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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Sittenverderbniß und des Verfalls im jüdische" Volke, die historische Handlima,
gliedert sich selbstständig in Wurzel, Stamm "ud Frucht,

Ich komme nnn zu den Andeutungen der Zukunft, welche in symbolischer
Darstellung des ideellen Zusammenhangs mit dem rein geschichtlichen Theil des
Bildes äußerlich verbunden wurden, und an der Handlung eben so, wenig Theil
"ahnen, als sie von den handelnden Personen wahrgenommen werden.

Im Vorgrunde rechts stürzt Ahasver, von den über seinem Haupte
schwebenden Furien verfolgt, hinaus in die Ewigkeit seiner zick- und ruhelosen
Pilgerschaft. Die gräßliche Zerrüttung seines Innern, der Eindruck des endlos
wirkenden Fluchs prägen sich in den fast wahnsinnigen Zügen des Antlitzes ans.
Schwert und Schild hat er als Ballast von sich geworfen, die Hände krallen
A) in die Brust, wo die dämonischen Mächte wühlen, deren Verkörperung wir
W dumpfer, schlammiger Färbung, als wären sie eben dem Pfuhl der Hölle ent¬
stiegen, über ihm erblicken. Die rasende Eile der Flucht läßt seine Sohlen kaum
den Boden berühren. Es ist die Geschichte des in alle Weiten der Welt zer¬
streuten Judenthums, in einen einzigen, furchtbar leidenschaftlichen Moment zu-
Wuneugedrängt; eine Geschichte von anderthalb Jahrtausenden, ohne nationales
Ziel und Dasein, voll Verfolgungen, voll von erlittenem Haß, voll handelnder
Tücke, ein ewiges Harren auf Erlösung.

Welch' ein anderes Bild auf der linken Seite des Vorgrundes! Eine christ¬
liche Familie, aus einem Greise und einem rüstigen Manu mit seinem jungen
Weibe und seinen Kindern bestehend, zieht hinaus von der Trümmcrstätte; freien
Herzens, denn überall ist ihre Heimath, wohin sie ihren beglückenden Glauben
^igt. Drei Engel geleiten sie, und bilden hinter ihr eine Schuizmauer gegen
Wuth der Zerstörung. Der mittlere von ihnen trägt den Kelch des heiligen
Abendmahls, aus dem das Kreuz, getränkt mit dem Blute Christi, in einer
Glorie emporsteigt. Das Blut des Erlösers ist es, das Christi Anhänger von
untergehenden Judenthume scheidet. Die Männer und das junge Weib
weiten auf Eseln. Die beiden kleinsten Kinder ruhen ans dem Schooß der Mutter,
^ ihrer Hand die Palme des Friedens; ein Knabe hinter ihr, auf dem Rücken
Thieres, hält einen Oelzweig. Auch die Knaben, welche mit den Zügeln
der Thiere vorausschreiten, tragen Palmzweige, und über dem Ganzen ist eine
Kubige Ruhe, eine Verklärung ausgegossen, die uns mit dem Hauche des frommen,
""gebrochenen Seelenfriedens berührt. Sie singen dem Herrn und preisen ihn,
der sich eben wieder als Retter an ihnen bewährt, und die Engel stimmen betend
°in in den Chor der Gläubigen. Ein unbeschreiblicher Zauber weht in dieser
Darstellung des ersten, kindlichen, bedürfnißlosen Christenthums und seiner patriar¬
chalischen Einheit mit dem Himmel.

Nachdem wir uns diesem Zauber überlassen, ihn tief und innig durch-
en'pfunden habe", fällt unser Blick rechts von der Christengruppe auf drei flehend


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Sittenverderbniß und des Verfalls im jüdische» Volke, die historische Handlima,
gliedert sich selbstständig in Wurzel, Stamm »ud Frucht,

Ich komme nnn zu den Andeutungen der Zukunft, welche in symbolischer
Darstellung des ideellen Zusammenhangs mit dem rein geschichtlichen Theil des
Bildes äußerlich verbunden wurden, und an der Handlung eben so, wenig Theil
"ahnen, als sie von den handelnden Personen wahrgenommen werden.

Im Vorgrunde rechts stürzt Ahasver, von den über seinem Haupte
schwebenden Furien verfolgt, hinaus in die Ewigkeit seiner zick- und ruhelosen
Pilgerschaft. Die gräßliche Zerrüttung seines Innern, der Eindruck des endlos
wirkenden Fluchs prägen sich in den fast wahnsinnigen Zügen des Antlitzes ans.
Schwert und Schild hat er als Ballast von sich geworfen, die Hände krallen
A) in die Brust, wo die dämonischen Mächte wühlen, deren Verkörperung wir
W dumpfer, schlammiger Färbung, als wären sie eben dem Pfuhl der Hölle ent¬
stiegen, über ihm erblicken. Die rasende Eile der Flucht läßt seine Sohlen kaum
den Boden berühren. Es ist die Geschichte des in alle Weiten der Welt zer¬
streuten Judenthums, in einen einzigen, furchtbar leidenschaftlichen Moment zu-
Wuneugedrängt; eine Geschichte von anderthalb Jahrtausenden, ohne nationales
Ziel und Dasein, voll Verfolgungen, voll von erlittenem Haß, voll handelnder
Tücke, ein ewiges Harren auf Erlösung.

Welch' ein anderes Bild auf der linken Seite des Vorgrundes! Eine christ¬
liche Familie, aus einem Greise und einem rüstigen Manu mit seinem jungen
Weibe und seinen Kindern bestehend, zieht hinaus von der Trümmcrstätte; freien
Herzens, denn überall ist ihre Heimath, wohin sie ihren beglückenden Glauben
^igt. Drei Engel geleiten sie, und bilden hinter ihr eine Schuizmauer gegen
Wuth der Zerstörung. Der mittlere von ihnen trägt den Kelch des heiligen
Abendmahls, aus dem das Kreuz, getränkt mit dem Blute Christi, in einer
Glorie emporsteigt. Das Blut des Erlösers ist es, das Christi Anhänger von
untergehenden Judenthume scheidet. Die Männer und das junge Weib
weiten auf Eseln. Die beiden kleinsten Kinder ruhen ans dem Schooß der Mutter,
^ ihrer Hand die Palme des Friedens; ein Knabe hinter ihr, auf dem Rücken
Thieres, hält einen Oelzweig. Auch die Knaben, welche mit den Zügeln
der Thiere vorausschreiten, tragen Palmzweige, und über dem Ganzen ist eine
Kubige Ruhe, eine Verklärung ausgegossen, die uns mit dem Hauche des frommen,
""gebrochenen Seelenfriedens berührt. Sie singen dem Herrn und preisen ihn,
der sich eben wieder als Retter an ihnen bewährt, und die Engel stimmen betend
°in in den Chor der Gläubigen. Ein unbeschreiblicher Zauber weht in dieser
Darstellung des ersten, kindlichen, bedürfnißlosen Christenthums und seiner patriar¬
chalischen Einheit mit dem Himmel.

Nachdem wir uns diesem Zauber überlassen, ihn tief und innig durch-
en'pfunden habe», fällt unser Blick rechts von der Christengruppe auf drei flehend


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[0189] Sittenverderbniß und des Verfalls im jüdische» Volke, die historische Handlima, gliedert sich selbstständig in Wurzel, Stamm »ud Frucht, Ich komme nnn zu den Andeutungen der Zukunft, welche in symbolischer Darstellung des ideellen Zusammenhangs mit dem rein geschichtlichen Theil des Bildes äußerlich verbunden wurden, und an der Handlung eben so, wenig Theil "ahnen, als sie von den handelnden Personen wahrgenommen werden. Im Vorgrunde rechts stürzt Ahasver, von den über seinem Haupte schwebenden Furien verfolgt, hinaus in die Ewigkeit seiner zick- und ruhelosen Pilgerschaft. Die gräßliche Zerrüttung seines Innern, der Eindruck des endlos wirkenden Fluchs prägen sich in den fast wahnsinnigen Zügen des Antlitzes ans. Schwert und Schild hat er als Ballast von sich geworfen, die Hände krallen A) in die Brust, wo die dämonischen Mächte wühlen, deren Verkörperung wir W dumpfer, schlammiger Färbung, als wären sie eben dem Pfuhl der Hölle ent¬ stiegen, über ihm erblicken. Die rasende Eile der Flucht läßt seine Sohlen kaum den Boden berühren. Es ist die Geschichte des in alle Weiten der Welt zer¬ streuten Judenthums, in einen einzigen, furchtbar leidenschaftlichen Moment zu- Wuneugedrängt; eine Geschichte von anderthalb Jahrtausenden, ohne nationales Ziel und Dasein, voll Verfolgungen, voll von erlittenem Haß, voll handelnder Tücke, ein ewiges Harren auf Erlösung. Welch' ein anderes Bild auf der linken Seite des Vorgrundes! Eine christ¬ liche Familie, aus einem Greise und einem rüstigen Manu mit seinem jungen Weibe und seinen Kindern bestehend, zieht hinaus von der Trümmcrstätte; freien Herzens, denn überall ist ihre Heimath, wohin sie ihren beglückenden Glauben ^igt. Drei Engel geleiten sie, und bilden hinter ihr eine Schuizmauer gegen Wuth der Zerstörung. Der mittlere von ihnen trägt den Kelch des heiligen Abendmahls, aus dem das Kreuz, getränkt mit dem Blute Christi, in einer Glorie emporsteigt. Das Blut des Erlösers ist es, das Christi Anhänger von untergehenden Judenthume scheidet. Die Männer und das junge Weib weiten auf Eseln. Die beiden kleinsten Kinder ruhen ans dem Schooß der Mutter, ^ ihrer Hand die Palme des Friedens; ein Knabe hinter ihr, auf dem Rücken Thieres, hält einen Oelzweig. Auch die Knaben, welche mit den Zügeln der Thiere vorausschreiten, tragen Palmzweige, und über dem Ganzen ist eine Kubige Ruhe, eine Verklärung ausgegossen, die uns mit dem Hauche des frommen, ""gebrochenen Seelenfriedens berührt. Sie singen dem Herrn und preisen ihn, der sich eben wieder als Retter an ihnen bewährt, und die Engel stimmen betend °in in den Chor der Gläubigen. Ein unbeschreiblicher Zauber weht in dieser Darstellung des ersten, kindlichen, bedürfnißlosen Christenthums und seiner patriar¬ chalischen Einheit mit dem Himmel. Nachdem wir uns diesem Zauber überlassen, ihn tief und innig durch- en'pfunden habe», fällt unser Blick rechts von der Christengruppe auf drei flehend Gttnzbotc», IV. ->U3i, 2i>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/189>, abgerufen am 23.07.2024.