Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

überein, als sie alle den Begriff Staatsbürger bezeichnen. Aber das deutsche
Bürger hat zunächst eigentlich die Bedeutung vou Stadtbürger, und ebenso uiwz^n
von vittj, ja das deutsche Wort drückt in der adjectiven Form, bürgerlich, sogar
den Gegensatz zu adelig ans. Im polnischen vkywuwl hingegen ist diese Hin-
weisung auf Stadt und Städtisches nicht enthalten, sondern es heißt vielmehr im
gemeinen Leben obywutol so viel als Edelmann, Gutsbesitzer.

Die polnische Belletristik ist ebenfalls eine ausschließlich adelige, und zwar
nicht blos subjectiv, sondern auch objectiv, wenn mau sich so ausdrücken darf.
Nicht uur die Autoren sind Edelleute, sondern es wird in Romanen und Dramen
auch fast nur das Leben und Treiben des Adels geschildert, und dadurch unter¬
scheidet sich die polnische schone Literatur auffallend vou der deutscheu. In
Deutschland und überhaupt bei den westlichen Völkern Enropa's hat die bürger¬
liche und politische Gleichstellung der verschiedenen Stände schon lauge auch eine
epische und dramatische Emancipation des tivrs-öl-U zu Wege gebracht. Wie
olle Bürger vor dem Gesetze, so sind auch alle Helden und Heldinnen vor dem
Romandichter und Romanleser völlig gleich. In Romanen und Dramen sind
""her alle Stände und Volksklassen ziemlich gleichmäßig vertreten, von den vor¬
nehmen blasirten Grafen und Gräfinnen in den Novellen aristokratischer Blau¬
strümpfe bis zu deu derben Burschen und Mädchen der Dorfgeschichten und den
tugendhaften Arbeitern und Gesellen der neumodischen Proletarierromane herab.
In Polen hingegen findet man in der schönen Literatur keine so gemischte Ge¬
sellschaft. Romansähig ist hier in der Regel nnr guter alter Adel. Die treue"
und die treulosen Liebhaber, die eifersüchtigen und die nachsichtigen Ehemänner,
die strengen und die zärtlichen Väter, wie die Mädchen die ver- und entführt
werden, die schönen und die häßlichen, die guten und die bösen Frauen, die
'hre Männer glücklich oder ""glücklich mache", siud alle vo" guter Familie;
bürgerlichen oder gar Bauer" ist es "icht gestattet, ""s durch ihre tragischen
und komischen Schicksale zu rühren oder zu unterhalten. Das find, wie ehemals
das Recht Landgüter zu besitzen und Staatsämter zu bekleide", uoch immer Pri
Elegien der Edelleute, "<M ssamleul, paritatv .juris al-iuv p<"vn,av". wie die
polnischem Juristen sagen.

Aber in diesem adeligen Kränzchen stehen sich wieder streng vou einander
^sondert der hohe und niedere Adel, Herren und Ritter, Mvvvltz nud "Mvdta
gegenüber. Der Abstand zwischen beiden ist gerade so weit, und wirkt als dra¬
matisches oder episches Motiv ehe" so wie anderwärts der Abstand zwischen dem vor¬
nehmen Adel und dem Bürgerstande. Der Umstand, daß der Liebhaber dem hohen und
Heldin dem niedern Adel angehört, oder umgekehrt, bringt genau dieselben
Schwierigkeiten hervor, wie eine Liebschaft zwischen Bürgerlichen und Adeligen
dem ältern deutschen Drama. Eine Verbindung zwischen einem Magnaten
Und einer 8MeKviank!l (Fräulein vom niedern Adel) oder zwischen einem


Grenzboten, IV. ^!i>.

überein, als sie alle den Begriff Staatsbürger bezeichnen. Aber das deutsche
Bürger hat zunächst eigentlich die Bedeutung vou Stadtbürger, und ebenso uiwz^n
von vittj, ja das deutsche Wort drückt in der adjectiven Form, bürgerlich, sogar
den Gegensatz zu adelig ans. Im polnischen vkywuwl hingegen ist diese Hin-
weisung auf Stadt und Städtisches nicht enthalten, sondern es heißt vielmehr im
gemeinen Leben obywutol so viel als Edelmann, Gutsbesitzer.

Die polnische Belletristik ist ebenfalls eine ausschließlich adelige, und zwar
nicht blos subjectiv, sondern auch objectiv, wenn mau sich so ausdrücken darf.
Nicht uur die Autoren sind Edelleute, sondern es wird in Romanen und Dramen
auch fast nur das Leben und Treiben des Adels geschildert, und dadurch unter¬
scheidet sich die polnische schone Literatur auffallend vou der deutscheu. In
Deutschland und überhaupt bei den westlichen Völkern Enropa's hat die bürger¬
liche und politische Gleichstellung der verschiedenen Stände schon lauge auch eine
epische und dramatische Emancipation des tivrs-öl-U zu Wege gebracht. Wie
olle Bürger vor dem Gesetze, so sind auch alle Helden und Heldinnen vor dem
Romandichter und Romanleser völlig gleich. In Romanen und Dramen sind
""her alle Stände und Volksklassen ziemlich gleichmäßig vertreten, von den vor¬
nehmen blasirten Grafen und Gräfinnen in den Novellen aristokratischer Blau¬
strümpfe bis zu deu derben Burschen und Mädchen der Dorfgeschichten und den
tugendhaften Arbeitern und Gesellen der neumodischen Proletarierromane herab.
In Polen hingegen findet man in der schönen Literatur keine so gemischte Ge¬
sellschaft. Romansähig ist hier in der Regel nnr guter alter Adel. Die treue»
und die treulosen Liebhaber, die eifersüchtigen und die nachsichtigen Ehemänner,
die strengen und die zärtlichen Väter, wie die Mädchen die ver- und entführt
werden, die schönen und die häßlichen, die guten und die bösen Frauen, die
'hre Männer glücklich oder »»glücklich mache», siud alle vo» guter Familie;
bürgerlichen oder gar Bauer» ist es »icht gestattet, »»s durch ihre tragischen
und komischen Schicksale zu rühren oder zu unterhalten. Das find, wie ehemals
das Recht Landgüter zu besitzen und Staatsämter zu bekleide», uoch immer Pri
Elegien der Edelleute, „<M ssamleul, paritatv .juris al-iuv p<»vn,av". wie die
polnischem Juristen sagen.

Aber in diesem adeligen Kränzchen stehen sich wieder streng vou einander
^sondert der hohe und niedere Adel, Herren und Ritter, Mvvvltz nud »Mvdta
gegenüber. Der Abstand zwischen beiden ist gerade so weit, und wirkt als dra¬
matisches oder episches Motiv ehe» so wie anderwärts der Abstand zwischen dem vor¬
nehmen Adel und dem Bürgerstande. Der Umstand, daß der Liebhaber dem hohen und
Heldin dem niedern Adel angehört, oder umgekehrt, bringt genau dieselben
Schwierigkeiten hervor, wie eine Liebschaft zwischen Bürgerlichen und Adeligen
dem ältern deutschen Drama. Eine Verbindung zwischen einem Magnaten
Und einer 8MeKviank!l (Fräulein vom niedern Adel) oder zwischen einem


Grenzboten, IV. ^!i>.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280854"/>
          <p xml:id="ID_718" prev="#ID_717"> überein, als sie alle den Begriff Staatsbürger bezeichnen. Aber das deutsche<lb/>
Bürger hat zunächst eigentlich die Bedeutung vou Stadtbürger, und ebenso uiwz^n<lb/>
von vittj, ja das deutsche Wort drückt in der adjectiven Form, bürgerlich, sogar<lb/>
den Gegensatz zu adelig ans. Im polnischen vkywuwl hingegen ist diese Hin-<lb/>
weisung auf Stadt und Städtisches nicht enthalten, sondern es heißt vielmehr im<lb/>
gemeinen Leben obywutol so viel als Edelmann, Gutsbesitzer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_719"> Die polnische Belletristik ist ebenfalls eine ausschließlich adelige, und zwar<lb/>
nicht blos subjectiv, sondern auch objectiv, wenn mau sich so ausdrücken darf.<lb/>
Nicht uur die Autoren sind Edelleute, sondern es wird in Romanen und Dramen<lb/>
auch fast nur das Leben und Treiben des Adels geschildert, und dadurch unter¬<lb/>
scheidet sich die polnische schone Literatur auffallend vou der deutscheu. In<lb/>
Deutschland und überhaupt bei den westlichen Völkern Enropa's hat die bürger¬<lb/>
liche und politische Gleichstellung der verschiedenen Stände schon lauge auch eine<lb/>
epische und dramatische Emancipation des tivrs-öl-U zu Wege gebracht. Wie<lb/>
olle Bürger vor dem Gesetze, so sind auch alle Helden und Heldinnen vor dem<lb/>
Romandichter und Romanleser völlig gleich. In Romanen und Dramen sind<lb/>
""her alle Stände und Volksklassen ziemlich gleichmäßig vertreten, von den vor¬<lb/>
nehmen blasirten Grafen und Gräfinnen in den Novellen aristokratischer Blau¬<lb/>
strümpfe bis zu deu derben Burschen und Mädchen der Dorfgeschichten und den<lb/>
tugendhaften Arbeitern und Gesellen der neumodischen Proletarierromane herab.<lb/>
In Polen hingegen findet man in der schönen Literatur keine so gemischte Ge¬<lb/>
sellschaft. Romansähig ist hier in der Regel nnr guter alter Adel. Die treue»<lb/>
und die treulosen Liebhaber, die eifersüchtigen und die nachsichtigen Ehemänner,<lb/>
die strengen und die zärtlichen Väter, wie die Mädchen die ver- und entführt<lb/>
werden, die schönen und die häßlichen, die guten und die bösen Frauen, die<lb/>
'hre Männer glücklich oder »»glücklich mache», siud alle vo» guter Familie;<lb/>
bürgerlichen oder gar Bauer» ist es »icht gestattet, »»s durch ihre tragischen<lb/>
und komischen Schicksale zu rühren oder zu unterhalten. Das find, wie ehemals<lb/>
das Recht Landgüter zu besitzen und Staatsämter zu bekleide», uoch immer Pri<lb/>
Elegien der Edelleute, &#x201E;&lt;M ssamleul, paritatv .juris al-iuv p&lt;»vn,av". wie die<lb/>
polnischem Juristen sagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_720" next="#ID_721"> Aber in diesem adeligen Kränzchen stehen sich wieder streng vou einander<lb/>
^sondert der hohe und niedere Adel, Herren und Ritter, Mvvvltz nud »Mvdta<lb/>
gegenüber. Der Abstand zwischen beiden ist gerade so weit, und wirkt als dra¬<lb/>
matisches oder episches Motiv ehe» so wie anderwärts der Abstand zwischen dem vor¬<lb/>
nehmen Adel und dem Bürgerstande. Der Umstand, daß der Liebhaber dem hohen und<lb/>
Heldin dem niedern Adel angehört, oder umgekehrt, bringt genau dieselben<lb/>
Schwierigkeiten hervor, wie eine Liebschaft zwischen Bürgerlichen und Adeligen<lb/>
dem ältern deutschen Drama. Eine Verbindung zwischen einem Magnaten<lb/>
Und einer 8MeKviank!l (Fräulein vom niedern Adel) oder zwischen einem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, IV. ^!i&gt;.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0237] überein, als sie alle den Begriff Staatsbürger bezeichnen. Aber das deutsche Bürger hat zunächst eigentlich die Bedeutung vou Stadtbürger, und ebenso uiwz^n von vittj, ja das deutsche Wort drückt in der adjectiven Form, bürgerlich, sogar den Gegensatz zu adelig ans. Im polnischen vkywuwl hingegen ist diese Hin- weisung auf Stadt und Städtisches nicht enthalten, sondern es heißt vielmehr im gemeinen Leben obywutol so viel als Edelmann, Gutsbesitzer. Die polnische Belletristik ist ebenfalls eine ausschließlich adelige, und zwar nicht blos subjectiv, sondern auch objectiv, wenn mau sich so ausdrücken darf. Nicht uur die Autoren sind Edelleute, sondern es wird in Romanen und Dramen auch fast nur das Leben und Treiben des Adels geschildert, und dadurch unter¬ scheidet sich die polnische schone Literatur auffallend vou der deutscheu. In Deutschland und überhaupt bei den westlichen Völkern Enropa's hat die bürger¬ liche und politische Gleichstellung der verschiedenen Stände schon lauge auch eine epische und dramatische Emancipation des tivrs-öl-U zu Wege gebracht. Wie olle Bürger vor dem Gesetze, so sind auch alle Helden und Heldinnen vor dem Romandichter und Romanleser völlig gleich. In Romanen und Dramen sind ""her alle Stände und Volksklassen ziemlich gleichmäßig vertreten, von den vor¬ nehmen blasirten Grafen und Gräfinnen in den Novellen aristokratischer Blau¬ strümpfe bis zu deu derben Burschen und Mädchen der Dorfgeschichten und den tugendhaften Arbeitern und Gesellen der neumodischen Proletarierromane herab. In Polen hingegen findet man in der schönen Literatur keine so gemischte Ge¬ sellschaft. Romansähig ist hier in der Regel nnr guter alter Adel. Die treue» und die treulosen Liebhaber, die eifersüchtigen und die nachsichtigen Ehemänner, die strengen und die zärtlichen Väter, wie die Mädchen die ver- und entführt werden, die schönen und die häßlichen, die guten und die bösen Frauen, die 'hre Männer glücklich oder »»glücklich mache», siud alle vo» guter Familie; bürgerlichen oder gar Bauer» ist es »icht gestattet, »»s durch ihre tragischen und komischen Schicksale zu rühren oder zu unterhalten. Das find, wie ehemals das Recht Landgüter zu besitzen und Staatsämter zu bekleide», uoch immer Pri Elegien der Edelleute, „<M ssamleul, paritatv .juris al-iuv p<»vn,av". wie die polnischem Juristen sagen. Aber in diesem adeligen Kränzchen stehen sich wieder streng vou einander ^sondert der hohe und niedere Adel, Herren und Ritter, Mvvvltz nud »Mvdta gegenüber. Der Abstand zwischen beiden ist gerade so weit, und wirkt als dra¬ matisches oder episches Motiv ehe» so wie anderwärts der Abstand zwischen dem vor¬ nehmen Adel und dem Bürgerstande. Der Umstand, daß der Liebhaber dem hohen und Heldin dem niedern Adel angehört, oder umgekehrt, bringt genau dieselben Schwierigkeiten hervor, wie eine Liebschaft zwischen Bürgerlichen und Adeligen dem ältern deutschen Drama. Eine Verbindung zwischen einem Magnaten Und einer 8MeKviank!l (Fräulein vom niedern Adel) oder zwischen einem Grenzboten, IV. ^!i>.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/237
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/237>, abgerufen am 23.07.2024.