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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ger der Vortrag dauerte, die ehrwürdige Gestalt Jacob Grimms zur andern
Seite von Ehrenberg, mit dem weißen, lockigen Haar, dem tiefgefurchten, dun¬
keln Antlitz, sich unruhiger und unruhiger hin und her auf dem Stuhle bewegen
und seiner Ungeduld durch unstete, mannichfach wechselnde Bewegungen der Hand
einen Ausweg suchen. Unter dem bunten Ordensbüschel, den gewiß "Dortchen"
ihm auch heut wieder angesteckt hatte, wie er es so mnuuthig in seiner geiht- und ge¬
müthvollen Jnbelschrift an Savigny beschreibt, schlug ihm offenbar in unmnthiger Auf¬
wallung das Herz: das Andenken des geliebten Freundes, des treue" Genossen auf
dem eigenen Gebiete, um dessen Tod noch frische Trauer herrscht, des Landsmanns,
des ordentlichen Mitgliedes der Akademie, sollte, so schien es, beeinträchtigt wer¬
den durch die unerschütterliche Beharrlichkeit, mit der Herr Rose "trotz alledem
und alledem" doch schon seit mehr als einer Stunde das Andenken des vor drei
Jahren verblichenen Schwedischen Freiherrn feierte, der weder ihm, noch der Aka¬
demie, noch dem Vaterlande so eng verbunden erschien, als Lachmann, auf dessen
Grab er einen frischen Lorbeerkranz legen sollte. Einen Lorbeerkranz? auch Lor¬
beeren freilich gründen in dem duftigen, farbigen Kranze, den er gewunden
hatte -- aber unter den Lorbeer war frisches Immergrün eingebunden, und auch
Vergißmeinnicht fehlten nicht und bunte Feldblumen, die mit hellleuchtenden, kind¬
lichem Auge hervorguckten ans ernstem Cypressenlaub. Ernste , tiefe Worte, ein¬
gehende und eindringende Schilderungen der großartigen wissenschaftlichen Thätig¬
keit Landmanns; aber auch dazwischen mancherlei feine und zierliche Rede über
Alte und Neue, denen Lachmann seine kritische Thätigkeit zugewendet, mancherlei
liebe Erinnerung an muntere, in treuer Gemeinschaft verlebte Stunden -- nicht
nur an den Gelehrten, auch an den guten Gesellschafter, den treuen Freund,
den Menschen von echtem Schrot und Korn, "von nackter und scharfer Wahr¬
haftigkeit", wie Trendelenburg vorher ihn einfach und würdig bezeichnet hatte,
aber auch von tiefem, weichem Gemüthe, das freilich, wer ihm fernerstand, nicht
zu erkennen vermochte: das Alles belebt von der naivsten Herzlichkeit, mit fri¬
schen, kecken Schlaglichtern und Schlagworten, konnte nirgend seines Eindruckes
verfehlen. Das lies gemüthliche Element dieser Rede vor Allem ist es, das den
grellsten Gegensatz bildete zu den vloges cle Ur. IV. pu- M. N., das in dem
Schooße des Instituts eine Unmöglichkeit wäre -- aber ob wol noch ein ein¬
ziger Franzose im Saale geblieben wäre, um, nachdem Encke, du Bois, Peters,
Ehrenberg, Pinder, Buschmann, Riedel, Trendelenburg und noch einmal Encke
gesprochen, nachdem eine voluminöse Lobrede gehalten worden war, noch eine
zweite selbst von einem Jacob Grimm zu hören? das ist eine überflüssige Frage;
Franzosen muthen das keinem Franzosen zu -- aber unsre Deutschen kannten
ihr Publicum; kaum Einer hatte den Saal vor dem letzten Worte Grimms ver¬
lassen.




Grenzboten. IU. ->8ni.-12

ger der Vortrag dauerte, die ehrwürdige Gestalt Jacob Grimms zur andern
Seite von Ehrenberg, mit dem weißen, lockigen Haar, dem tiefgefurchten, dun¬
keln Antlitz, sich unruhiger und unruhiger hin und her auf dem Stuhle bewegen
und seiner Ungeduld durch unstete, mannichfach wechselnde Bewegungen der Hand
einen Ausweg suchen. Unter dem bunten Ordensbüschel, den gewiß „Dortchen"
ihm auch heut wieder angesteckt hatte, wie er es so mnuuthig in seiner geiht- und ge¬
müthvollen Jnbelschrift an Savigny beschreibt, schlug ihm offenbar in unmnthiger Auf¬
wallung das Herz: das Andenken des geliebten Freundes, des treue» Genossen auf
dem eigenen Gebiete, um dessen Tod noch frische Trauer herrscht, des Landsmanns,
des ordentlichen Mitgliedes der Akademie, sollte, so schien es, beeinträchtigt wer¬
den durch die unerschütterliche Beharrlichkeit, mit der Herr Rose „trotz alledem
und alledem" doch schon seit mehr als einer Stunde das Andenken des vor drei
Jahren verblichenen Schwedischen Freiherrn feierte, der weder ihm, noch der Aka¬
demie, noch dem Vaterlande so eng verbunden erschien, als Lachmann, auf dessen
Grab er einen frischen Lorbeerkranz legen sollte. Einen Lorbeerkranz? auch Lor¬
beeren freilich gründen in dem duftigen, farbigen Kranze, den er gewunden
hatte — aber unter den Lorbeer war frisches Immergrün eingebunden, und auch
Vergißmeinnicht fehlten nicht und bunte Feldblumen, die mit hellleuchtenden, kind¬
lichem Auge hervorguckten ans ernstem Cypressenlaub. Ernste , tiefe Worte, ein¬
gehende und eindringende Schilderungen der großartigen wissenschaftlichen Thätig¬
keit Landmanns; aber auch dazwischen mancherlei feine und zierliche Rede über
Alte und Neue, denen Lachmann seine kritische Thätigkeit zugewendet, mancherlei
liebe Erinnerung an muntere, in treuer Gemeinschaft verlebte Stunden — nicht
nur an den Gelehrten, auch an den guten Gesellschafter, den treuen Freund,
den Menschen von echtem Schrot und Korn, „von nackter und scharfer Wahr¬
haftigkeit", wie Trendelenburg vorher ihn einfach und würdig bezeichnet hatte,
aber auch von tiefem, weichem Gemüthe, das freilich, wer ihm fernerstand, nicht
zu erkennen vermochte: das Alles belebt von der naivsten Herzlichkeit, mit fri¬
schen, kecken Schlaglichtern und Schlagworten, konnte nirgend seines Eindruckes
verfehlen. Das lies gemüthliche Element dieser Rede vor Allem ist es, das den
grellsten Gegensatz bildete zu den vloges cle Ur. IV. pu- M. N., das in dem
Schooße des Instituts eine Unmöglichkeit wäre — aber ob wol noch ein ein¬
ziger Franzose im Saale geblieben wäre, um, nachdem Encke, du Bois, Peters,
Ehrenberg, Pinder, Buschmann, Riedel, Trendelenburg und noch einmal Encke
gesprochen, nachdem eine voluminöse Lobrede gehalten worden war, noch eine
zweite selbst von einem Jacob Grimm zu hören? das ist eine überflüssige Frage;
Franzosen muthen das keinem Franzosen zu — aber unsre Deutschen kannten
ihr Publicum; kaum Einer hatte den Saal vor dem letzten Worte Grimms ver¬
lassen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/97>, abgerufen am 02.07.2024.