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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Feier fern, und Böckh hatte am selben Tage seine Badereise angetreten, von der
ihn uns die augcubeschützende Minerva -- denn auch als solche wurde die Göttin
von den Hellenen verehrt -- neugestärkt zurückführen möge; aber doch entbehrte
die Versammlung nicht wissenschaftlicher Zierden des ersten Ranges: es genügt,
Karl Ritter zu nennen und Jacob Grimm, um anzudeuten, welcher wissenschaftliche
Maßstab angelegt werden müsse, um der Gemeinschaft solcher Männer würdig
befunden zu werden. Und die Namen der dahingeschiedenen Genossen, die der
Akademie im letzten Jahre entrissen sind, Lachmann und Neander, Link nud Jacobi,
bezeichnen sie nicht Jeder einen Geist von eigenthümlichem Gepräge, hatte uicht
das wissenschaftliche Leben eines jeden dieser Männer neue Bahnen eröffnet in
den Gebieten der Forschung, denen sie sich zugewendet? Statt dieser edeln Qua¬
driga sehen wir vor uus jetzt zu unsrer Linken die beiden neu gewählten Mit¬
glieder der physikalisch-mathematischen Klasse, zu unsrer Rechten das Kleeblatt,
durch das die historisch-philosophische Klasse sich zu ergänzen versucht hat; -- selten
wol mag das Verhältniß der Naturwissenschaften zu der historischen Forschung in
der Gegenwart einen so vollständigen Ausdruck gefunden haben als hier. Die
Naturwissenschaft, die jung aufstrebende, hat, die gewöhnlichen Schranken durch¬
brechend, in den Kreis ihrer Auserwählten zwei Männer berufen, die, äußerlich
betrachtet, noch im Beginne ihrer Laufbahn sich befinden, zwei Privatdocenten an
der Universität; der Eine steht kaum an der Schwelle des Mannesalters, das
blonde Haar, die frische, rosige Farbe heben diese Jugendlichkeit besonders her¬
vor; aber er hat vom Anbeginn seiner Beschäftigung mit der Wissenschaft, seit
zehn Jahren etwa, mit der ganzen Kraft eines energischen und spannkräftiger
Geistes unverrückt einem Ziele zugestrebt. Vor hundert Jahren gerade, so erzählt
er es uus mit kräftiger, wohlklingender Stimme, -- denn er beginnt die Reihe
der Antrittsreden, nachdem Encke als Vorsitzender Secretair Leibnitz den gesetz¬
mäßigen Tribut der Verehrung wegen Mangels an Zeit ziemlich karg zugemessen
hat -- vor hundert Jahren im Juli des Jahres 1731 stellte die Akademie der
Wissenschaften eine Preisaufgabe über thierische Elektricität und die Bedeutung,
die sie für die Erklärung gewisser Erscheinungen des organischen Lebens in An¬
spruch nehme; mit Recht erkannte sie damals Demjenigen nnter den Bewerbern
den Preis zu, der diese Bedeutung, die auf methodischem, streng wissenschaftlichem
Wege nicht nachgewiesen werden konnte, in Abrede stellte. Auch ein halbes
Jahrhundert darauf, als dieselbe Lehre nnter der Aegide Humboldt's wieder in
die Schranken trat, vermochte sie sich hier keinen Einlaß zu erringen; jetzt, wieder
ein halbes Jahrhundert später, werde nun er, der zuerst in genügender Weise
eine Theorie jener merkwürdigen Erscheinungen aufgestellt und ihre Berechtigung
auf eine wissenschaftliche Existenz nachgewiesen habe, in den Kreis der Akademie
berufen, die mit eben so vielem Rechte, als sie vor einem Jahrhundert jene Lehre
abwies, ihr nunmehr den Zugang eröffne, indem sie ihm auf eine so überraschende


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Feier fern, und Böckh hatte am selben Tage seine Badereise angetreten, von der
ihn uns die augcubeschützende Minerva — denn auch als solche wurde die Göttin
von den Hellenen verehrt — neugestärkt zurückführen möge; aber doch entbehrte
die Versammlung nicht wissenschaftlicher Zierden des ersten Ranges: es genügt,
Karl Ritter zu nennen und Jacob Grimm, um anzudeuten, welcher wissenschaftliche
Maßstab angelegt werden müsse, um der Gemeinschaft solcher Männer würdig
befunden zu werden. Und die Namen der dahingeschiedenen Genossen, die der
Akademie im letzten Jahre entrissen sind, Lachmann und Neander, Link nud Jacobi,
bezeichnen sie nicht Jeder einen Geist von eigenthümlichem Gepräge, hatte uicht
das wissenschaftliche Leben eines jeden dieser Männer neue Bahnen eröffnet in
den Gebieten der Forschung, denen sie sich zugewendet? Statt dieser edeln Qua¬
driga sehen wir vor uus jetzt zu unsrer Linken die beiden neu gewählten Mit¬
glieder der physikalisch-mathematischen Klasse, zu unsrer Rechten das Kleeblatt,
durch das die historisch-philosophische Klasse sich zu ergänzen versucht hat; — selten
wol mag das Verhältniß der Naturwissenschaften zu der historischen Forschung in
der Gegenwart einen so vollständigen Ausdruck gefunden haben als hier. Die
Naturwissenschaft, die jung aufstrebende, hat, die gewöhnlichen Schranken durch¬
brechend, in den Kreis ihrer Auserwählten zwei Männer berufen, die, äußerlich
betrachtet, noch im Beginne ihrer Laufbahn sich befinden, zwei Privatdocenten an
der Universität; der Eine steht kaum an der Schwelle des Mannesalters, das
blonde Haar, die frische, rosige Farbe heben diese Jugendlichkeit besonders her¬
vor; aber er hat vom Anbeginn seiner Beschäftigung mit der Wissenschaft, seit
zehn Jahren etwa, mit der ganzen Kraft eines energischen und spannkräftiger
Geistes unverrückt einem Ziele zugestrebt. Vor hundert Jahren gerade, so erzählt
er es uus mit kräftiger, wohlklingender Stimme, — denn er beginnt die Reihe
der Antrittsreden, nachdem Encke als Vorsitzender Secretair Leibnitz den gesetz¬
mäßigen Tribut der Verehrung wegen Mangels an Zeit ziemlich karg zugemessen
hat — vor hundert Jahren im Juli des Jahres 1731 stellte die Akademie der
Wissenschaften eine Preisaufgabe über thierische Elektricität und die Bedeutung,
die sie für die Erklärung gewisser Erscheinungen des organischen Lebens in An¬
spruch nehme; mit Recht erkannte sie damals Demjenigen nnter den Bewerbern
den Preis zu, der diese Bedeutung, die auf methodischem, streng wissenschaftlichem
Wege nicht nachgewiesen werden konnte, in Abrede stellte. Auch ein halbes
Jahrhundert darauf, als dieselbe Lehre nnter der Aegide Humboldt's wieder in
die Schranken trat, vermochte sie sich hier keinen Einlaß zu erringen; jetzt, wieder
ein halbes Jahrhundert später, werde nun er, der zuerst in genügender Weise
eine Theorie jener merkwürdigen Erscheinungen aufgestellt und ihre Berechtigung
auf eine wissenschaftliche Existenz nachgewiesen habe, in den Kreis der Akademie
berufen, die mit eben so vielem Rechte, als sie vor einem Jahrhundert jene Lehre
abwies, ihr nunmehr den Zugang eröffne, indem sie ihm auf eine so überraschende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/91>, abgerufen am 02.07.2024.