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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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sem Treiben gegenüber im Anfang völlig rathlos; endlich ermannte sie sich doch
-- etwa im Mai -- dazu, wenigstens die Sistirnng aller schwebenden Ablösuugs-
sachen anzuordnen. In den meisten Provinzen unsres Nachbarstaates Oestreich
waren ähnliche Zustände; die Oestreichische Regierung verstand es aber, dieselben
auf einen gewissen gesetzlichen Boden zu führen; sie erließ ein Gesetz, wonach in
der ganzen Monarchie alle Leistungen der Bauern an den Gutsherrn mit einem
Schlage aufhörten, die Normirung der Entschädigung wurde einem spätem Ge¬
setze vorbehalten, welches denn auch nicht später erschiene" ist, als unser neues
Ablösungögesetz. Es war das ein sehr gewaltsames Verfahren, aber - in Preu¬
ßen hatten die Bauern factisch aufgehört, ihren Verpflichtungen nachzukommen;
die Regierung versäumte es nicht, gelegentlich zu erklären, dieselben bestanden noch
fort, an einigen Orten wurden sogar militärische Executionen gegen die Renitenten
verhängt -- natürlich ohne Erfolg -- eS ist nicht schwer zu sagen, welche Regie¬
rung klüger verfuhr. Gegen Ende des Jahres 1848 entschloß man sich bei uns
zu einer neuen, ebenfalls halben Maßregel; das Gesetz vom 20. December -I8i8
ordnete die Regulirung eines Jnterimisticums mit Anwendung eines schiedsrichter¬
lichen Verfahrens an. Keine von beiden Parteien hatte eine rechtes Herz dazu;
der Bauer leistete ja noch immer Nichts, entschädigte den Gutsherrn anch nicht,
er befand sich augenblicklich ganz wohl, warum sollte er eine Aenderung dieses
Verhältnisses wünschen? -- Die Zukunft kümmerte ihn nicht. Der größte Theil
der Gutsherren wartete lieber auf das neue definitive Gesetz; mit jedem Tage
glaubte er mehr hoffen zu dürfen, daß es zu seinen Gunsten ausfallen würde;
die Artikel der Kreuzzeitung ließen ihn das Beste von der Zukunft erwarten;
inzwischen legte er für jeden seiner Bauern gewaltige Schuldbücher an, jede nicht
erfüllte Verpflichtung ward sorgfältig notirt, um später bei günstiger Zeit eingeklagt
zu werden; ein liebenswürdiges Heer von Processen war zu erwarten -- und
dabei stand fast die Hälfte der Güter unter Sequestration. Da endlich -- am
2. März 1830 -- erschien das neue AblösungSgesctz. --

Daß es deu sanguinischen Hoffnungen keiner der beiden Parteien entsprach,
war eine große Empfehlung desselben.

Die Punkte, durch welche es sich vorzüglich von deu frühern, nun ausdrück¬
lich aufgehobenen Ablösuugsgesctzeu unterscheidet, sind folgende:

Erstens sind gewisse Leistungen unentgeldlich aufgehoben, und zwar solche,
die sich wol jeder Gutsherr zu fordern schämen würde, ohne Weiteres, einige
andere unbedeutende, wie z. B. Botenlaufeu, Jagddieuste, Wächterdienste u. f. w.,
mit gewissen Vorbehalten,

Zweitens ist dafür gesorgt, daß die abzulösende Stelle auch trotz der ermit-
telten Ablvsungsrente serner prästationsfähig bleiben kann, ein Punkt, den man
früher ganz übersehen hatte. Zu dem Ende wird nach gewissen, im Gesetze aus¬
führlich angegebenen Grundsätzen der jährliche Reinertrag der Stelle ermittelt;


Grenzboten, III, 10

sem Treiben gegenüber im Anfang völlig rathlos; endlich ermannte sie sich doch
— etwa im Mai — dazu, wenigstens die Sistirnng aller schwebenden Ablösuugs-
sachen anzuordnen. In den meisten Provinzen unsres Nachbarstaates Oestreich
waren ähnliche Zustände; die Oestreichische Regierung verstand es aber, dieselben
auf einen gewissen gesetzlichen Boden zu führen; sie erließ ein Gesetz, wonach in
der ganzen Monarchie alle Leistungen der Bauern an den Gutsherrn mit einem
Schlage aufhörten, die Normirung der Entschädigung wurde einem spätem Ge¬
setze vorbehalten, welches denn auch nicht später erschiene» ist, als unser neues
Ablösungögesetz. Es war das ein sehr gewaltsames Verfahren, aber - in Preu¬
ßen hatten die Bauern factisch aufgehört, ihren Verpflichtungen nachzukommen;
die Regierung versäumte es nicht, gelegentlich zu erklären, dieselben bestanden noch
fort, an einigen Orten wurden sogar militärische Executionen gegen die Renitenten
verhängt — natürlich ohne Erfolg — eS ist nicht schwer zu sagen, welche Regie¬
rung klüger verfuhr. Gegen Ende des Jahres 1848 entschloß man sich bei uns
zu einer neuen, ebenfalls halben Maßregel; das Gesetz vom 20. December -I8i8
ordnete die Regulirung eines Jnterimisticums mit Anwendung eines schiedsrichter¬
lichen Verfahrens an. Keine von beiden Parteien hatte eine rechtes Herz dazu;
der Bauer leistete ja noch immer Nichts, entschädigte den Gutsherrn anch nicht,
er befand sich augenblicklich ganz wohl, warum sollte er eine Aenderung dieses
Verhältnisses wünschen? — Die Zukunft kümmerte ihn nicht. Der größte Theil
der Gutsherren wartete lieber auf das neue definitive Gesetz; mit jedem Tage
glaubte er mehr hoffen zu dürfen, daß es zu seinen Gunsten ausfallen würde;
die Artikel der Kreuzzeitung ließen ihn das Beste von der Zukunft erwarten;
inzwischen legte er für jeden seiner Bauern gewaltige Schuldbücher an, jede nicht
erfüllte Verpflichtung ward sorgfältig notirt, um später bei günstiger Zeit eingeklagt
zu werden; ein liebenswürdiges Heer von Processen war zu erwarten — und
dabei stand fast die Hälfte der Güter unter Sequestration. Da endlich — am
2. März 1830 — erschien das neue AblösungSgesctz. —

Daß es deu sanguinischen Hoffnungen keiner der beiden Parteien entsprach,
war eine große Empfehlung desselben.

Die Punkte, durch welche es sich vorzüglich von deu frühern, nun ausdrück¬
lich aufgehobenen Ablösuugsgesctzeu unterscheidet, sind folgende:

Erstens sind gewisse Leistungen unentgeldlich aufgehoben, und zwar solche,
die sich wol jeder Gutsherr zu fordern schämen würde, ohne Weiteres, einige
andere unbedeutende, wie z. B. Botenlaufeu, Jagddieuste, Wächterdienste u. f. w.,
mit gewissen Vorbehalten,

Zweitens ist dafür gesorgt, daß die abzulösende Stelle auch trotz der ermit-
telten Ablvsungsrente serner prästationsfähig bleiben kann, ein Punkt, den man
früher ganz übersehen hatte. Zu dem Ende wird nach gewissen, im Gesetze aus¬
führlich angegebenen Grundsätzen der jährliche Reinertrag der Stelle ermittelt;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/81>, abgerufen am 02.07.2024.