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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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die Tendenzen und Bestrebungen, welche damals das Staatsleben bewegten und
die Parteien theilten, erscheinen jetzt in den Ansichten und Meinungen der Epi¬
gonen zu unzerstörbaren Vorurtheilen versteinert.

In der Vorstellung des polnischen Demokraten ist das Ideal eines Staates noch
immer eine Adclsrcpnblik mit unbeschränkter Freiheit und Gleichheit der ganze"
Schlachta. Seine Demokratie ist noch immer nichts Anderes alsAdelsdemvkratie. Es
handelt sich dabei blos um die Gleichstellung des niedern Adels mit dem höhern. Die
Einbildung des letztern auf den Vorzug der Geburt, meinen die Demokraten, sei ein
lächerliches Vorurtheil. Vor Gott gebe es gar keinen Unterschied zwischen hohei"
und niederem Adel, der geringste Schlachziz sei so gut, als der mächtigste Mag¬
nat. Adam, von dem wir Alle abstammen, sei weder Castellan noch Wojewode
gewesen, sondern ein schlichter Landedelmann, der im Paradiese ein kleines Güt¬
chen hatte. Die Erzväter, Jesus Christus und die Apostel gehörten ebenfalls
nicht dem Herrenstande, sondern dein niedern Adel an. Das Maguatenthum sei
eine arge Usurpation. Vou Rechts wegen sollten alle Edelleute gleich sein unter
einander und sich gegenseitig wie Brüder betrachten. Der dritte Stand aber, der
Bürger und Bauer, werdeu vou dieser Demokratie eben so wenig berücksichtigt, als
anderwärts vou der exclusivsteu Aristokratie. Ja selbst die am weitesten vorge¬
schrittenen Parteien der äußersten Linken nehmen in ihren Systemen und Theo¬
rien nur auf den Adel Rücksicht, und sogar der Socialismus und CommnnisM"^
werdeu von ihren hiesigen Jüngern als Adelssvcialismus oder Adelscommunis-
mns aufgefaßt. Das Problem, um dessen Losung es sich handelt, ist ihnen nicht
die gleiche Vertheiluug des Vermögens und die Aufhebung oder Milderung des
Eontrastes zwischen großem Reichthum und äußerster Amnuth im Allgemeine",
sondern blos die Hebung der Ungleichheit des Besitzes nnter dem Adel.
Edelmann habe viele Herrschaften und Hunderte von Bauern, ein anderer n"r
wenige Hufen Landes mit ein Paar Unterthauen; darum sollte der Staat alle
Güter und alle Bauern nnter den gesammten Adel gleich vertheilen, oder das
Land und die Bauern sollten gemeinschaftliches Eigenthum sein, und daraus jeder
Zchlachziz erhalten Solon s-r eaMvil.6 et Solon "of oeuvrvs. ES versteht siel)'
daß dies nicht so geradezu ausgesprochen wird, aber die Meisten, die hier M
Socialismus schwärmen, stellen sich das Ding ungefähr so vor.

Diese ausschließliche Berücksichtigung des Adels' von Seiten der polnische"
Demokratie läßt sich an die verschiedensten scheinbar ganz zufälligen Erschein""'
gen in Sprache, Literatur und Sitte bis zu unbedeutenden Kleinigkeiten herab
nachweisen.

So z. B. gleich ein sprachliches Curiosum. Deutsche und französische Re-
publikaner pflegeu einander mit Bürger, (!ü.">en, zu tituliren, sie sagen Bürger
General, Bürger Geschworner n. s. w. Der Pole gebraucht in seinem repnbll-
kmüscheu Style dafür das Wort udynut"!. Diese Benennungen kommen insofern


die Tendenzen und Bestrebungen, welche damals das Staatsleben bewegten und
die Parteien theilten, erscheinen jetzt in den Ansichten und Meinungen der Epi¬
gonen zu unzerstörbaren Vorurtheilen versteinert.

In der Vorstellung des polnischen Demokraten ist das Ideal eines Staates noch
immer eine Adclsrcpnblik mit unbeschränkter Freiheit und Gleichheit der ganze»
Schlachta. Seine Demokratie ist noch immer nichts Anderes alsAdelsdemvkratie. Es
handelt sich dabei blos um die Gleichstellung des niedern Adels mit dem höhern. Die
Einbildung des letztern auf den Vorzug der Geburt, meinen die Demokraten, sei ein
lächerliches Vorurtheil. Vor Gott gebe es gar keinen Unterschied zwischen hohei»
und niederem Adel, der geringste Schlachziz sei so gut, als der mächtigste Mag¬
nat. Adam, von dem wir Alle abstammen, sei weder Castellan noch Wojewode
gewesen, sondern ein schlichter Landedelmann, der im Paradiese ein kleines Güt¬
chen hatte. Die Erzväter, Jesus Christus und die Apostel gehörten ebenfalls
nicht dem Herrenstande, sondern dein niedern Adel an. Das Maguatenthum sei
eine arge Usurpation. Vou Rechts wegen sollten alle Edelleute gleich sein unter
einander und sich gegenseitig wie Brüder betrachten. Der dritte Stand aber, der
Bürger und Bauer, werdeu vou dieser Demokratie eben so wenig berücksichtigt, als
anderwärts vou der exclusivsteu Aristokratie. Ja selbst die am weitesten vorge¬
schrittenen Parteien der äußersten Linken nehmen in ihren Systemen und Theo¬
rien nur auf den Adel Rücksicht, und sogar der Socialismus und CommnnisM»^
werdeu von ihren hiesigen Jüngern als Adelssvcialismus oder Adelscommunis-
mns aufgefaßt. Das Problem, um dessen Losung es sich handelt, ist ihnen nicht
die gleiche Vertheiluug des Vermögens und die Aufhebung oder Milderung des
Eontrastes zwischen großem Reichthum und äußerster Amnuth im Allgemeine»,
sondern blos die Hebung der Ungleichheit des Besitzes nnter dem Adel.
Edelmann habe viele Herrschaften und Hunderte von Bauern, ein anderer n»r
wenige Hufen Landes mit ein Paar Unterthauen; darum sollte der Staat alle
Güter und alle Bauern nnter den gesammten Adel gleich vertheilen, oder das
Land und die Bauern sollten gemeinschaftliches Eigenthum sein, und daraus jeder
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daß dies nicht so geradezu ausgesprochen wird, aber die Meisten, die hier M
Socialismus schwärmen, stellen sich das Ding ungefähr so vor.

Diese ausschließliche Berücksichtigung des Adels' von Seiten der polnische"
Demokratie läßt sich an die verschiedensten scheinbar ganz zufälligen Erschein»»'
gen in Sprache, Literatur und Sitte bis zu unbedeutenden Kleinigkeiten herab
nachweisen.

So z. B. gleich ein sprachliches Curiosum. Deutsche und französische Re-
publikaner pflegeu einander mit Bürger, (!ü.«>en, zu tituliren, sie sagen Bürger
General, Bürger Geschworner n. s. w. Der Pole gebraucht in seinem repnbll-
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[0236] die Tendenzen und Bestrebungen, welche damals das Staatsleben bewegten und die Parteien theilten, erscheinen jetzt in den Ansichten und Meinungen der Epi¬ gonen zu unzerstörbaren Vorurtheilen versteinert. In der Vorstellung des polnischen Demokraten ist das Ideal eines Staates noch immer eine Adclsrcpnblik mit unbeschränkter Freiheit und Gleichheit der ganze» Schlachta. Seine Demokratie ist noch immer nichts Anderes alsAdelsdemvkratie. Es handelt sich dabei blos um die Gleichstellung des niedern Adels mit dem höhern. Die Einbildung des letztern auf den Vorzug der Geburt, meinen die Demokraten, sei ein lächerliches Vorurtheil. Vor Gott gebe es gar keinen Unterschied zwischen hohei» und niederem Adel, der geringste Schlachziz sei so gut, als der mächtigste Mag¬ nat. Adam, von dem wir Alle abstammen, sei weder Castellan noch Wojewode gewesen, sondern ein schlichter Landedelmann, der im Paradiese ein kleines Güt¬ chen hatte. Die Erzväter, Jesus Christus und die Apostel gehörten ebenfalls nicht dem Herrenstande, sondern dein niedern Adel an. Das Maguatenthum sei eine arge Usurpation. Vou Rechts wegen sollten alle Edelleute gleich sein unter einander und sich gegenseitig wie Brüder betrachten. Der dritte Stand aber, der Bürger und Bauer, werdeu vou dieser Demokratie eben so wenig berücksichtigt, als anderwärts vou der exclusivsteu Aristokratie. Ja selbst die am weitesten vorge¬ schrittenen Parteien der äußersten Linken nehmen in ihren Systemen und Theo¬ rien nur auf den Adel Rücksicht, und sogar der Socialismus und CommnnisM»^ werdeu von ihren hiesigen Jüngern als Adelssvcialismus oder Adelscommunis- mns aufgefaßt. Das Problem, um dessen Losung es sich handelt, ist ihnen nicht die gleiche Vertheiluug des Vermögens und die Aufhebung oder Milderung des Eontrastes zwischen großem Reichthum und äußerster Amnuth im Allgemeine», sondern blos die Hebung der Ungleichheit des Besitzes nnter dem Adel. Edelmann habe viele Herrschaften und Hunderte von Bauern, ein anderer n»r wenige Hufen Landes mit ein Paar Unterthauen; darum sollte der Staat alle Güter und alle Bauern nnter den gesammten Adel gleich vertheilen, oder das Land und die Bauern sollten gemeinschaftliches Eigenthum sein, und daraus jeder Zchlachziz erhalten Solon s-r eaMvil.6 et Solon »of oeuvrvs. ES versteht siel)' daß dies nicht so geradezu ausgesprochen wird, aber die Meisten, die hier M Socialismus schwärmen, stellen sich das Ding ungefähr so vor. Diese ausschließliche Berücksichtigung des Adels' von Seiten der polnische" Demokratie läßt sich an die verschiedensten scheinbar ganz zufälligen Erschein»»' gen in Sprache, Literatur und Sitte bis zu unbedeutenden Kleinigkeiten herab nachweisen. So z. B. gleich ein sprachliches Curiosum. Deutsche und französische Re- publikaner pflegeu einander mit Bürger, (!ü.«>en, zu tituliren, sie sagen Bürger General, Bürger Geschworner n. s. w. Der Pole gebraucht in seinem repnbll- kmüscheu Style dafür das Wort udynut«!. Diese Benennungen kommen insofern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/236>, abgerufen am 23.07.2024.