Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.verachtet. Daß Kenntnisse und Bildung den Genuß des Lebens erhöhen, ist verachtet. Daß Kenntnisse und Bildung den Genuß des Lebens erhöhen, ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280986"/> <p xml:id="ID_1087" prev="#ID_1086" next="#ID_1088"> verachtet. Daß Kenntnisse und Bildung den Genuß des Lebens erhöhen, ist<lb/> vorerst kaum noch eine Empfindung Weniger. Keine Ahnung, keine Spur von dem<lb/> Kunstsinn und dem geiht- und gemüthvollen Genußleben, die einzelne andere<lb/> große Handelsstädte auszeichnen, wo Weltverkehr und Alter des Reichthums den<lb/> Blick erweitert und den Sinn verfeinert haben. Noch viel weniger eine Spur<lb/> von jenen großen und schönen, geistigem Bedürfniß entsprossenen Anstalten für<lb/> Wissen und Kunst, wie sie z. B. Frankfurt und andere Orte auszuweisen habe».<lb/> Man verbraucht allerdings große Summen, aber meist für Essen und Trinken,<lb/> und anch hier mehr viel als gut; für rohe und trotz aller Frömmigkeit — für<lb/> oft sehr schlimme Dinge und Vergnügungen. Selbst die meist reine und ge¬<lb/> bildete Sprache, zweifellos mehr Folge der Routine, als der Erziehung und Bil¬<lb/> dung, ist Form ohne Inhalt. Die einzige der schönen Künste, die man pflegt,<lb/> ist die Musik. Clavierspiel und Gesang finden ihre zahlreichen Dilettanten, die<lb/> nicht selten mehr als Gewöhnliches leiste», und gehören sie gleich vorzugsweise<lb/> dem weiblichen Geschlechte an, welches bei auch geringer Anlage, Lust und Ge¬<lb/> legenheit zur Wirtschaftlichkeit doch mit irgend Etwas die viele liebe Zeit aus¬<lb/> füllen will; so ist doch auch Pflege zumal des Gesanges in weitere Kreise<lb/> gedrungen,.wie die Leistungen de< rühmlich bekannten Elberfelder Liedertafel und<lb/> ihre Siege bei den rheinischen Mnsikfesten beweisen, wenn anch ihre Mitglieder<lb/> weniger zur K-nUc vois«; zählen möchte«. Aber auch in dieser finden wir einige<lb/> vereinzelte Dilettanten, die sich mit Neigung der gedeihlichen Pflege einzelner<lb/> Instrumente hingeben. So gehören denn anch regelmäßige und außerordentliche<lb/> Concerte mit löblichen Leistungen zur Erholung aller derer, welche geistliches<lb/> Anathem von so sündhaften Vergnügen nicht abschreckt. Wessen Gemüth schon<lb/> ein wenig verhärteter, besucht wol auch die seltenen Vorstellungen Düsseldorfer<lb/> Schauspieler. Augenblicklich indeß ist solcher Ruchlosigkeit durch Verkauf des<lb/> Theaters im Allgemeinen vorgebeugt. Casino und zwei Ressourcen sorgen gegen<lb/> hohe Beiträge für das Vergnügen derer, welchen ab und zu der Tanz eine verzeih¬<lb/> liche Sünde oder keine ist, und bieten leidliche Räume, um mit einiger Ab¬<lb/> wechselung von der häuslichen, im engern oder weitern Familienkreise, Langeweile<lb/> Gesellschaft zu genießen. Wem das Alles nicht genügt — und deren sind<lb/> viele — der sucht noch andere Vergnügungen, darunter hohes Spiel nicht<lb/> gerade zu den Seltenheiten gehört, oder divertirt sich am sichersten auswärts,<lb/> ^ B. in Köln, wo man auch viel betet und auch viel sündigt. — Erwähnen<lb/> allerdings wollen wir, daß man in neuester Zeit eine „permanente Kunstaus-<lb/> stellung" Seitens einiger „Geistreicheren", nämlich mittelst des Reizes einer damit<lb/> ZU verbindenden Lotterie, in'S Werk richten wolle, und daß auch ein „wissen¬<lb/> schaftlicher Verein", insonderheit freilich nnr für und von Lehrern ?c. existire, an<lb/> dem sich indeß anch einige der herrschenden weltlichen Kaste beteiligen. — Und<lb/> Summe, der Gehalt dieses Lebens? Es ist so arm, daß es viele geben</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0369]
verachtet. Daß Kenntnisse und Bildung den Genuß des Lebens erhöhen, ist
vorerst kaum noch eine Empfindung Weniger. Keine Ahnung, keine Spur von dem
Kunstsinn und dem geiht- und gemüthvollen Genußleben, die einzelne andere
große Handelsstädte auszeichnen, wo Weltverkehr und Alter des Reichthums den
Blick erweitert und den Sinn verfeinert haben. Noch viel weniger eine Spur
von jenen großen und schönen, geistigem Bedürfniß entsprossenen Anstalten für
Wissen und Kunst, wie sie z. B. Frankfurt und andere Orte auszuweisen habe».
Man verbraucht allerdings große Summen, aber meist für Essen und Trinken,
und anch hier mehr viel als gut; für rohe und trotz aller Frömmigkeit — für
oft sehr schlimme Dinge und Vergnügungen. Selbst die meist reine und ge¬
bildete Sprache, zweifellos mehr Folge der Routine, als der Erziehung und Bil¬
dung, ist Form ohne Inhalt. Die einzige der schönen Künste, die man pflegt,
ist die Musik. Clavierspiel und Gesang finden ihre zahlreichen Dilettanten, die
nicht selten mehr als Gewöhnliches leiste», und gehören sie gleich vorzugsweise
dem weiblichen Geschlechte an, welches bei auch geringer Anlage, Lust und Ge¬
legenheit zur Wirtschaftlichkeit doch mit irgend Etwas die viele liebe Zeit aus¬
füllen will; so ist doch auch Pflege zumal des Gesanges in weitere Kreise
gedrungen,.wie die Leistungen de< rühmlich bekannten Elberfelder Liedertafel und
ihre Siege bei den rheinischen Mnsikfesten beweisen, wenn anch ihre Mitglieder
weniger zur K-nUc vois«; zählen möchte«. Aber auch in dieser finden wir einige
vereinzelte Dilettanten, die sich mit Neigung der gedeihlichen Pflege einzelner
Instrumente hingeben. So gehören denn anch regelmäßige und außerordentliche
Concerte mit löblichen Leistungen zur Erholung aller derer, welche geistliches
Anathem von so sündhaften Vergnügen nicht abschreckt. Wessen Gemüth schon
ein wenig verhärteter, besucht wol auch die seltenen Vorstellungen Düsseldorfer
Schauspieler. Augenblicklich indeß ist solcher Ruchlosigkeit durch Verkauf des
Theaters im Allgemeinen vorgebeugt. Casino und zwei Ressourcen sorgen gegen
hohe Beiträge für das Vergnügen derer, welchen ab und zu der Tanz eine verzeih¬
liche Sünde oder keine ist, und bieten leidliche Räume, um mit einiger Ab¬
wechselung von der häuslichen, im engern oder weitern Familienkreise, Langeweile
Gesellschaft zu genießen. Wem das Alles nicht genügt — und deren sind
viele — der sucht noch andere Vergnügungen, darunter hohes Spiel nicht
gerade zu den Seltenheiten gehört, oder divertirt sich am sichersten auswärts,
^ B. in Köln, wo man auch viel betet und auch viel sündigt. — Erwähnen
allerdings wollen wir, daß man in neuester Zeit eine „permanente Kunstaus-
stellung" Seitens einiger „Geistreicheren", nämlich mittelst des Reizes einer damit
ZU verbindenden Lotterie, in'S Werk richten wolle, und daß auch ein „wissen¬
schaftlicher Verein", insonderheit freilich nnr für und von Lehrern ?c. existire, an
dem sich indeß anch einige der herrschenden weltlichen Kaste beteiligen. — Und
Summe, der Gehalt dieses Lebens? Es ist so arm, daß es viele geben
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