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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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sperrt worden, aber er war bereits alt und grau, als es dem Herrn einfiel,
Gnade zu üben und ihn freizulassen. Dafür hatte er sich natürlich zu bedanken,
und er that es auch, aber er weigerte sich, bevor er zur Audienz ging, wie es
die Schicklichkeit erforderte, sich erst den langen Bart abnehmen zu lassen, der
ihm im Kerker gewachsen war. Es sollte ein stiller Vorwurf sein über die erlit¬
tene lange Gefangenschaft. Dies aber nahm der große Herr übel. Er trat hinzu,
griff dem Schlachziz an den langen, weißen Bart, und meinte, der Bart sei noch
nicht laug genug, man müsse ihn noch ein Paar Jahre wachsen lassen, und der
Unglückliche wurde zurückgeführt in sein Gefängniß.

Solche und ähnliche Erzählungen von Uebermuth der Mächtigen und Be¬
drückung der Schwachen kann man aus dem Mittelalter wol überall hören,
aber das Charakteristische ist, daß in den polnischen fast immer der niedere Adel
den leidenden Theil abgiebt. Denn was den Bauern geschah, war des Erzählens
nicht werth und verstand sich von selbst.

Die Führer in den Kosakcnanfständen waren zum Theil solche von den
Magnaten gekränkte Edelleute, die, am Vaterlande Rache nahmen, weil sie in.
der freien AdelSrepnblik kein Recht und keinen Schutz finden konnten gegen Ueber¬
macht und Gewaltthätigkeit.

So bildete sich denn der Gegensatz ans zwischen hohen: und niederen?
Adel, und aus der ursprünglich gleichen Schlachta sonderte sich eine
Magnatenaristokratie, die mit jener durchaus nicht in Freundschaft lebte. Der
Magnat verachtete den Schlachziz und der Schlachziz haßte und beneidete den
Magnaten; die laxe Handhabung der Polizei in der alten Republik gab beide"
Raum, ihre Händel auszufechten.

Auch in Deutschland gab es eine Zeit, wo der niedere Adel eine ähnliche
oppositionelle Stellung gegen den hohen einnahm; zu den Zeiten Sickingen'6
standen die Ritter gegen die Fürsten und Herren. Aber in Deutschland waren
der hohe und niedere Adel schon ursprünglich nicht gleich gewesen. Die deutschen
Fürsten waren Magnaten von Rechts wegen, sie usurpirter blos die Souverainetät,
und die Ritter, die sie bekämpften, stritten bereits gegen die Anfänge der Klein¬
staaterei.

Die Fürsten haben gesiegt und sind souverain geworden, der niedere Adel
aber hat seine Bedeutung verloren, und hat endlich seine Opposition ganz auf¬
gegeben. Jetzt ist es der Bürgerstand, der den Kampf gegen den Particularis-
mus übernommen hat. Bürgerliche Professoren und Advocaten wollten in Frank-
furt einen Kaiser mache", und Könige und Herzöge mediatisiren. Die Ritter
aber siud treue Diener der Fürsten, Hofmarschälle und Kammerjunker geworden,
und halten jetzt große Stücke auf Stammeseigenthümlichkeit, auf die Manmch-
faltigkeit in der Einheit u. dergl.

In Polen hingegen haben die Innrer ihre Opposition uicht aufgegeben,


sperrt worden, aber er war bereits alt und grau, als es dem Herrn einfiel,
Gnade zu üben und ihn freizulassen. Dafür hatte er sich natürlich zu bedanken,
und er that es auch, aber er weigerte sich, bevor er zur Audienz ging, wie es
die Schicklichkeit erforderte, sich erst den langen Bart abnehmen zu lassen, der
ihm im Kerker gewachsen war. Es sollte ein stiller Vorwurf sein über die erlit¬
tene lange Gefangenschaft. Dies aber nahm der große Herr übel. Er trat hinzu,
griff dem Schlachziz an den langen, weißen Bart, und meinte, der Bart sei noch
nicht laug genug, man müsse ihn noch ein Paar Jahre wachsen lassen, und der
Unglückliche wurde zurückgeführt in sein Gefängniß.

Solche und ähnliche Erzählungen von Uebermuth der Mächtigen und Be¬
drückung der Schwachen kann man aus dem Mittelalter wol überall hören,
aber das Charakteristische ist, daß in den polnischen fast immer der niedere Adel
den leidenden Theil abgiebt. Denn was den Bauern geschah, war des Erzählens
nicht werth und verstand sich von selbst.

Die Führer in den Kosakcnanfständen waren zum Theil solche von den
Magnaten gekränkte Edelleute, die, am Vaterlande Rache nahmen, weil sie in.
der freien AdelSrepnblik kein Recht und keinen Schutz finden konnten gegen Ueber¬
macht und Gewaltthätigkeit.

So bildete sich denn der Gegensatz ans zwischen hohen: und niederen?
Adel, und aus der ursprünglich gleichen Schlachta sonderte sich eine
Magnatenaristokratie, die mit jener durchaus nicht in Freundschaft lebte. Der
Magnat verachtete den Schlachziz und der Schlachziz haßte und beneidete den
Magnaten; die laxe Handhabung der Polizei in der alten Republik gab beide»
Raum, ihre Händel auszufechten.

Auch in Deutschland gab es eine Zeit, wo der niedere Adel eine ähnliche
oppositionelle Stellung gegen den hohen einnahm; zu den Zeiten Sickingen'6
standen die Ritter gegen die Fürsten und Herren. Aber in Deutschland waren
der hohe und niedere Adel schon ursprünglich nicht gleich gewesen. Die deutschen
Fürsten waren Magnaten von Rechts wegen, sie usurpirter blos die Souverainetät,
und die Ritter, die sie bekämpften, stritten bereits gegen die Anfänge der Klein¬
staaterei.

Die Fürsten haben gesiegt und sind souverain geworden, der niedere Adel
aber hat seine Bedeutung verloren, und hat endlich seine Opposition ganz auf¬
gegeben. Jetzt ist es der Bürgerstand, der den Kampf gegen den Particularis-
mus übernommen hat. Bürgerliche Professoren und Advocaten wollten in Frank-
furt einen Kaiser mache», und Könige und Herzöge mediatisiren. Die Ritter
aber siud treue Diener der Fürsten, Hofmarschälle und Kammerjunker geworden,
und halten jetzt große Stücke auf Stammeseigenthümlichkeit, auf die Manmch-
faltigkeit in der Einheit u. dergl.

In Polen hingegen haben die Innrer ihre Opposition uicht aufgegeben,


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[0234] sperrt worden, aber er war bereits alt und grau, als es dem Herrn einfiel, Gnade zu üben und ihn freizulassen. Dafür hatte er sich natürlich zu bedanken, und er that es auch, aber er weigerte sich, bevor er zur Audienz ging, wie es die Schicklichkeit erforderte, sich erst den langen Bart abnehmen zu lassen, der ihm im Kerker gewachsen war. Es sollte ein stiller Vorwurf sein über die erlit¬ tene lange Gefangenschaft. Dies aber nahm der große Herr übel. Er trat hinzu, griff dem Schlachziz an den langen, weißen Bart, und meinte, der Bart sei noch nicht laug genug, man müsse ihn noch ein Paar Jahre wachsen lassen, und der Unglückliche wurde zurückgeführt in sein Gefängniß. Solche und ähnliche Erzählungen von Uebermuth der Mächtigen und Be¬ drückung der Schwachen kann man aus dem Mittelalter wol überall hören, aber das Charakteristische ist, daß in den polnischen fast immer der niedere Adel den leidenden Theil abgiebt. Denn was den Bauern geschah, war des Erzählens nicht werth und verstand sich von selbst. Die Führer in den Kosakcnanfständen waren zum Theil solche von den Magnaten gekränkte Edelleute, die, am Vaterlande Rache nahmen, weil sie in. der freien AdelSrepnblik kein Recht und keinen Schutz finden konnten gegen Ueber¬ macht und Gewaltthätigkeit. So bildete sich denn der Gegensatz ans zwischen hohen: und niederen? Adel, und aus der ursprünglich gleichen Schlachta sonderte sich eine Magnatenaristokratie, die mit jener durchaus nicht in Freundschaft lebte. Der Magnat verachtete den Schlachziz und der Schlachziz haßte und beneidete den Magnaten; die laxe Handhabung der Polizei in der alten Republik gab beide» Raum, ihre Händel auszufechten. Auch in Deutschland gab es eine Zeit, wo der niedere Adel eine ähnliche oppositionelle Stellung gegen den hohen einnahm; zu den Zeiten Sickingen'6 standen die Ritter gegen die Fürsten und Herren. Aber in Deutschland waren der hohe und niedere Adel schon ursprünglich nicht gleich gewesen. Die deutschen Fürsten waren Magnaten von Rechts wegen, sie usurpirter blos die Souverainetät, und die Ritter, die sie bekämpften, stritten bereits gegen die Anfänge der Klein¬ staaterei. Die Fürsten haben gesiegt und sind souverain geworden, der niedere Adel aber hat seine Bedeutung verloren, und hat endlich seine Opposition ganz auf¬ gegeben. Jetzt ist es der Bürgerstand, der den Kampf gegen den Particularis- mus übernommen hat. Bürgerliche Professoren und Advocaten wollten in Frank- furt einen Kaiser mache», und Könige und Herzöge mediatisiren. Die Ritter aber siud treue Diener der Fürsten, Hofmarschälle und Kammerjunker geworden, und halten jetzt große Stücke auf Stammeseigenthümlichkeit, auf die Manmch- faltigkeit in der Einheit u. dergl. In Polen hingegen haben die Innrer ihre Opposition uicht aufgegeben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/234>, abgerufen am 23.07.2024.