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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Konversation begreiflich ist, breitet sich eine gewisse Wehmuth, die aber nicht ohne
Reiz ist. ES ist das Gefühl der Traurigkeit, dessen sich in einer verderbten Zeit
anch die Tugend nicht erwehren kann, die aber nicht zu jener Aristokratie schöner
Seelen führt, mit der man damals in Deutschland coqnettirte, sondern zu einer
Humanität, die auch gerechtfertigte Ansprüche der Endlichkeit der irdischen Be¬
dingungen unterwarf. Die Moral ist ihr nicht ein absolutes Gesetz, sondern nnr
das Studium des kleinern Uebels. Dem Schmerz über die unreine Menschheit
stellt sie die Freude an der Natur gegenüber; ein Gegensatz, der damals alle
Welt bewegte und den -sie auch in mehreren Gedichten ausführte, aber ohne be¬
sonderes Glück, weil ihr das Fornttalent abging. In dieser Beziehung überragt
sie ihr Zeitgenosse Andrv Chenier, dessen Gedichte aber erst eine spätere Zeit
zur Anerkennng brachte, bei Weitem, während er ihr an Innigkeit des Gefühls
gleich kam.

Viel wichtiger ist ihre Schrift: I-i Morata-v vorrslävrüo alios "of r-ipports
avvv 1<Z5 in8>,i>,u!.lau" so^lW (1800), eine Schrift, die in ihrer Art eben so
viel Aufsehen machte, wie der zwei Jahre später erschienene Genius des Christen¬
thums. Mit diesem Buch ist ihre eigentlich sentimentale Periode abgeschlossen.
Sie schwelgt nicht mehr in dem Selbstgefühl tugendhafter Leiden, sondern sie
strebt ans dem engen Kreise der individuellen Interessen heraus nach dem allge¬
meinen Ideal der Menschheit. Es athmet darin die freudige Siegesgewißheit,
die von der Idee einer unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen¬
geschlechts ausgeht. Sie glaubt an eine neue Poesie, an eine" tiefern Ausdruck
^'s Gefühls, wie er sich schon in Ossian, in Werther ze. prophetisch verkündet, und
^ spricht von der Nothwendigkeit eines neuen Glaubens, der eben so lMimmt
^'i, die modernen, inneren Barbaren der Revolution zu zähmen, wie das Christen¬
tum die alten Barbaren der Völkerwanderung gezähmt habe. DaS war eine
^dee, die man zugleich als den Mittelpunkt der romantischen Schule in Deutsch-
^"d auffassen kann, das neue Evangelinm der absoluten Knnstreligion. Der
Unterschied lag aber darin, daß die neue Religion der Herren Schlegel und
Genossen ein Gegensatz gegen die bisherigen Ideale der Menschheit sein sollte,
^ Religion der Frau v. Staöl ihre Erfüllung, der energische potenzirte Ausdruck
^sser, was die Menschheit bisher im Einzelnen ersehnt und erstrebt hatte. Neben
^U'ser Tendenz treten die literarhistorischen Betrachtungen, die auch bei den mangel¬
haften Studien nicht erschöpfend sein konnten, zurück, doch finden sich anch in ihnen
^°le geistvolle, Anwendungen des leitenden Princips- -- DaS Buch erregte großes
Aufsehen, und veranlaßte eine Reihe von Schriften dafür und dagegen. Die
^euernngen der Sprache, die Ungenauigkeit des Styls wurde sehr lebhast ange¬
rissen, vor Allem aber der Inhalt, der sowol der alten philosophischen Schule
'^S dem modernen Christenthum widersprach, Besonders im Nvrvurv ne- ^nu>o,tZ
w"rde für die Absolutheit und Unveränderlichst des Christenthums in die Schran-


Konversation begreiflich ist, breitet sich eine gewisse Wehmuth, die aber nicht ohne
Reiz ist. ES ist das Gefühl der Traurigkeit, dessen sich in einer verderbten Zeit
anch die Tugend nicht erwehren kann, die aber nicht zu jener Aristokratie schöner
Seelen führt, mit der man damals in Deutschland coqnettirte, sondern zu einer
Humanität, die auch gerechtfertigte Ansprüche der Endlichkeit der irdischen Be¬
dingungen unterwarf. Die Moral ist ihr nicht ein absolutes Gesetz, sondern nnr
das Studium des kleinern Uebels. Dem Schmerz über die unreine Menschheit
stellt sie die Freude an der Natur gegenüber; ein Gegensatz, der damals alle
Welt bewegte und den -sie auch in mehreren Gedichten ausführte, aber ohne be¬
sonderes Glück, weil ihr das Fornttalent abging. In dieser Beziehung überragt
sie ihr Zeitgenosse Andrv Chenier, dessen Gedichte aber erst eine spätere Zeit
zur Anerkennng brachte, bei Weitem, während er ihr an Innigkeit des Gefühls
gleich kam.

Viel wichtiger ist ihre Schrift: I-i Morata-v vorrslävrüo alios «of r-ipports
avvv 1<Z5 in8>,i>,u!.lau» so^lW (1800), eine Schrift, die in ihrer Art eben so
viel Aufsehen machte, wie der zwei Jahre später erschienene Genius des Christen¬
thums. Mit diesem Buch ist ihre eigentlich sentimentale Periode abgeschlossen.
Sie schwelgt nicht mehr in dem Selbstgefühl tugendhafter Leiden, sondern sie
strebt ans dem engen Kreise der individuellen Interessen heraus nach dem allge¬
meinen Ideal der Menschheit. Es athmet darin die freudige Siegesgewißheit,
die von der Idee einer unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen¬
geschlechts ausgeht. Sie glaubt an eine neue Poesie, an eine» tiefern Ausdruck
^'s Gefühls, wie er sich schon in Ossian, in Werther ze. prophetisch verkündet, und
^ spricht von der Nothwendigkeit eines neuen Glaubens, der eben so lMimmt
^'i, die modernen, inneren Barbaren der Revolution zu zähmen, wie das Christen¬
tum die alten Barbaren der Völkerwanderung gezähmt habe. DaS war eine
^dee, die man zugleich als den Mittelpunkt der romantischen Schule in Deutsch-
^»d auffassen kann, das neue Evangelinm der absoluten Knnstreligion. Der
Unterschied lag aber darin, daß die neue Religion der Herren Schlegel und
Genossen ein Gegensatz gegen die bisherigen Ideale der Menschheit sein sollte,
^ Religion der Frau v. Staöl ihre Erfüllung, der energische potenzirte Ausdruck
^sser, was die Menschheit bisher im Einzelnen ersehnt und erstrebt hatte. Neben
^U'ser Tendenz treten die literarhistorischen Betrachtungen, die auch bei den mangel¬
haften Studien nicht erschöpfend sein konnten, zurück, doch finden sich anch in ihnen
^°le geistvolle, Anwendungen des leitenden Princips- — DaS Buch erregte großes
Aufsehen, und veranlaßte eine Reihe von Schriften dafür und dagegen. Die
^euernngen der Sprache, die Ungenauigkeit des Styls wurde sehr lebhast ange¬
rissen, vor Allem aber der Inhalt, der sowol der alten philosophischen Schule
'^S dem modernen Christenthum widersprach, Besonders im Nvrvurv ne- ^nu>o,tZ
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[0297] Konversation begreiflich ist, breitet sich eine gewisse Wehmuth, die aber nicht ohne Reiz ist. ES ist das Gefühl der Traurigkeit, dessen sich in einer verderbten Zeit anch die Tugend nicht erwehren kann, die aber nicht zu jener Aristokratie schöner Seelen führt, mit der man damals in Deutschland coqnettirte, sondern zu einer Humanität, die auch gerechtfertigte Ansprüche der Endlichkeit der irdischen Be¬ dingungen unterwarf. Die Moral ist ihr nicht ein absolutes Gesetz, sondern nnr das Studium des kleinern Uebels. Dem Schmerz über die unreine Menschheit stellt sie die Freude an der Natur gegenüber; ein Gegensatz, der damals alle Welt bewegte und den -sie auch in mehreren Gedichten ausführte, aber ohne be¬ sonderes Glück, weil ihr das Fornttalent abging. In dieser Beziehung überragt sie ihr Zeitgenosse Andrv Chenier, dessen Gedichte aber erst eine spätere Zeit zur Anerkennng brachte, bei Weitem, während er ihr an Innigkeit des Gefühls gleich kam. Viel wichtiger ist ihre Schrift: I-i Morata-v vorrslävrüo alios «of r-ipports avvv 1<Z5 in8>,i>,u!.lau» so^lW (1800), eine Schrift, die in ihrer Art eben so viel Aufsehen machte, wie der zwei Jahre später erschienene Genius des Christen¬ thums. Mit diesem Buch ist ihre eigentlich sentimentale Periode abgeschlossen. Sie schwelgt nicht mehr in dem Selbstgefühl tugendhafter Leiden, sondern sie strebt ans dem engen Kreise der individuellen Interessen heraus nach dem allge¬ meinen Ideal der Menschheit. Es athmet darin die freudige Siegesgewißheit, die von der Idee einer unendlichen Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen¬ geschlechts ausgeht. Sie glaubt an eine neue Poesie, an eine» tiefern Ausdruck ^'s Gefühls, wie er sich schon in Ossian, in Werther ze. prophetisch verkündet, und ^ spricht von der Nothwendigkeit eines neuen Glaubens, der eben so lMimmt ^'i, die modernen, inneren Barbaren der Revolution zu zähmen, wie das Christen¬ tum die alten Barbaren der Völkerwanderung gezähmt habe. DaS war eine ^dee, die man zugleich als den Mittelpunkt der romantischen Schule in Deutsch- ^»d auffassen kann, das neue Evangelinm der absoluten Knnstreligion. Der Unterschied lag aber darin, daß die neue Religion der Herren Schlegel und Genossen ein Gegensatz gegen die bisherigen Ideale der Menschheit sein sollte, ^ Religion der Frau v. Staöl ihre Erfüllung, der energische potenzirte Ausdruck ^sser, was die Menschheit bisher im Einzelnen ersehnt und erstrebt hatte. Neben ^U'ser Tendenz treten die literarhistorischen Betrachtungen, die auch bei den mangel¬ haften Studien nicht erschöpfend sein konnten, zurück, doch finden sich anch in ihnen ^°le geistvolle, Anwendungen des leitenden Princips- — DaS Buch erregte großes Aufsehen, und veranlaßte eine Reihe von Schriften dafür und dagegen. Die ^euernngen der Sprache, die Ungenauigkeit des Styls wurde sehr lebhast ange¬ rissen, vor Allem aber der Inhalt, der sowol der alten philosophischen Schule '^S dem modernen Christenthum widersprach, Besonders im Nvrvurv ne- ^nu>o,tZ w»rde für die Absolutheit und Unveränderlichst des Christenthums in die Schran-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/297>, abgerufen am 23.07.2024.