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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Ideale, sondern an die Wirklichkeit den Glauben verloren hatte, glücklich ge-
faßt, und auch den Gegensatz der Monomanie des Nichts, die heidnischen Remi¬
niscenzen der altrömischen Tugend einerseits und die christliche Verzückung des Lei¬
dens und der Aufopferung andrerseits, mit seinem Sinn herausgefunden; aber er
denkt nicht tief genug, um diese Anlage wirklich durchzuführen. Die Orgien der
blasirten Wollüstlinge, diese beständige Vermischung der Lust und der Grausam¬
keit weiß er recht gut zu schildern, und die Repräsentanten derselben, der Kaiser,
Mefsaline, die selten Werkzeuge der Tyrannei und der stumpfsinnige Pöbel sind
"icht ohne Interesse; wenn er aber ans den Gegensatz kommt, das Christenthum,
verliert sich das Ideal in leere Spielerei und Klingklang. Von jener Begeiste¬
rung für das Leiden und den Tod,'die sich im Christenthum als nothwendige Reac¬
tion gegen die willkürliche Passivität des glaubenlosc" Römerthums herausstellte,
ist uicht die Rede; wir werden mit einigen einfältigen Wundergeschichten abge-
Ipcist, und die Propheten der neuen Religion reden und benehmen sich nicht an¬
ders, als ihre Gegner. Geradezu lächerlich wird die Bekehrung eines Heiden.
Aquila der Gallier liebt Stella, die Christin. In ihrer Todesstunde erzählt sie
'hin von dem wahren Gott; er erwidert ihr, es sei ihm einerlei, ob es der wahre
sei, es wäre der ihrige, das sei ihm genng, und er nehme ihn an. Somit wäre
in Ordnung; aber sie kann sich nicht enthalten, ihn über die Hauptpunkte des
Glaubens zu katechisiren, und das Ja, welches er ans Galanterie ans alle ihre
fragen, die ihm doch sehr unklar und unbegreiflich vorkommen müssen, erwidert,
^se vou einer Frivolität, daß es gläubige Gemüther empören muß. So wird aus
einer Anlage, die zu einer Tragödie im größern Styl hätte führen können, ein
UlelodramatischeS Jntngueustnck; aber als solches betrachtet, enthält es eine ganze
Reihe vou Scenen, in denen sich eine nicht unbedeutende Ader wilder Poesie
"sscnbart. -- Das Stück ist in Versen geschrieben; die Sprache schmeckt zwar
"ach der Schule Victor Hugo's, aber sie ist doch nicht ohne Reiz. Es ist im
^lzirtrv klar^ais aufgeführt worden, und hat das Publicum hingerissen, obgleich
^e Kritik, die überhaupt sehr streng gegen Dumas war, bedenklich den Kopf
schüttelte, nicht mehr aus dem alrclassischen Bedenken der aristotelischen Einheiten,
sondern im Interesse der Wahrheit nud der Logik. -- In unsern Tagen hat mau
sich wieder zu diesem Sujet zurückgewandt, und die Messaline, die Hanptintri-
iMtin des Dumas'schen Stücks, als eine verkannte Tngeudheldiu darstellen wolle",
nur darum in schlechten Ruf gekommen sei, weil man sie mit ihrer Stief-
Ichwester Lycisca verwechselt habe. Dieses neue Jutrigueustnck steht aber in jeder
Beziehung hinter dein Dumas'schen weit zurück.

Ju dem Don Juan de Maraua (1837) hat Dumas einen höhern
"lug gewagt. Der. Held ist unser alter Freund Don Juan, dem fast alle
Eueren französischen Dichter ihren Tribut zahlen zu müssen glaubten. Das
Stück hat eine auffallende Aehnlichl'eit mit dem Don Juan Tenorio von Zorilla,


Ideale, sondern an die Wirklichkeit den Glauben verloren hatte, glücklich ge-
faßt, und auch den Gegensatz der Monomanie des Nichts, die heidnischen Remi¬
niscenzen der altrömischen Tugend einerseits und die christliche Verzückung des Lei¬
dens und der Aufopferung andrerseits, mit seinem Sinn herausgefunden; aber er
denkt nicht tief genug, um diese Anlage wirklich durchzuführen. Die Orgien der
blasirten Wollüstlinge, diese beständige Vermischung der Lust und der Grausam¬
keit weiß er recht gut zu schildern, und die Repräsentanten derselben, der Kaiser,
Mefsaline, die selten Werkzeuge der Tyrannei und der stumpfsinnige Pöbel sind
»icht ohne Interesse; wenn er aber ans den Gegensatz kommt, das Christenthum,
verliert sich das Ideal in leere Spielerei und Klingklang. Von jener Begeiste¬
rung für das Leiden und den Tod,'die sich im Christenthum als nothwendige Reac¬
tion gegen die willkürliche Passivität des glaubenlosc» Römerthums herausstellte,
ist uicht die Rede; wir werden mit einigen einfältigen Wundergeschichten abge-
Ipcist, und die Propheten der neuen Religion reden und benehmen sich nicht an¬
ders, als ihre Gegner. Geradezu lächerlich wird die Bekehrung eines Heiden.
Aquila der Gallier liebt Stella, die Christin. In ihrer Todesstunde erzählt sie
'hin von dem wahren Gott; er erwidert ihr, es sei ihm einerlei, ob es der wahre
sei, es wäre der ihrige, das sei ihm genng, und er nehme ihn an. Somit wäre
in Ordnung; aber sie kann sich nicht enthalten, ihn über die Hauptpunkte des
Glaubens zu katechisiren, und das Ja, welches er ans Galanterie ans alle ihre
fragen, die ihm doch sehr unklar und unbegreiflich vorkommen müssen, erwidert,
^se vou einer Frivolität, daß es gläubige Gemüther empören muß. So wird aus
einer Anlage, die zu einer Tragödie im größern Styl hätte führen können, ein
UlelodramatischeS Jntngueustnck; aber als solches betrachtet, enthält es eine ganze
Reihe vou Scenen, in denen sich eine nicht unbedeutende Ader wilder Poesie
"sscnbart. — Das Stück ist in Versen geschrieben; die Sprache schmeckt zwar
»ach der Schule Victor Hugo's, aber sie ist doch nicht ohne Reiz. Es ist im
^lzirtrv klar^ais aufgeführt worden, und hat das Publicum hingerissen, obgleich
^e Kritik, die überhaupt sehr streng gegen Dumas war, bedenklich den Kopf
schüttelte, nicht mehr aus dem alrclassischen Bedenken der aristotelischen Einheiten,
sondern im Interesse der Wahrheit nud der Logik. — In unsern Tagen hat mau
sich wieder zu diesem Sujet zurückgewandt, und die Messaline, die Hanptintri-
iMtin des Dumas'schen Stücks, als eine verkannte Tngeudheldiu darstellen wolle»,
nur darum in schlechten Ruf gekommen sei, weil man sie mit ihrer Stief-
Ichwester Lycisca verwechselt habe. Dieses neue Jutrigueustnck steht aber in jeder
Beziehung hinter dein Dumas'schen weit zurück.

Ju dem Don Juan de Maraua (1837) hat Dumas einen höhern
«lug gewagt. Der. Held ist unser alter Freund Don Juan, dem fast alle
Eueren französischen Dichter ihren Tribut zahlen zu müssen glaubten. Das
Stück hat eine auffallende Aehnlichl'eit mit dem Don Juan Tenorio von Zorilla,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/175>, abgerufen am 23.07.2024.