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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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von Nohrstühlen zu ebener Erde; statt der ersme der Gesellschaft einige geheime
Räthe, Gelehrte, Literaten, gebildete Müßiggänger, ziemlich viele Studenten und
drei Damen im bescheidensten Costume von der Welt: eine fremde und zwei, ich
weiß nicht, ob Frauen oder sonstige weibliche Verwandte von Akademikern, die
ihre Männer, resp. Väter oder Brüder, bei dieser Gelegenheit reden hören oder
doch sehen wollen. So wenigstens gestern, Donnerstag den 3. Juli, am Jah¬
restage der öffentlichen Sitzung zu Ehren von Leibnitz; mit kleinen Variationen
aber ist es immer eben so, wenn nicht einmal ein Prinz, oder gar der König
einer Sitzung beiwohnt, und dadurch wenigstens eine Anzahl bunter Uniformen
ihren Lüstre über das Publicum verbreitet. Nicht umsonst wahrlich war hener
diese Sitzung anberaumt: nicht ein neues Mitglied wurde in den Schooß der
gelehrte" Körperschaft ausgenommen, sondern fünf. Die Secretaire antwortete"
zwar nicht den Einzelnen, sondern klassenweise: doch aber gab das allein sieben
längere oder kürzere Reden; Leibnitz, zu dessen Ehren prineipaliter die Sitzung
gehalten wird, durfte auch nicht ganz leer ausgehen, Preisausgabeu wurden be¬
urtheilt und verkündigt, schließlich Gcdächtnißrcden auf zwei verstorbene Mitglieder
der Akademie gehalten. Als die Sitzung nach dreistündiger Dauer aufgehoben
wurde, schwirrte Einem fast der Kopf von dem bunten Durcheinander, und hätte
nicht Jacob Grimm'S liebenswürdige und ursprüngliche Naivetät, die dieses
Panachv akademischer Genüsse während eines obligaten Gewitters mit leuchtenden
Blitzen, stark rollenden Donnern, strömenden Regengüssen bei schwebender, schwüler
Hitze im Saale beschloß, zuletzt die benommene" Sinne erfrischt und neu belebt,
hätte nicht draußen die frische, abgekühlte Abendluft die durch deu berauschenden
Duft dieses bouhuvl, av mUlv ücurs abgespannten Nerven beruhigt, man wäre
sich wie ein abgesetztes Wild oder Spießruthcnläufer nach glücklich überstandener
Execution vorgekommen. Und doch hatte man, freilich neben einigen Breiten und
Trivialen, geistreiche nud bedeutende Dinge, zum Theil von Koryphäen, gehört
-- aber es war der Akademie gegangen, wie es Concertgebcrn zu gehen pflegt,
die recht viele Stücke auf ihr Programm setzen, um das Publicum anzulocken, zu
viele, um es nicht fcttiguirt und endlich der edeln Musica total überdrüßig wieder
zu entlassen. -- Vor fünf Uhr schon war der größte Theil der Zuhörer beisam¬
men: die Akademiker hielten das herkömmliche "akademische Viertel"; um ein
Viertel auf Sechs öffneten sich die Flügelthüren der deu Zuhörern gegenüber
gelegenen schmalen Wand des Sitzungssaales, und aus einem Nebenzimmer traten
ohne sonderliche Ordnung die gelehrten Herren in den für sie reservirten, durch
Schranken abgesonderten Raum ein. Die grüne Tafel den Schranken zunächst
wurde von deu Secretaireu, deu neuen Mitgliedern, den beiden außerdem für
heute zum Worte bestimmten Rednern eingenommen; ans den Stühlen der hinteren
Reihen nahmen die andern Mitglieder nach Belieben Platz. Zwar fehlten Hum¬
boldt'S und Leopold von Buch's ehrwürdige Häupter, auch Savigny blieb der


von Nohrstühlen zu ebener Erde; statt der ersme der Gesellschaft einige geheime
Räthe, Gelehrte, Literaten, gebildete Müßiggänger, ziemlich viele Studenten und
drei Damen im bescheidensten Costume von der Welt: eine fremde und zwei, ich
weiß nicht, ob Frauen oder sonstige weibliche Verwandte von Akademikern, die
ihre Männer, resp. Väter oder Brüder, bei dieser Gelegenheit reden hören oder
doch sehen wollen. So wenigstens gestern, Donnerstag den 3. Juli, am Jah¬
restage der öffentlichen Sitzung zu Ehren von Leibnitz; mit kleinen Variationen
aber ist es immer eben so, wenn nicht einmal ein Prinz, oder gar der König
einer Sitzung beiwohnt, und dadurch wenigstens eine Anzahl bunter Uniformen
ihren Lüstre über das Publicum verbreitet. Nicht umsonst wahrlich war hener
diese Sitzung anberaumt: nicht ein neues Mitglied wurde in den Schooß der
gelehrte» Körperschaft ausgenommen, sondern fünf. Die Secretaire antwortete»
zwar nicht den Einzelnen, sondern klassenweise: doch aber gab das allein sieben
längere oder kürzere Reden; Leibnitz, zu dessen Ehren prineipaliter die Sitzung
gehalten wird, durfte auch nicht ganz leer ausgehen, Preisausgabeu wurden be¬
urtheilt und verkündigt, schließlich Gcdächtnißrcden auf zwei verstorbene Mitglieder
der Akademie gehalten. Als die Sitzung nach dreistündiger Dauer aufgehoben
wurde, schwirrte Einem fast der Kopf von dem bunten Durcheinander, und hätte
nicht Jacob Grimm'S liebenswürdige und ursprüngliche Naivetät, die dieses
Panachv akademischer Genüsse während eines obligaten Gewitters mit leuchtenden
Blitzen, stark rollenden Donnern, strömenden Regengüssen bei schwebender, schwüler
Hitze im Saale beschloß, zuletzt die benommene» Sinne erfrischt und neu belebt,
hätte nicht draußen die frische, abgekühlte Abendluft die durch deu berauschenden
Duft dieses bouhuvl, av mUlv ücurs abgespannten Nerven beruhigt, man wäre
sich wie ein abgesetztes Wild oder Spießruthcnläufer nach glücklich überstandener
Execution vorgekommen. Und doch hatte man, freilich neben einigen Breiten und
Trivialen, geistreiche nud bedeutende Dinge, zum Theil von Koryphäen, gehört
— aber es war der Akademie gegangen, wie es Concertgebcrn zu gehen pflegt,
die recht viele Stücke auf ihr Programm setzen, um das Publicum anzulocken, zu
viele, um es nicht fcttiguirt und endlich der edeln Musica total überdrüßig wieder
zu entlassen. — Vor fünf Uhr schon war der größte Theil der Zuhörer beisam¬
men: die Akademiker hielten das herkömmliche „akademische Viertel"; um ein
Viertel auf Sechs öffneten sich die Flügelthüren der deu Zuhörern gegenüber
gelegenen schmalen Wand des Sitzungssaales, und aus einem Nebenzimmer traten
ohne sonderliche Ordnung die gelehrten Herren in den für sie reservirten, durch
Schranken abgesonderten Raum ein. Die grüne Tafel den Schranken zunächst
wurde von deu Secretaireu, deu neuen Mitgliedern, den beiden außerdem für
heute zum Worte bestimmten Rednern eingenommen; ans den Stühlen der hinteren
Reihen nahmen die andern Mitglieder nach Belieben Platz. Zwar fehlten Hum¬
boldt'S und Leopold von Buch's ehrwürdige Häupter, auch Savigny blieb der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/90>, abgerufen am 02.07.2024.