Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lichkeit des Adels hatte es in der Praxis gute Wege. Viele Familien waren im
Laufe der Zeit zu Macht und Reichthum gelaugt, während auf der andern Seite
viele Edelleute verarmt waren. Der Abstand zwischen diesen Optimalen und der
Masse des übrigen Adels ward immer weiter, und uach und nach sonderten sich
die Ersteren als Magnaten oder Herren p-rü^volo von dem niedern Adel oder der
Schlachta schlechtweg. Die Herren, p^noviu. oder wie man sie ebenfalls nannte,
die älteren Brüder bruvm "l-ursnu,. unterhielten zahlreiches bewaffnetes Gefolge,
"ut erlaubten sich häusig Gewaltthätigkeiten nicht nur gegen Bauern und Juden,
sondern auch gegen den niedern Adel, oder die jüngeren Bruder, braclu, mloelsyg,.
Der Staat gewährte dagcgegen keinen ausreichenden Schutz. Die vollziehende
Gewalt war in Polen nicht kräftiger organisirt als weiland im heiligen römischen
Reich. Gegen Große und Mächtige hielt es schwer, Gerechtigkeit zu erlangen.
Wenn man schon den Spruch eines Tribunals für sich hatte, so stockte die Exe¬
kution. Wenn ein Mächtiger sich nicht fügen wollte, so gab es nicht selten eine
kleine Fehde ab, und der Sieg blieb nicht immer auf Seite des Gesetzes.

Diese Zustände hörten in Polen nie ganz auf, und das Faustrecht behielt
bis in die letzten Zeiten der Republik noch ziemliche Geltung.

In Deutschland war die Zeit des Faustrechts für deu niedern Adel das gol¬
dene Zeitalter. Die deutschen Ritter erhoben an der Landstraße von dem Bür¬
ger manchen Ballen oder Sack als Schutzzoll in Natura; sie waren damals noch
keine Freihändler, wie ihre Nachkommen von heute, die reichen Junker von
Pommern und Mecklenburg. Wenn dann die Städter Klage führten wegen Raub
"ut Landfriedensbruch, so hatten die Ritter ihre festen Schlösser auf Berg und
Fels; da fragten sie wenig nach Citationen und Decreten. Ja selbst ihren nach-
"gen Lehensherren und sogar gegen Kaiser und Reich konnten sie eine Zeit lang
kotzen in ihren Nestern.

Die polnische Schlachta hatte es lange nicht so gut. In unsrem flachen
^"de, wo es viel weniger von Natur feste oder leicht zu befestigende Punkte
^ehe, als in Deutschland, wo auch ein guter Baustein seltener und theurer ist
"16 dort, waren feste Burgen und Schlösser schon eine Art von Luxus, zu dem
""r reiche Magnaten gelangen konnten. Diese waren daher auch gewaltig im
^nde; die arme Schlachta hingegen wohnte in hölzernen Häusern, und konnte,
^gleich sie reichsuumittelbar war, nicht so trotzig auftreten. Sie war eben so hält-
^g gejagtes Wild als Jäger, und gab ebenso oft den Ambos als den Hammer ab.
Und die Herren verfuhren oft sehr unbrüderlich gegen die jüngeren Brüder. Es
kvnimen empörende Fälle vor von Bedrückung "ud Mißhandlung, und die Sage
^'eiß viel darüber zu erzählen.

So z. B. soll einmal ein Herr, wenn ich nicht irre, ein Radziwill, einen Schlachziz,
^ ihm ein Grundstück nicht abtreten wollte, durch viele Jahre in einem Keller
>el"es Schlosses gefangen gehalten haben. Der Arme war als junger Mann eiugc-


lichkeit des Adels hatte es in der Praxis gute Wege. Viele Familien waren im
Laufe der Zeit zu Macht und Reichthum gelaugt, während auf der andern Seite
viele Edelleute verarmt waren. Der Abstand zwischen diesen Optimalen und der
Masse des übrigen Adels ward immer weiter, und uach und nach sonderten sich
die Ersteren als Magnaten oder Herren p-rü^volo von dem niedern Adel oder der
Schlachta schlechtweg. Die Herren, p^noviu. oder wie man sie ebenfalls nannte,
die älteren Brüder bruvm »l-ursnu,. unterhielten zahlreiches bewaffnetes Gefolge,
"ut erlaubten sich häusig Gewaltthätigkeiten nicht nur gegen Bauern und Juden,
sondern auch gegen den niedern Adel, oder die jüngeren Bruder, braclu, mloelsyg,.
Der Staat gewährte dagcgegen keinen ausreichenden Schutz. Die vollziehende
Gewalt war in Polen nicht kräftiger organisirt als weiland im heiligen römischen
Reich. Gegen Große und Mächtige hielt es schwer, Gerechtigkeit zu erlangen.
Wenn man schon den Spruch eines Tribunals für sich hatte, so stockte die Exe¬
kution. Wenn ein Mächtiger sich nicht fügen wollte, so gab es nicht selten eine
kleine Fehde ab, und der Sieg blieb nicht immer auf Seite des Gesetzes.

Diese Zustände hörten in Polen nie ganz auf, und das Faustrecht behielt
bis in die letzten Zeiten der Republik noch ziemliche Geltung.

In Deutschland war die Zeit des Faustrechts für deu niedern Adel das gol¬
dene Zeitalter. Die deutschen Ritter erhoben an der Landstraße von dem Bür¬
ger manchen Ballen oder Sack als Schutzzoll in Natura; sie waren damals noch
keine Freihändler, wie ihre Nachkommen von heute, die reichen Junker von
Pommern und Mecklenburg. Wenn dann die Städter Klage führten wegen Raub
"ut Landfriedensbruch, so hatten die Ritter ihre festen Schlösser auf Berg und
Fels; da fragten sie wenig nach Citationen und Decreten. Ja selbst ihren nach-
"gen Lehensherren und sogar gegen Kaiser und Reich konnten sie eine Zeit lang
kotzen in ihren Nestern.

Die polnische Schlachta hatte es lange nicht so gut. In unsrem flachen
^»de, wo es viel weniger von Natur feste oder leicht zu befestigende Punkte
^ehe, als in Deutschland, wo auch ein guter Baustein seltener und theurer ist
"16 dort, waren feste Burgen und Schlösser schon eine Art von Luxus, zu dem
""r reiche Magnaten gelangen konnten. Diese waren daher auch gewaltig im
^nde; die arme Schlachta hingegen wohnte in hölzernen Häusern, und konnte,
^gleich sie reichsuumittelbar war, nicht so trotzig auftreten. Sie war eben so hält-
^g gejagtes Wild als Jäger, und gab ebenso oft den Ambos als den Hammer ab.
Und die Herren verfuhren oft sehr unbrüderlich gegen die jüngeren Brüder. Es
kvnimen empörende Fälle vor von Bedrückung »ud Mißhandlung, und die Sage
^'eiß viel darüber zu erzählen.

So z. B. soll einmal ein Herr, wenn ich nicht irre, ein Radziwill, einen Schlachziz,
^ ihm ein Grundstück nicht abtreten wollte, durch viele Jahre in einem Keller
>el»es Schlosses gefangen gehalten haben. Der Arme war als junger Mann eiugc-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280850"/>
          <p xml:id="ID_697" prev="#ID_696"> lichkeit des Adels hatte es in der Praxis gute Wege. Viele Familien waren im<lb/>
Laufe der Zeit zu Macht und Reichthum gelaugt, während auf der andern Seite<lb/>
viele Edelleute verarmt waren. Der Abstand zwischen diesen Optimalen und der<lb/>
Masse des übrigen Adels ward immer weiter, und uach und nach sonderten sich<lb/>
die Ersteren als Magnaten oder Herren p-rü^volo von dem niedern Adel oder der<lb/>
Schlachta schlechtweg. Die Herren, p^noviu. oder wie man sie ebenfalls nannte,<lb/>
die älteren Brüder bruvm »l-ursnu,. unterhielten zahlreiches bewaffnetes Gefolge,<lb/>
"ut erlaubten sich häusig Gewaltthätigkeiten nicht nur gegen Bauern und Juden,<lb/>
sondern auch gegen den niedern Adel, oder die jüngeren Bruder, braclu, mloelsyg,.<lb/>
Der Staat gewährte dagcgegen keinen ausreichenden Schutz. Die vollziehende<lb/>
Gewalt war in Polen nicht kräftiger organisirt als weiland im heiligen römischen<lb/>
Reich. Gegen Große und Mächtige hielt es schwer, Gerechtigkeit zu erlangen.<lb/>
Wenn man schon den Spruch eines Tribunals für sich hatte, so stockte die Exe¬<lb/>
kution. Wenn ein Mächtiger sich nicht fügen wollte, so gab es nicht selten eine<lb/>
kleine Fehde ab, und der Sieg blieb nicht immer auf Seite des Gesetzes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_698"> Diese Zustände hörten in Polen nie ganz auf, und das Faustrecht behielt<lb/>
bis in die letzten Zeiten der Republik noch ziemliche Geltung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_699"> In Deutschland war die Zeit des Faustrechts für deu niedern Adel das gol¬<lb/>
dene Zeitalter. Die deutschen Ritter erhoben an der Landstraße von dem Bür¬<lb/>
ger manchen Ballen oder Sack als Schutzzoll in Natura; sie waren damals noch<lb/>
keine Freihändler, wie ihre Nachkommen von heute, die reichen Junker von<lb/>
Pommern und Mecklenburg. Wenn dann die Städter Klage führten wegen Raub<lb/>
"ut Landfriedensbruch, so hatten die Ritter ihre festen Schlösser auf Berg und<lb/>
Fels; da fragten sie wenig nach Citationen und Decreten. Ja selbst ihren nach-<lb/>
"gen Lehensherren und sogar gegen Kaiser und Reich konnten sie eine Zeit lang<lb/>
kotzen in ihren Nestern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_700"> Die polnische Schlachta hatte es lange nicht so gut. In unsrem flachen<lb/>
^»de, wo es viel weniger von Natur feste oder leicht zu befestigende Punkte<lb/>
^ehe, als in Deutschland, wo auch ein guter Baustein seltener und theurer ist<lb/>
"16 dort, waren feste Burgen und Schlösser schon eine Art von Luxus, zu dem<lb/>
""r reiche Magnaten gelangen konnten. Diese waren daher auch gewaltig im<lb/>
^nde; die arme Schlachta hingegen wohnte in hölzernen Häusern, und konnte,<lb/>
^gleich sie reichsuumittelbar war, nicht so trotzig auftreten. Sie war eben so hält-<lb/>
^g gejagtes Wild als Jäger, und gab ebenso oft den Ambos als den Hammer ab.<lb/>
Und die Herren verfuhren oft sehr unbrüderlich gegen die jüngeren Brüder. Es<lb/>
kvnimen empörende Fälle vor von Bedrückung »ud Mißhandlung, und die Sage<lb/>
^'eiß viel darüber zu erzählen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_701" next="#ID_702"> So z. B. soll einmal ein Herr, wenn ich nicht irre, ein Radziwill, einen Schlachziz,<lb/>
^ ihm ein Grundstück nicht abtreten wollte, durch viele Jahre in einem Keller<lb/>
&gt;el»es Schlosses gefangen gehalten haben. Der Arme war als junger Mann eiugc-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] lichkeit des Adels hatte es in der Praxis gute Wege. Viele Familien waren im Laufe der Zeit zu Macht und Reichthum gelaugt, während auf der andern Seite viele Edelleute verarmt waren. Der Abstand zwischen diesen Optimalen und der Masse des übrigen Adels ward immer weiter, und uach und nach sonderten sich die Ersteren als Magnaten oder Herren p-rü^volo von dem niedern Adel oder der Schlachta schlechtweg. Die Herren, p^noviu. oder wie man sie ebenfalls nannte, die älteren Brüder bruvm »l-ursnu,. unterhielten zahlreiches bewaffnetes Gefolge, "ut erlaubten sich häusig Gewaltthätigkeiten nicht nur gegen Bauern und Juden, sondern auch gegen den niedern Adel, oder die jüngeren Bruder, braclu, mloelsyg,. Der Staat gewährte dagcgegen keinen ausreichenden Schutz. Die vollziehende Gewalt war in Polen nicht kräftiger organisirt als weiland im heiligen römischen Reich. Gegen Große und Mächtige hielt es schwer, Gerechtigkeit zu erlangen. Wenn man schon den Spruch eines Tribunals für sich hatte, so stockte die Exe¬ kution. Wenn ein Mächtiger sich nicht fügen wollte, so gab es nicht selten eine kleine Fehde ab, und der Sieg blieb nicht immer auf Seite des Gesetzes. Diese Zustände hörten in Polen nie ganz auf, und das Faustrecht behielt bis in die letzten Zeiten der Republik noch ziemliche Geltung. In Deutschland war die Zeit des Faustrechts für deu niedern Adel das gol¬ dene Zeitalter. Die deutschen Ritter erhoben an der Landstraße von dem Bür¬ ger manchen Ballen oder Sack als Schutzzoll in Natura; sie waren damals noch keine Freihändler, wie ihre Nachkommen von heute, die reichen Junker von Pommern und Mecklenburg. Wenn dann die Städter Klage führten wegen Raub "ut Landfriedensbruch, so hatten die Ritter ihre festen Schlösser auf Berg und Fels; da fragten sie wenig nach Citationen und Decreten. Ja selbst ihren nach- "gen Lehensherren und sogar gegen Kaiser und Reich konnten sie eine Zeit lang kotzen in ihren Nestern. Die polnische Schlachta hatte es lange nicht so gut. In unsrem flachen ^»de, wo es viel weniger von Natur feste oder leicht zu befestigende Punkte ^ehe, als in Deutschland, wo auch ein guter Baustein seltener und theurer ist "16 dort, waren feste Burgen und Schlösser schon eine Art von Luxus, zu dem ""r reiche Magnaten gelangen konnten. Diese waren daher auch gewaltig im ^nde; die arme Schlachta hingegen wohnte in hölzernen Häusern, und konnte, ^gleich sie reichsuumittelbar war, nicht so trotzig auftreten. Sie war eben so hält- ^g gejagtes Wild als Jäger, und gab ebenso oft den Ambos als den Hammer ab. Und die Herren verfuhren oft sehr unbrüderlich gegen die jüngeren Brüder. Es kvnimen empörende Fälle vor von Bedrückung »ud Mißhandlung, und die Sage ^'eiß viel darüber zu erzählen. So z. B. soll einmal ein Herr, wenn ich nicht irre, ein Radziwill, einen Schlachziz, ^ ihm ein Grundstück nicht abtreten wollte, durch viele Jahre in einem Keller >el»es Schlosses gefangen gehalten haben. Der Arme war als junger Mann eiugc-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/233>, abgerufen am 23.07.2024.