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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Ein Jahr vorher war sie mit dem schwedischen Gesandten, Baron von
StaÄ-Holstein verheirathet, eine Ehe, in der sie nicht jene Befriedigung im
höhern Sinne fand, nach der sie strebte, und die sogar in der folgenden Zeit zu einer
momentanen Scheidung führte. Doch hat sie ihrem Gemahl, als er krank wurde,
bis an seinen Tod (1798) treue Pflege gewidmet.

Die Revolution zog sie in den Kreis der Politik. Sie war, wie viele
Frauen der damaligen Zeit, in unruhiger Geschäftigkeit thätig, bald mit ihrer
Partei Pläne zur Wiederherstellung der Ordnung zu ersinnen, bald einzelnen
Verfolgten Hilfe zu leisten. Nach den Septembertagen t79Ä verließ sie Paris,
und begab sich zu ihrem Vater uach dem Familiengut Coppet am Genfersee. Der
schreckliche Abweg, in den die Revolution gerathen war, vermochte sie nicht in
ihrem Glauben an die Freiheit zu erschüttern. In ihren beiden Schriften:
KtMvxioas "ur In, puix "xl-ürivurk iulvrivurv (1793) und: 1>o l'i"-
1'tuum.viZ neu" iiasslous "ur to boulwnr Aos inülviäus ob <1es uuUons 796)
untersucht sie die Statur des Fanatismus mit jener Ruhe, welche die Wissenschaft
einer physikalischen Erscheinung zu Theil werden läßt, und die in Beziehung auf die
Revolution außer ihr nnr Georg Forster bewahrt hatte.

Im Jahre 1793, als die Republik von Schweden anerkannt war, lehrte
sie mit ihrem Gemahl nach Paris zurück. Sehr bald wurde ihr Salon der
Mittelpunkt der liberalen Opposition. Es vereinigten sich in demselben die.geist¬
vollsten Männer, die im parlamentarischen Leben thätig waren, Benjamin Constant,
Laujuiuais, Boissy d'Anglas, Garat n. s. w., die ungefähr ans dem Standpunkt
stehen geblieben waren, welchen die liberale Partei zu Anfang der Revolution
eingenommen hatte. Von großer Bedeutung war diese Opposition damals nicht,
da das parlamentarische Leben mehr und mehr im militärischen unterzugehen be>
stimmt war. Dagegen sind diese Salons, die sich seit dem Thermidor in Paris
wieder cvösfneteu, für die Geschichte der socialen Verhältnisse von großer Bedeu¬
tung. Sie waren ein stillschweigender Protest nicht blos gegen eine bestimmte
Richtung der Politik, sondern gegen die einseitige Herrschaft der Politik überhaupt.

Noch im Jahre 179L erschien der llssui, sur Jo8 t'ietions, -- eine Schrift,
die später durch das Werk ihres Freundes Bonstetten NvvKvrvliss "in- tu uulure
>>(! j'nmrKuiulimi (1807) ergänzt wurde. Sie sprach sich darin sür die vollstän¬
dige Verbindung der Poesie mit dem Leben aus, und zog uuter allen Formen
derselben den sentimentalen, socialen Roman vor, der sich mit den gegenwärtige"
Zuständen der Gesellschaft und mit den Empfindungen des Herzens beschäftigt!
eine Theorie, die sie später in der Delphine praktisch ausführte. Das Leben der
Seele, sagte sie darin, ist viel inhaltreicher als alle Thaten der Cäsaren; eine
Ansicht, die damals von einer gewissen Kühnheit zeugte. Elarisse, Julie, Werther
waren ihre Ideale. Ueber diese Schrift, deren Sprache zum Theil sehr schon
ist, obgleich uicht immer correct, wie das bei ihrer vorwiegende" Neigung M


Ein Jahr vorher war sie mit dem schwedischen Gesandten, Baron von
StaÄ-Holstein verheirathet, eine Ehe, in der sie nicht jene Befriedigung im
höhern Sinne fand, nach der sie strebte, und die sogar in der folgenden Zeit zu einer
momentanen Scheidung führte. Doch hat sie ihrem Gemahl, als er krank wurde,
bis an seinen Tod (1798) treue Pflege gewidmet.

Die Revolution zog sie in den Kreis der Politik. Sie war, wie viele
Frauen der damaligen Zeit, in unruhiger Geschäftigkeit thätig, bald mit ihrer
Partei Pläne zur Wiederherstellung der Ordnung zu ersinnen, bald einzelnen
Verfolgten Hilfe zu leisten. Nach den Septembertagen t79Ä verließ sie Paris,
und begab sich zu ihrem Vater uach dem Familiengut Coppet am Genfersee. Der
schreckliche Abweg, in den die Revolution gerathen war, vermochte sie nicht in
ihrem Glauben an die Freiheit zu erschüttern. In ihren beiden Schriften:
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untersucht sie die Statur des Fanatismus mit jener Ruhe, welche die Wissenschaft
einer physikalischen Erscheinung zu Theil werden läßt, und die in Beziehung auf die
Revolution außer ihr nnr Georg Forster bewahrt hatte.

Im Jahre 1793, als die Republik von Schweden anerkannt war, lehrte
sie mit ihrem Gemahl nach Paris zurück. Sehr bald wurde ihr Salon der
Mittelpunkt der liberalen Opposition. Es vereinigten sich in demselben die.geist¬
vollsten Männer, die im parlamentarischen Leben thätig waren, Benjamin Constant,
Laujuiuais, Boissy d'Anglas, Garat n. s. w., die ungefähr ans dem Standpunkt
stehen geblieben waren, welchen die liberale Partei zu Anfang der Revolution
eingenommen hatte. Von großer Bedeutung war diese Opposition damals nicht,
da das parlamentarische Leben mehr und mehr im militärischen unterzugehen be>
stimmt war. Dagegen sind diese Salons, die sich seit dem Thermidor in Paris
wieder cvösfneteu, für die Geschichte der socialen Verhältnisse von großer Bedeu¬
tung. Sie waren ein stillschweigender Protest nicht blos gegen eine bestimmte
Richtung der Politik, sondern gegen die einseitige Herrschaft der Politik überhaupt.

Noch im Jahre 179L erschien der llssui, sur Jo8 t'ietions, — eine Schrift,
die später durch das Werk ihres Freundes Bonstetten NvvKvrvliss »in- tu uulure
>>(! j'nmrKuiulimi (1807) ergänzt wurde. Sie sprach sich darin sür die vollstän¬
dige Verbindung der Poesie mit dem Leben aus, und zog uuter allen Formen
derselben den sentimentalen, socialen Roman vor, der sich mit den gegenwärtige»
Zuständen der Gesellschaft und mit den Empfindungen des Herzens beschäftigt!
eine Theorie, die sie später in der Delphine praktisch ausführte. Das Leben der
Seele, sagte sie darin, ist viel inhaltreicher als alle Thaten der Cäsaren; eine
Ansicht, die damals von einer gewissen Kühnheit zeugte. Elarisse, Julie, Werther
waren ihre Ideale. Ueber diese Schrift, deren Sprache zum Theil sehr schon
ist, obgleich uicht immer correct, wie das bei ihrer vorwiegende» Neigung M


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[0296] Ein Jahr vorher war sie mit dem schwedischen Gesandten, Baron von StaÄ-Holstein verheirathet, eine Ehe, in der sie nicht jene Befriedigung im höhern Sinne fand, nach der sie strebte, und die sogar in der folgenden Zeit zu einer momentanen Scheidung führte. Doch hat sie ihrem Gemahl, als er krank wurde, bis an seinen Tod (1798) treue Pflege gewidmet. Die Revolution zog sie in den Kreis der Politik. Sie war, wie viele Frauen der damaligen Zeit, in unruhiger Geschäftigkeit thätig, bald mit ihrer Partei Pläne zur Wiederherstellung der Ordnung zu ersinnen, bald einzelnen Verfolgten Hilfe zu leisten. Nach den Septembertagen t79Ä verließ sie Paris, und begab sich zu ihrem Vater uach dem Familiengut Coppet am Genfersee. Der schreckliche Abweg, in den die Revolution gerathen war, vermochte sie nicht in ihrem Glauben an die Freiheit zu erschüttern. In ihren beiden Schriften: KtMvxioas «ur In, puix «xl-ürivurk iulvrivurv (1793) und: 1>o l'i»- 1'tuum.viZ neu« iiasslous «ur to boulwnr Aos inülviäus ob <1es uuUons 796) untersucht sie die Statur des Fanatismus mit jener Ruhe, welche die Wissenschaft einer physikalischen Erscheinung zu Theil werden läßt, und die in Beziehung auf die Revolution außer ihr nnr Georg Forster bewahrt hatte. Im Jahre 1793, als die Republik von Schweden anerkannt war, lehrte sie mit ihrem Gemahl nach Paris zurück. Sehr bald wurde ihr Salon der Mittelpunkt der liberalen Opposition. Es vereinigten sich in demselben die.geist¬ vollsten Männer, die im parlamentarischen Leben thätig waren, Benjamin Constant, Laujuiuais, Boissy d'Anglas, Garat n. s. w., die ungefähr ans dem Standpunkt stehen geblieben waren, welchen die liberale Partei zu Anfang der Revolution eingenommen hatte. Von großer Bedeutung war diese Opposition damals nicht, da das parlamentarische Leben mehr und mehr im militärischen unterzugehen be> stimmt war. Dagegen sind diese Salons, die sich seit dem Thermidor in Paris wieder cvösfneteu, für die Geschichte der socialen Verhältnisse von großer Bedeu¬ tung. Sie waren ein stillschweigender Protest nicht blos gegen eine bestimmte Richtung der Politik, sondern gegen die einseitige Herrschaft der Politik überhaupt. Noch im Jahre 179L erschien der llssui, sur Jo8 t'ietions, — eine Schrift, die später durch das Werk ihres Freundes Bonstetten NvvKvrvliss »in- tu uulure >>(! j'nmrKuiulimi (1807) ergänzt wurde. Sie sprach sich darin sür die vollstän¬ dige Verbindung der Poesie mit dem Leben aus, und zog uuter allen Formen derselben den sentimentalen, socialen Roman vor, der sich mit den gegenwärtige» Zuständen der Gesellschaft und mit den Empfindungen des Herzens beschäftigt! eine Theorie, die sie später in der Delphine praktisch ausführte. Das Leben der Seele, sagte sie darin, ist viel inhaltreicher als alle Thaten der Cäsaren; eine Ansicht, die damals von einer gewissen Kühnheit zeugte. Elarisse, Julie, Werther waren ihre Ideale. Ueber diese Schrift, deren Sprache zum Theil sehr schon ist, obgleich uicht immer correct, wie das bei ihrer vorwiegende» Neigung M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/296>, abgerufen am 23.07.2024.