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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Größe gehört, die man gern ausschließlich am akademischen Himmel statt der ver¬
blichenen Leuchter sähe, haben wir oben nicht verhehlt; aber daß er mit treu¬
fleißiger, solider Gelehrsamkeit seinen Platz so wacker ausfüllen werde, wie man¬
cher Andere, das wollen auch wir keineswegs in Abrede stellen.

Nach all dem Feuerwerk von Phrasenraketen hinüber und herüber fehlte nur
noch ein wirkliches; der Himmel zwar hatte schon von Zeit zu Zeit durch blen¬
dende Blitze das Halbdunkel auf Augenblicke grell beleuchtet -- aber jetzt tritt
Herr Encke als Director des akademischen Feuerwerks auf: die heute fällige Preis-
aufgabe über das Reisen der Früchte hat keine genügende Lösung gefunden, und in
hell lodernder Flamme, die auf den gebieterischen Ton seiner Klingel erscheint, -
werden die versiegelten Zettel, die die Namen der in ihren Hoffnungen getäusch¬
ten Bewerber enthalten, feierlich verbrannt.

Schon lange hat unsre Aufmerksamkeit ein großer Mann, zwischen Encke,
der die Mitte der Tafel einnimmt, und Trendelenburg, mit spärlichem Haupthaar,
hoher Stirn und Hellem, klarem Blicke gefesselt, -- in dessen Gesicht sich mit
gemüthlicher Milde der Ausdruck eines regen und unruhigen Geistes paart; kaum
ist die Flamme verlöscht, kaum hat Encke eine neue Preisaufgabe (über hydrau¬
lischen Mörtel) verkündigt, so greift er nach einem großen Haufen von Papieren,
setzt sich die Brille auf und beginnt prestissimo, mit obligaten Bewegungen des
ganzen Körpers, die Lecture einer Lobrede auf Berzelius, der der Akademie als
auswärtiges Mitglied angehört hatte. Berzelius, so hatte schon vorher ein un¬
glückweissagender Augur aus dem Schooße der Academie mir verkündet, scheint
Das vor allen andern großen Männern voraus zu haben, daß es uuter zwei bis
drei Stunden nicht möglich ist, ihn zu loben. Ganz zwar ging die Befürchtung,
die diese Worte, die das dicke Manuscript erregt hatten, nicht in Erfüllung:
durch eingelegte Papierstreifen, die der Redner während deS Vortrags nach und
nach herauszog und zerknitterte, hatte er schou im Voraus sich die Flügel be¬
schnitten -- auch so war dem Vortrage eine gewisse Länge und Breite geblieben.
Aber wie es von Heinrich Rose, dem ausgezeichneten Chemiker, dem treuen
Schüler von Berzelius, nicht "anders erwartet werden konnte, nicht nur des Mei¬
sters Leistungen wurden, selbst dem Laien größtentheils anschaulich, dargelegt,
sondern die ganze Darstellung trug einen comparativen Charakter, sie führte fast
die ganze Geschichte der Chemie und lebendig gezeichnete Bilder ihrer Koryphäen
in bunter Reihe dem geistigen Ange vorüber. Wir sahen von kleinen, beschei¬
denen Anfängen aus, unter der Ungunst äußerer Umstände, unter der Last einer
ausgedehnten ärztlichen Praxis den berühmten Schweden sich zu dem höchsten
Gipfel wissenschaftlicher Thätigkeit, wie des Ruhms und der Anerkennung empor¬
heben, wir sahen ihn hellleuchtend am Firmamente noch lange glänzen, als
Humphrey Davy's Stern schnell verloschen war, Gay-Lussac nur noch einen
schwachen Abglanz ehemaligen Feuers bewahrte -- aber, wir sahen auch, je kam-


Größe gehört, die man gern ausschließlich am akademischen Himmel statt der ver¬
blichenen Leuchter sähe, haben wir oben nicht verhehlt; aber daß er mit treu¬
fleißiger, solider Gelehrsamkeit seinen Platz so wacker ausfüllen werde, wie man¬
cher Andere, das wollen auch wir keineswegs in Abrede stellen.

Nach all dem Feuerwerk von Phrasenraketen hinüber und herüber fehlte nur
noch ein wirkliches; der Himmel zwar hatte schon von Zeit zu Zeit durch blen¬
dende Blitze das Halbdunkel auf Augenblicke grell beleuchtet — aber jetzt tritt
Herr Encke als Director des akademischen Feuerwerks auf: die heute fällige Preis-
aufgabe über das Reisen der Früchte hat keine genügende Lösung gefunden, und in
hell lodernder Flamme, die auf den gebieterischen Ton seiner Klingel erscheint, -
werden die versiegelten Zettel, die die Namen der in ihren Hoffnungen getäusch¬
ten Bewerber enthalten, feierlich verbrannt.

Schon lange hat unsre Aufmerksamkeit ein großer Mann, zwischen Encke,
der die Mitte der Tafel einnimmt, und Trendelenburg, mit spärlichem Haupthaar,
hoher Stirn und Hellem, klarem Blicke gefesselt, — in dessen Gesicht sich mit
gemüthlicher Milde der Ausdruck eines regen und unruhigen Geistes paart; kaum
ist die Flamme verlöscht, kaum hat Encke eine neue Preisaufgabe (über hydrau¬
lischen Mörtel) verkündigt, so greift er nach einem großen Haufen von Papieren,
setzt sich die Brille auf und beginnt prestissimo, mit obligaten Bewegungen des
ganzen Körpers, die Lecture einer Lobrede auf Berzelius, der der Akademie als
auswärtiges Mitglied angehört hatte. Berzelius, so hatte schon vorher ein un¬
glückweissagender Augur aus dem Schooße der Academie mir verkündet, scheint
Das vor allen andern großen Männern voraus zu haben, daß es uuter zwei bis
drei Stunden nicht möglich ist, ihn zu loben. Ganz zwar ging die Befürchtung,
die diese Worte, die das dicke Manuscript erregt hatten, nicht in Erfüllung:
durch eingelegte Papierstreifen, die der Redner während deS Vortrags nach und
nach herauszog und zerknitterte, hatte er schou im Voraus sich die Flügel be¬
schnitten — auch so war dem Vortrage eine gewisse Länge und Breite geblieben.
Aber wie es von Heinrich Rose, dem ausgezeichneten Chemiker, dem treuen
Schüler von Berzelius, nicht "anders erwartet werden konnte, nicht nur des Mei¬
sters Leistungen wurden, selbst dem Laien größtentheils anschaulich, dargelegt,
sondern die ganze Darstellung trug einen comparativen Charakter, sie führte fast
die ganze Geschichte der Chemie und lebendig gezeichnete Bilder ihrer Koryphäen
in bunter Reihe dem geistigen Ange vorüber. Wir sahen von kleinen, beschei¬
denen Anfängen aus, unter der Ungunst äußerer Umstände, unter der Last einer
ausgedehnten ärztlichen Praxis den berühmten Schweden sich zu dem höchsten
Gipfel wissenschaftlicher Thätigkeit, wie des Ruhms und der Anerkennung empor¬
heben, wir sahen ihn hellleuchtend am Firmamente noch lange glänzen, als
Humphrey Davy's Stern schnell verloschen war, Gay-Lussac nur noch einen
schwachen Abglanz ehemaligen Feuers bewahrte — aber, wir sahen auch, je kam-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/96>, abgerufen am 02.07.2024.