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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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über welches wir im vorigen Jahrgang, Heft M, referirt haben. Welches von
beiden das ältere ist, weiß ich nicht. Die gemeinsame Quelle aber ist theils die
altkatholische Tragödie, z. B. Calderon's Andacht zum Kreuz, theils unser Hoff-
mann, der aus dem liederlichen Bonvivant einen mystischen Helden gemacht hat.
Der Verlauf in dem Dumas'scheu Stück ist rein äußerlich. Ein guter -und ein
böser Engel, beide an die Familie Marana gebunden, streiten sich um die Seele
Don Juans. Als der gute Engel sieht, daß im Himmel für ihn nichts weiter
zu thun ist, bittet er die Jungfrau Maria, die persönlich auftritt, ihn sterblich
werden zu lassen. Er verwandelt sich in eine Nonne, Marthe, die Don Im"
liebt. Damit ist es aber noch nicht genug. Die Nonne stirbt, und um einen
Tag länger mit Don Juan zusammen sein zu können, verpfändet sie tausend
Jahre ihrer Unsterblichkeit. Nach dieser Episode, die übrigens zu der Hauptsache
nichts beiträgt, hat Dumas seinem Stück den zweiten TiKl gegeben-. Der Fall
eines Engels, und dadurch an das gleichzeitige Gedicht Lamartine's erinnert. ^
Der böse Engel erweist sich als eifriger Maschinist. Die erste Unthat, welche
Don Juan beging, bestand darin, daß er seinem sterbenden Vater ein Pergament
entriß, in welchem dieser seinen ältern Sohn, Don Johl, als ebenbürtig legitimiren
wollte. Da nun die Unterschrift fehlt, hat Don Juan, das Recht, seinen Bruder
als Leibeigenen zu behandeln, und er thut es geuau in der Weise des Fürsten
in Raupach'S "Isidor und Olga": er läßt ihm vor den Augen seiner Braut
Stockschläge gebe" n. s. w. Don Johl, außer sich gesetzt, verschreibt sich dem
bösen Geist; er wird von demselben in das Grab seines Vaters geführt, und der
todte alte Herr muß die fehlende Unterschrift ergänzen. Nun ist Don Jos^
legitimirt und kann an seinem Bruder Vergeltung üben. Don Juan, ist gerade
auf gutem Wege; durch eine Reihe entsetzlicher Geistererscheiuuugeu ist er von
der Existenz einer überirdischen Welt überzeugt wordeu, und beschließt nach
der bequemen katholischen Art, seine Sünden in einem Trappistenklvster zu büßen.
Er widersteht in seinem frommen Vorhaben selbst den Versuchungen der Liebe,
die sonderbarer Weise von seinem in ein Weib verwandelten Schutzengel ausgehen,
während dieser doch ein Interesse daran haben mußte, seinen Schützling ans dem
guten Wege zu erhalte". Aber den Versuchungen des Stolzes kann er nicht
widerstehen. Als sein Bruder ihn schlägt, ergreift er einen Degen und tödtet
ihn im Duell. So geht er denn seinem Verderben entgegen. Ein Mann, den
er früher im Duell getödtet hat, steigt aus dem Grabe auf und stößt ihn nieder.
Die Geister der Gefallenen versammeln sich zum zweiten Male in einem wüsten
Bankett, und nachdem von rechts her Gnade? von links her Rache! gerufen
wird, entscheidet eine Stimme von oben: Gerechtigkeit! So scheint wol der
arme Don Juan der Hölle nicht entgehen zu können, und das snbjectwe Recht
der Genialität fällt der allgemeinen Moral zum Opfer. -- Ich muß noch bemerken,


über welches wir im vorigen Jahrgang, Heft M, referirt haben. Welches von
beiden das ältere ist, weiß ich nicht. Die gemeinsame Quelle aber ist theils die
altkatholische Tragödie, z. B. Calderon's Andacht zum Kreuz, theils unser Hoff-
mann, der aus dem liederlichen Bonvivant einen mystischen Helden gemacht hat.
Der Verlauf in dem Dumas'scheu Stück ist rein äußerlich. Ein guter -und ein
böser Engel, beide an die Familie Marana gebunden, streiten sich um die Seele
Don Juans. Als der gute Engel sieht, daß im Himmel für ihn nichts weiter
zu thun ist, bittet er die Jungfrau Maria, die persönlich auftritt, ihn sterblich
werden zu lassen. Er verwandelt sich in eine Nonne, Marthe, die Don Im«
liebt. Damit ist es aber noch nicht genug. Die Nonne stirbt, und um einen
Tag länger mit Don Juan zusammen sein zu können, verpfändet sie tausend
Jahre ihrer Unsterblichkeit. Nach dieser Episode, die übrigens zu der Hauptsache
nichts beiträgt, hat Dumas seinem Stück den zweiten TiKl gegeben-. Der Fall
eines Engels, und dadurch an das gleichzeitige Gedicht Lamartine's erinnert. ^
Der böse Engel erweist sich als eifriger Maschinist. Die erste Unthat, welche
Don Juan beging, bestand darin, daß er seinem sterbenden Vater ein Pergament
entriß, in welchem dieser seinen ältern Sohn, Don Johl, als ebenbürtig legitimiren
wollte. Da nun die Unterschrift fehlt, hat Don Juan, das Recht, seinen Bruder
als Leibeigenen zu behandeln, und er thut es geuau in der Weise des Fürsten
in Raupach'S „Isidor und Olga": er läßt ihm vor den Augen seiner Braut
Stockschläge gebe» n. s. w. Don Johl, außer sich gesetzt, verschreibt sich dem
bösen Geist; er wird von demselben in das Grab seines Vaters geführt, und der
todte alte Herr muß die fehlende Unterschrift ergänzen. Nun ist Don Jos^
legitimirt und kann an seinem Bruder Vergeltung üben. Don Juan, ist gerade
auf gutem Wege; durch eine Reihe entsetzlicher Geistererscheiuuugeu ist er von
der Existenz einer überirdischen Welt überzeugt wordeu, und beschließt nach
der bequemen katholischen Art, seine Sünden in einem Trappistenklvster zu büßen.
Er widersteht in seinem frommen Vorhaben selbst den Versuchungen der Liebe,
die sonderbarer Weise von seinem in ein Weib verwandelten Schutzengel ausgehen,
während dieser doch ein Interesse daran haben mußte, seinen Schützling ans dem
guten Wege zu erhalte». Aber den Versuchungen des Stolzes kann er nicht
widerstehen. Als sein Bruder ihn schlägt, ergreift er einen Degen und tödtet
ihn im Duell. So geht er denn seinem Verderben entgegen. Ein Mann, den
er früher im Duell getödtet hat, steigt aus dem Grabe auf und stößt ihn nieder.
Die Geister der Gefallenen versammeln sich zum zweiten Male in einem wüsten
Bankett, und nachdem von rechts her Gnade? von links her Rache! gerufen
wird, entscheidet eine Stimme von oben: Gerechtigkeit! So scheint wol der
arme Don Juan der Hölle nicht entgehen zu können, und das snbjectwe Recht
der Genialität fällt der allgemeinen Moral zum Opfer. — Ich muß noch bemerken,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/176>, abgerufen am 24.07.2024.