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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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mentarischeu Beweise dafür liefere, wie er immer, als Minister, Gesandter, Reichs¬
rath und Krouoberhofmeister den heutigen Standpunkt eingenommen. Sie wollen's
in Bayern nicht glauben. -- Hr. Fürst Wallerstein ist, was man einen stattlichen
Manu nennt, nur tragen höflich dünne Beine eine unhöflich schwere Last. Sein
Kopf hat etwas Angenehmes in den ursprünglichen Zügen, mag sogar in jugend¬
licher Zeit interessant gewesen sein; aber die Augen stören mit dem lauernden
Blick die Wahrheit des stereotypen Lächelns seines Antlitzes. Auch wollen die
grauen sorglose" Locken nicht zu der Sorgfalt passen, womit das Antlitz die Be¬
wegungen der Seele verbergen soll; die ganze, nachlässig hingegossene Schart
widerspricht -- Allem, was man ans langer Erfahrung von dem Manne weiß.
Selbst die glatte, schlüpfende Weise der alten diplomatischen Schule läßt sich uicht
bis zum Vergessen verhüllen, so wie Hr. Fürst Wallerstein spricht, obgleich er über
alle parlamentarischen Kunstgriffe und Fechtcrkünste gebietet, und mit schermesser¬
scharfem Verstände zu verfügen weiß. Er beginnt und schließt gewöhnlich mit
Pathos, gebraucht die Ansprache an das Gefühl weit häufiger, als die trockene
schroffe Frage an den kritischen Verstand, weiß jeden einzelnen Gegner trefflich
in seiner Besonderheit oder Schwäche zu fassen -- und doch überzeugt er selten.
Vielleicht trägt ein scharfes und gleichzeitig breites Organ, ein gewisses Quäker
und Quetschen der Stimme zu diesem ungünstigen Eindrucke bei; und wo bei
anderen Charakteren der erschütternde Zorn sich unwillkürlich im Tone ausprägt,
da appellirt Fürst Wallerstein mit wunderlich feuchtem Blick, breitgezogenem Mu"d
und weinerlichen Wesen immer von Neuem an das Gefühl. Aber man glaubt's
ihm nicht. Ja, es giebt wol wenig Menschen, aus die sich das bekannte Wort
mit gleicher Wahrheit anwenden läßt: "Man merkt die Absicht und mau ist ver¬
stimmt." -- Dennoch hat der Fürst, wie bekannt, als Minister die Kammern mit
solchen Mitteln trefflich beherrscht, trefflicher als selbst sein Nachfolger im Amt.
IcWpura mu>.!,neur -- wir begegnen ihm wieder, wenn wir die Reihen der Ab¬
geordneten durchmustern.

Schade, daß ihm jetzt dort sein alter Gegner fehlt. Denn es war wirklich
ein interessanter Anblick in der 18i8 gewählten Kammer Hrn. v. Abel sitzen
sehen, ja mitunter selbst sprechen zu hören. Mitten unter den mehr oder minder
demokratisch bewegten Elementen saß er aufrecht und steif, eine vereinsamte Ge-
hcimrathsgestalt, wie plan sie auf dem Theater besten Styls sieht, staatsmänmsch
im Aeußern vom Wirbel bis zur Zehe und dadurch vornehm, selbst nicht ohne
die Beigabe eines Geheimsecretairs, denn Hr. v. Oberkamp, das wohlgetroffene
Bild eines verknöcherten Actenmenschen, saß ihm zur Seite, zu Dienst, zur Kund¬
gabe derjenigen Gedanken, welche dem Munde des Geheimraths zu untergeordne
erschienen. Hrn. v. Wels Haar war grau, kurzgeschuitten und glattgcbürflet, kein
Bart im ganzen, vom ehemaligen Geschäftsdrang tiefeingeschnittenen, nicht vom
Alter gerunzelten Antlitz; die Bewegungen, wenigstens im Gegensatze zu den


mentarischeu Beweise dafür liefere, wie er immer, als Minister, Gesandter, Reichs¬
rath und Krouoberhofmeister den heutigen Standpunkt eingenommen. Sie wollen's
in Bayern nicht glauben. — Hr. Fürst Wallerstein ist, was man einen stattlichen
Manu nennt, nur tragen höflich dünne Beine eine unhöflich schwere Last. Sein
Kopf hat etwas Angenehmes in den ursprünglichen Zügen, mag sogar in jugend¬
licher Zeit interessant gewesen sein; aber die Augen stören mit dem lauernden
Blick die Wahrheit des stereotypen Lächelns seines Antlitzes. Auch wollen die
grauen sorglose» Locken nicht zu der Sorgfalt passen, womit das Antlitz die Be¬
wegungen der Seele verbergen soll; die ganze, nachlässig hingegossene Schart
widerspricht — Allem, was man ans langer Erfahrung von dem Manne weiß.
Selbst die glatte, schlüpfende Weise der alten diplomatischen Schule läßt sich uicht
bis zum Vergessen verhüllen, so wie Hr. Fürst Wallerstein spricht, obgleich er über
alle parlamentarischen Kunstgriffe und Fechtcrkünste gebietet, und mit schermesser¬
scharfem Verstände zu verfügen weiß. Er beginnt und schließt gewöhnlich mit
Pathos, gebraucht die Ansprache an das Gefühl weit häufiger, als die trockene
schroffe Frage an den kritischen Verstand, weiß jeden einzelnen Gegner trefflich
in seiner Besonderheit oder Schwäche zu fassen — und doch überzeugt er selten.
Vielleicht trägt ein scharfes und gleichzeitig breites Organ, ein gewisses Quäker
und Quetschen der Stimme zu diesem ungünstigen Eindrucke bei; und wo bei
anderen Charakteren der erschütternde Zorn sich unwillkürlich im Tone ausprägt,
da appellirt Fürst Wallerstein mit wunderlich feuchtem Blick, breitgezogenem Mu»d
und weinerlichen Wesen immer von Neuem an das Gefühl. Aber man glaubt's
ihm nicht. Ja, es giebt wol wenig Menschen, aus die sich das bekannte Wort
mit gleicher Wahrheit anwenden läßt: „Man merkt die Absicht und mau ist ver¬
stimmt." — Dennoch hat der Fürst, wie bekannt, als Minister die Kammern mit
solchen Mitteln trefflich beherrscht, trefflicher als selbst sein Nachfolger im Amt.
IcWpura mu>.!,neur — wir begegnen ihm wieder, wenn wir die Reihen der Ab¬
geordneten durchmustern.

Schade, daß ihm jetzt dort sein alter Gegner fehlt. Denn es war wirklich
ein interessanter Anblick in der 18i8 gewählten Kammer Hrn. v. Abel sitzen
sehen, ja mitunter selbst sprechen zu hören. Mitten unter den mehr oder minder
demokratisch bewegten Elementen saß er aufrecht und steif, eine vereinsamte Ge-
hcimrathsgestalt, wie plan sie auf dem Theater besten Styls sieht, staatsmänmsch
im Aeußern vom Wirbel bis zur Zehe und dadurch vornehm, selbst nicht ohne
die Beigabe eines Geheimsecretairs, denn Hr. v. Oberkamp, das wohlgetroffene
Bild eines verknöcherten Actenmenschen, saß ihm zur Seite, zu Dienst, zur Kund¬
gabe derjenigen Gedanken, welche dem Munde des Geheimraths zu untergeordne
erschienen. Hrn. v. Wels Haar war grau, kurzgeschuitten und glattgcbürflet, kein
Bart im ganzen, vom ehemaligen Geschäftsdrang tiefeingeschnittenen, nicht vom
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/24>, abgerufen am 23.07.2024.