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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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die hiesigen Kleist-Retzow und Bismark-Schönhausen sind Demokraten geblieben.
Die Kämpfe und Reibungen zwischen ihnen und den Magnaten dauerten fort bis
zum Uebergange der Republik, und bei jedem Versuche des Volkes, seine Selbst-
ständigkeit wieder zu erringen, leben sie wieder auf. Ja selbst ins Exil nahmen
die verbannten und flüchtigen Polen den heimische" Zwist hinüber, und man
unterscheidet noch in der Emigration eine aristokratische und demokratische Partei.
>üede von diesen beschuldigt die andere, deu Uebergang des Staates herbeigeführt
Zu haben, und gewissermaßen haben beide Recht.

Der Fehler der polnischen Verfassung und die Schwäche der Republik lag
!U der ungehörigen Mischung von Aristokratie und Demokratie. Sie war im
Wesen aristokratisch^ denn den Staat bildete eine bevorzugte Kaste; aber die Art
und Weise, wie die Regierungsmaschiue arbeitete und der äußere Apparat dazu
demokratisch. Die Staatsgeschäfte wurden weniger im Kabinette und im
stillen Nathsaalc, als auf offenem Markte abgemacht. Es gab große und
kleine Comitien, eine Art von Reichs- und Landtagen, Seymiz und Seymiki, da
!Mg es ziemlich laut her, da kamen die Edelleute zusammen, hielten Reden, lärm¬
en, tobten, riefen nie pMvalg,in (vslo), singen Händel an, zogen die Säbel,
Klugen sich die Köpfe blutig, und versöhnten sich dann wieder.

Auch hierin hatte die polnische Adelsrepublik einige Aehnlichkeit mit der De¬
mokratie des Alterthums, uur war bei uus der Bürger Klevn, der das große
Wort führte, seinem Handwerk nach kein Gerber, sondern ein Landjunker, und
^Ug statt des Chiton einen Konturz oder Wolfspelz.

Unsre Republik hatte daher die Schwächen sowol der Aristokratie, als der
Demokratie, ohne die Vorzüge dieser beiden Regierungsformen. Statt der be-
^astigen Weisheit und der Stätigkeit der politischen Tradition, welche die rein
^Ustokratischen Regierungen auszeichnet, zeigte sich hier das schwankende, dilettan-
^Uhafte, von momentanen Einflüssen bewegte Treiben, wie es der Politik der De¬
mokratien eigen ist. Denn die zahlreichen kleinen Edelleute, obwol einzeln schwach
^ud von den Magnaten bedrückt, waren doch mächtig als Corporation; und die-
^ turbulente adelige Demos machte seinen Einfluß aus die Staatsgeschäfte gel-
^ud mit all seinem Ungestüm, seiner Inconsequenz und seinen wechselnden Launen.
Zugleich aber fehlte es an der soliden unverwüstlichen Kraft, welche die alle
Schichten des Volkes durchdringende Vaterlandsliebe wie echte Demokratie ver-
M. Wol schlug sich auch der Bauer, vom Gutsherrn geführt, tapfer gegen
Feind, aber er that es nur aus Gehorsam, nicht aus Patriotismus, und er
schlägt sich jetzt als östreichischer oder preußischer Soldat eben so gut! gegen den
Edelmann.

Möglich, daß sich diese Verhältnisse, wenn der Republik eine längere Lebens-
"Aar beschieden gewesen wäre, zweckmäßiger gestaltet hätten; aber durch die Thei¬
ls des Laudes wurde der natürliche Bildnngsproceß gewaltsam unterbrochen, und


die hiesigen Kleist-Retzow und Bismark-Schönhausen sind Demokraten geblieben.
Die Kämpfe und Reibungen zwischen ihnen und den Magnaten dauerten fort bis
zum Uebergange der Republik, und bei jedem Versuche des Volkes, seine Selbst-
ständigkeit wieder zu erringen, leben sie wieder auf. Ja selbst ins Exil nahmen
die verbannten und flüchtigen Polen den heimische» Zwist hinüber, und man
unterscheidet noch in der Emigration eine aristokratische und demokratische Partei.
>üede von diesen beschuldigt die andere, deu Uebergang des Staates herbeigeführt
Zu haben, und gewissermaßen haben beide Recht.

Der Fehler der polnischen Verfassung und die Schwäche der Republik lag
!U der ungehörigen Mischung von Aristokratie und Demokratie. Sie war im
Wesen aristokratisch^ denn den Staat bildete eine bevorzugte Kaste; aber die Art
und Weise, wie die Regierungsmaschiue arbeitete und der äußere Apparat dazu
demokratisch. Die Staatsgeschäfte wurden weniger im Kabinette und im
stillen Nathsaalc, als auf offenem Markte abgemacht. Es gab große und
kleine Comitien, eine Art von Reichs- und Landtagen, Seymiz und Seymiki, da
!Mg es ziemlich laut her, da kamen die Edelleute zusammen, hielten Reden, lärm¬
en, tobten, riefen nie pMvalg,in (vslo), singen Händel an, zogen die Säbel,
Klugen sich die Köpfe blutig, und versöhnten sich dann wieder.

Auch hierin hatte die polnische Adelsrepublik einige Aehnlichkeit mit der De¬
mokratie des Alterthums, uur war bei uus der Bürger Klevn, der das große
Wort führte, seinem Handwerk nach kein Gerber, sondern ein Landjunker, und
^Ug statt des Chiton einen Konturz oder Wolfspelz.

Unsre Republik hatte daher die Schwächen sowol der Aristokratie, als der
Demokratie, ohne die Vorzüge dieser beiden Regierungsformen. Statt der be-
^astigen Weisheit und der Stätigkeit der politischen Tradition, welche die rein
^Ustokratischen Regierungen auszeichnet, zeigte sich hier das schwankende, dilettan-
^Uhafte, von momentanen Einflüssen bewegte Treiben, wie es der Politik der De¬
mokratien eigen ist. Denn die zahlreichen kleinen Edelleute, obwol einzeln schwach
^ud von den Magnaten bedrückt, waren doch mächtig als Corporation; und die-
^ turbulente adelige Demos machte seinen Einfluß aus die Staatsgeschäfte gel-
^ud mit all seinem Ungestüm, seiner Inconsequenz und seinen wechselnden Launen.
Zugleich aber fehlte es an der soliden unverwüstlichen Kraft, welche die alle
Schichten des Volkes durchdringende Vaterlandsliebe wie echte Demokratie ver-
M. Wol schlug sich auch der Bauer, vom Gutsherrn geführt, tapfer gegen
Feind, aber er that es nur aus Gehorsam, nicht aus Patriotismus, und er
schlägt sich jetzt als östreichischer oder preußischer Soldat eben so gut! gegen den
Edelmann.

Möglich, daß sich diese Verhältnisse, wenn der Republik eine längere Lebens-
«Aar beschieden gewesen wäre, zweckmäßiger gestaltet hätten; aber durch die Thei¬
ls des Laudes wurde der natürliche Bildnngsproceß gewaltsam unterbrochen, und


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[0235] die hiesigen Kleist-Retzow und Bismark-Schönhausen sind Demokraten geblieben. Die Kämpfe und Reibungen zwischen ihnen und den Magnaten dauerten fort bis zum Uebergange der Republik, und bei jedem Versuche des Volkes, seine Selbst- ständigkeit wieder zu erringen, leben sie wieder auf. Ja selbst ins Exil nahmen die verbannten und flüchtigen Polen den heimische» Zwist hinüber, und man unterscheidet noch in der Emigration eine aristokratische und demokratische Partei. >üede von diesen beschuldigt die andere, deu Uebergang des Staates herbeigeführt Zu haben, und gewissermaßen haben beide Recht. Der Fehler der polnischen Verfassung und die Schwäche der Republik lag !U der ungehörigen Mischung von Aristokratie und Demokratie. Sie war im Wesen aristokratisch^ denn den Staat bildete eine bevorzugte Kaste; aber die Art und Weise, wie die Regierungsmaschiue arbeitete und der äußere Apparat dazu demokratisch. Die Staatsgeschäfte wurden weniger im Kabinette und im stillen Nathsaalc, als auf offenem Markte abgemacht. Es gab große und kleine Comitien, eine Art von Reichs- und Landtagen, Seymiz und Seymiki, da !Mg es ziemlich laut her, da kamen die Edelleute zusammen, hielten Reden, lärm¬ en, tobten, riefen nie pMvalg,in (vslo), singen Händel an, zogen die Säbel, Klugen sich die Köpfe blutig, und versöhnten sich dann wieder. Auch hierin hatte die polnische Adelsrepublik einige Aehnlichkeit mit der De¬ mokratie des Alterthums, uur war bei uus der Bürger Klevn, der das große Wort führte, seinem Handwerk nach kein Gerber, sondern ein Landjunker, und ^Ug statt des Chiton einen Konturz oder Wolfspelz. Unsre Republik hatte daher die Schwächen sowol der Aristokratie, als der Demokratie, ohne die Vorzüge dieser beiden Regierungsformen. Statt der be- ^astigen Weisheit und der Stätigkeit der politischen Tradition, welche die rein ^Ustokratischen Regierungen auszeichnet, zeigte sich hier das schwankende, dilettan- ^Uhafte, von momentanen Einflüssen bewegte Treiben, wie es der Politik der De¬ mokratien eigen ist. Denn die zahlreichen kleinen Edelleute, obwol einzeln schwach ^ud von den Magnaten bedrückt, waren doch mächtig als Corporation; und die- ^ turbulente adelige Demos machte seinen Einfluß aus die Staatsgeschäfte gel- ^ud mit all seinem Ungestüm, seiner Inconsequenz und seinen wechselnden Launen. Zugleich aber fehlte es an der soliden unverwüstlichen Kraft, welche die alle Schichten des Volkes durchdringende Vaterlandsliebe wie echte Demokratie ver- M. Wol schlug sich auch der Bauer, vom Gutsherrn geführt, tapfer gegen Feind, aber er that es nur aus Gehorsam, nicht aus Patriotismus, und er schlägt sich jetzt als östreichischer oder preußischer Soldat eben so gut! gegen den Edelmann. Möglich, daß sich diese Verhältnisse, wenn der Republik eine längere Lebens- «Aar beschieden gewesen wäre, zweckmäßiger gestaltet hätten; aber durch die Thei¬ ls des Laudes wurde der natürliche Bildnngsproceß gewaltsam unterbrochen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/235>, abgerufen am 23.07.2024.