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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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hinzukommt, den die an seiner Schulter Hangende Gattin ans den Oberarm aus¬
üben muß, ohne daß die Straffheit der Attitüde verändert wird, erhält diese letztere
allerdings in ihrer Erhabenheit zugleich etwas Erzwungenes. Wie weit die physische
Kraft hierbei auszureichen vermöge, dies zu untersuchen, will ich gern Anderen über-
lassen. In Bezug auf die Bedeutung aber scheint mir der Künstler mit voller Ueber¬
legung für die Opferthat des Hohenpriesters jene auffallende, pathetische Form ge¬
wählt zu haben. Gewohnt, seinem Volke als Lehrer des Höchsten gegenüber zu
treten, berufen, ihm als Muster voranzuleuchten, stellt der Hohepriester auch
hier sein freiwilliges Opfer als ein Vorbild hiu, will er die Aufmerksamkeit der Ver-
zweifelnden daraus lenken als aus einen Weg der Erlösung. -- Die zweite Frage
berührt das Verhältniß des Hohenpriesters zu seiner Gattin. Man hat wol
eine Grausamkeit darin finden wollen, daß Jener sich selbst und die Kinder tob¬
tet, die um den Tod flehende Gattin aber zurückläßt. Das Mitleid mit dem
unglücklichen Weibe ist gerechtfertigt; der Vorwurf, der für deu Künstler in der
Frage liegen sollte, ist es nicht. Es soll uns in der Gruppe kein empfindsames
Familienstück gegeben werden, sondern ein Act religiöser Ekstase. Der Affect
wurzelt nicht in der verzweiflungsvoll erregten Natur des Vaterherzens, er besteht
vielmehr in einem erhabenen Aufschwung priesterlicher Opferfähigkeit, und geht
hervor ans dem religiösen Pathos priesterlicher Ehre. Darum tödtet der Hohe¬
priester die männlichen Glieder seines Stammes, die als geborene Träger des
nationalen Glaubens den Fall des Heiligthums nicht überleben sollen. Die Frau
ist ungleich weniger an die vernichtende Gewalt dieses unerbittlichen Schicksals ge¬
bunden. Will sie sterben, so wird sie selbst den Stahl zu sichren wissen. In
den religiös heroischen Gedanken der That würde das, Mitleid der Gattenliebe
nicht passen; ja eben dnrch das Nichterhörtwerden des ""glückseligen Weibes wird
das Wesen des Pathos, in welchem der Hohepriester seinen Opfertod vollzieht,
ans das Schärfste bezeichnet.

Die erste Frage beantwortet übrigens der Künstler selbst durch eine Gruppe
von drei Jünglingen mit ihrem greisen Vater, die er, dicht am untern Rande des
Bildes, noch vor der Hohenpricsterfamilie angebracht. Hier entwickeln sich bereit
sichtbar die Wirkungen der hvhcnpriesterlichen That.' Einer der Jünglinge Hot
sich eben in sein Schwert gestürzt, und ist im Sterben mit der Stirn wie betend
ans den Marmor des Fußbodens gesunken, den ein Strom seines Blutes röthet.
Die beiden anderen raufen sich in unentschlossener Verzweiflung das Haar. Ih^
Seelen scheinen sich, gleich der deö Vaters, noch nicht aus dem Dienste des
Mammon befreit zu haben. Neben dem Greise stehen die mit Gold und Kleinodien
gefüllten Urnen; es wird ihm schwer, von seinen Reichthümern zu scheiden.
Mechanisch hat er ein Schwert ergriffen, und stiert in dumpfem Schmerze vor
sich hin, als suche er nach dem Entschlüsse, der sast einzig und unvermeidlich er¬
scheint. Wir thun hier wieder einen Blick in die geschichtlichen Ursachen der


hinzukommt, den die an seiner Schulter Hangende Gattin ans den Oberarm aus¬
üben muß, ohne daß die Straffheit der Attitüde verändert wird, erhält diese letztere
allerdings in ihrer Erhabenheit zugleich etwas Erzwungenes. Wie weit die physische
Kraft hierbei auszureichen vermöge, dies zu untersuchen, will ich gern Anderen über-
lassen. In Bezug auf die Bedeutung aber scheint mir der Künstler mit voller Ueber¬
legung für die Opferthat des Hohenpriesters jene auffallende, pathetische Form ge¬
wählt zu haben. Gewohnt, seinem Volke als Lehrer des Höchsten gegenüber zu
treten, berufen, ihm als Muster voranzuleuchten, stellt der Hohepriester auch
hier sein freiwilliges Opfer als ein Vorbild hiu, will er die Aufmerksamkeit der Ver-
zweifelnden daraus lenken als aus einen Weg der Erlösung. — Die zweite Frage
berührt das Verhältniß des Hohenpriesters zu seiner Gattin. Man hat wol
eine Grausamkeit darin finden wollen, daß Jener sich selbst und die Kinder tob¬
tet, die um den Tod flehende Gattin aber zurückläßt. Das Mitleid mit dem
unglücklichen Weibe ist gerechtfertigt; der Vorwurf, der für deu Künstler in der
Frage liegen sollte, ist es nicht. Es soll uns in der Gruppe kein empfindsames
Familienstück gegeben werden, sondern ein Act religiöser Ekstase. Der Affect
wurzelt nicht in der verzweiflungsvoll erregten Natur des Vaterherzens, er besteht
vielmehr in einem erhabenen Aufschwung priesterlicher Opferfähigkeit, und geht
hervor ans dem religiösen Pathos priesterlicher Ehre. Darum tödtet der Hohe¬
priester die männlichen Glieder seines Stammes, die als geborene Träger des
nationalen Glaubens den Fall des Heiligthums nicht überleben sollen. Die Frau
ist ungleich weniger an die vernichtende Gewalt dieses unerbittlichen Schicksals ge¬
bunden. Will sie sterben, so wird sie selbst den Stahl zu sichren wissen. In
den religiös heroischen Gedanken der That würde das, Mitleid der Gattenliebe
nicht passen; ja eben dnrch das Nichterhörtwerden des »»glückseligen Weibes wird
das Wesen des Pathos, in welchem der Hohepriester seinen Opfertod vollzieht,
ans das Schärfste bezeichnet.

Die erste Frage beantwortet übrigens der Künstler selbst durch eine Gruppe
von drei Jünglingen mit ihrem greisen Vater, die er, dicht am untern Rande des
Bildes, noch vor der Hohenpricsterfamilie angebracht. Hier entwickeln sich bereit
sichtbar die Wirkungen der hvhcnpriesterlichen That.' Einer der Jünglinge Hot
sich eben in sein Schwert gestürzt, und ist im Sterben mit der Stirn wie betend
ans den Marmor des Fußbodens gesunken, den ein Strom seines Blutes röthet.
Die beiden anderen raufen sich in unentschlossener Verzweiflung das Haar. Ih^
Seelen scheinen sich, gleich der deö Vaters, noch nicht aus dem Dienste des
Mammon befreit zu haben. Neben dem Greise stehen die mit Gold und Kleinodien
gefüllten Urnen; es wird ihm schwer, von seinen Reichthümern zu scheiden.
Mechanisch hat er ein Schwert ergriffen, und stiert in dumpfem Schmerze vor
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scheint. Wir thun hier wieder einen Blick in die geschichtlichen Ursachen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/188>, abgerufen am 23.07.2024.