzufernen holländischen Wesen. Das Leben in diesen Häusern ist meist still und geräuschlos, wie ihr Ansehen; denn nicht immer sind die Geschäftslocale im Wohnhause selbst. Den Herrn fesselt den größten Theil des Tages „das Comptoir"; nur etwa die Mahlzeiten und ein Gesundheitslauf — deun Spaziergang würde man ihn wegen des scharfen Trittes dabei anderwärts kaum nennen — führen ihn mit der Gattin zusammen; die Kinder überläßt man sehr viel den Dienstboten. Dennoch fehlt es nicht an einem ausgedehnten Familienleben. In gewissen Kreisen nämlich ist Alles verwandt, indem die Ehebündnisse oft im Interesse des Geschäfts abgeschlossen wurden, wodurch eine gewisse Verbindung des Reichthums gegenüber der Unbemitteltheit nud Armuth erzeugt ward, zu welcher Zutritt zu erlangen in zehn Fällen neun¬ mal nnr klingenden Gründen gelingen dürfte. Ist mit Herrichtung deL neuen Hauswesens die haarscharfe Auöeinanderschuug zwischen Vater und Kind erfolgt, ist das neue Geschäft begründet, so gestaltet sich meist auch der Verkehr mit den An¬ gehörigen nach conventionellen Regeln. Man sieht sich öfter, doch meist nur zu. bestimmten Zeiten, lind ohne über die Gefahr tödtlicher Langeweile, des Klat¬ sches und der heftigsten Medisance hinwegzukommen. Die Gemüthlosigkeit dieses Lebens giebt sich darin kund, daß Jeder vom Andern, der Freund vom nächsten Freunde, ja der Bruder vom Bruder die schlimmsten Dinge zu erzählen weiß und erzählt. Der männliche Theil der Familie sucht für die freien Tage und Abende gern außer dem Hanse noch Zerstreuung. Es ist keine Uebertreibung, daß ein ganz specifischer Egoismus dem wupperthaler Kaufmann angeboren sei. Was der heranwachsende Knabe sieht und hört, ist nur das Geschäft und was darum und daran hängt; der Sinn des kindischen Spieles ist daraus gerichtet; der Unterricht huldigt vorwiegend, wenn nicht allein, dem Princip des Nutzens; kaum in die Jünglingsjahre getreten, beginnt der Wupperthaler bereits die praktische Laufbahn. Es liegt nahe, daß bei solcher Grundanschauung von wirklicher Bildung im Ganzen wenig oder gar nicht die Rede sein könne, und es setzen in der That den Fremden die Beweise von Unwissenheit und Ungebildet- heit, die ihm bei Personen von kaufmännischer Distinction und einem gewissen äußerlichen 8-^vuir s-un- begegnen, in nicht geringes Erstaunen. Ja, der evidenteste Beweis, dessen Grund zu erkennen natürlich den Heimischen am wenigsten gelingt, ist, daß es kaum ein Geschäft giebt, dessen Führer und Lenker, unter der Aegide des Herrn, nicht „ein Fremder" wäre. Daß dies Alles ans Unterrichtsanstalten und Schulen zurückwirken müsse, liegt ans der Hand: man verlangt nicht viel, so leistet man auch wenig, wie breitspurig sich auch der moderne Realismus geberdet; gelehrte Bildung aber ist ein Ding, das örtlich nicht gedeihen kann, weil man'ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/368>, abgerufen am 24.07.2024.