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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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welche wieder in jedem Kreise einen special-Commissarius beschäftigte. Schlesien
bedurfte gewiß vor allen andern Provinzen einer raschen Abwickelung dieser Ge¬
schäfte; leider gelang es aber den großen Gutsbesitzern, gerade für Schlesien
Declarationen hervorzurufen, welche die Wirksamkeit des Gesetzes für die kleinern
Stellenbesitzcr, "Gärtner und Häusler", aufhoben, und die guten Absichten weiser
Gesetzgeber zu Schanden machten. Eine große Anzahl spanndicnstvflichtiger Bauer¬
stellen wurde allerdings reluirt, aber eine größere Zahl handdienstpflichtigcr
Gärtner und Häusler blieb in der alten Unselbständigkeit -- mit ihr freilich der
Gutsherr, aber Der hatte es ja meistens selbst so gewollt.

Inzwischen trat diese Wirthschaft denn doch immer greller mit den Fortschritten,
welche nach allen übrigen Richtungen gemacht wurden, in Widerspruch; das idyl¬
lischpatriarchalische Verhältniß zwischen dem Gutsherrn und dem "Unterthanen"
wurde ein unerträgliches; ein vollständiger Krieg brach aus, der zwar auf dem
Papier geführt wurde, aber auf die großen und kleinen Oelonomien kaum an¬
ders wirkte, als etwa eine freundnachbarliche Invasion unsrer östlichen Nachbarn.
Der Bauer suchte sich, wo er nnr irgend konnte, der Arbeit zu entziehen, und
gelang ihm das nicht, so war Das, was er leistete, eine wahre Ironie auf deu
Begriff "Arbeit". Die fixirten Abgaben mußten fast jedesmal durch Processe
und Executionen beigetrieben werden; der Gutsherr kam in den meisten Fällen
seinen Verpflichtungen nicht viel besser nach. Die Verordnung vom 31. October
18is sollte jene nachtheiligen Declarationen wieder beseitigen und die ins Stocken
gerathenen Ablösungen wieder in Gang bringen; aber, so wie sie war, kam
sie zu spät. Die Verhältnisse, welche jene ältern Gesetze lösen sollten, waren be¬
deutend verwickelter, die Parteien, zwischen denen sie vermitteln sollten, waren
gegen einander erbittert worden; ein äußerst schleppender Geschäftsgang -- das
Institut der Patrimonialgerichte, welchen das ganze Hypothckenwesen oblag, trug
viel dazu bei -- machte die Beamte" muthlos, und als dann endlich doch wieder
ein Anfang gemacht war, traten die Hungerjahre von -1846--47, zum Theil
mittelbar durch diese Verhältnisse herbeigeführt -- hindernd in den Weg; ihnen
folgten ans dem Fuße die Bewegungen von 1848.

Die Erwartungen der Nobotpflichtigcn steigerten sich natürlich bald bis ins
Unsinnige; daß sofort jede Leistung eingestellt wurde, versteht sich von selbst; an
eine Entschädigung des Gutsherrn dachte Niemand; ja bereits rclnirte Bauern
glaubten, sie würden nun die ihnen zur Entschädigung des Gutsherrn abgenom¬
menen Aecker wieder erhalte"; sie glaubten ihrer Sache um so sicherer zu sein,
als es ihnen ja gelungen war, die berühmtesten Redner ihrer Banernversmmn-
lnngcn ("romaclvn), einen Michel Mros, Gorzolka, Kiolbassa n. s. w. in die
Nationalversammlung zu wählen. Hie und da machte sich der langgenährte Haß
in deu gröbsten Excessen gegen den Gutsherrn oder dessen Eigenthum Lust, denen
erst dnrch militärische Gewalt gesteuert werden konnte. Die Negierung war die-


welche wieder in jedem Kreise einen special-Commissarius beschäftigte. Schlesien
bedurfte gewiß vor allen andern Provinzen einer raschen Abwickelung dieser Ge¬
schäfte; leider gelang es aber den großen Gutsbesitzern, gerade für Schlesien
Declarationen hervorzurufen, welche die Wirksamkeit des Gesetzes für die kleinern
Stellenbesitzcr, „Gärtner und Häusler", aufhoben, und die guten Absichten weiser
Gesetzgeber zu Schanden machten. Eine große Anzahl spanndicnstvflichtiger Bauer¬
stellen wurde allerdings reluirt, aber eine größere Zahl handdienstpflichtigcr
Gärtner und Häusler blieb in der alten Unselbständigkeit — mit ihr freilich der
Gutsherr, aber Der hatte es ja meistens selbst so gewollt.

Inzwischen trat diese Wirthschaft denn doch immer greller mit den Fortschritten,
welche nach allen übrigen Richtungen gemacht wurden, in Widerspruch; das idyl¬
lischpatriarchalische Verhältniß zwischen dem Gutsherrn und dem „Unterthanen"
wurde ein unerträgliches; ein vollständiger Krieg brach aus, der zwar auf dem
Papier geführt wurde, aber auf die großen und kleinen Oelonomien kaum an¬
ders wirkte, als etwa eine freundnachbarliche Invasion unsrer östlichen Nachbarn.
Der Bauer suchte sich, wo er nnr irgend konnte, der Arbeit zu entziehen, und
gelang ihm das nicht, so war Das, was er leistete, eine wahre Ironie auf deu
Begriff „Arbeit". Die fixirten Abgaben mußten fast jedesmal durch Processe
und Executionen beigetrieben werden; der Gutsherr kam in den meisten Fällen
seinen Verpflichtungen nicht viel besser nach. Die Verordnung vom 31. October
18is sollte jene nachtheiligen Declarationen wieder beseitigen und die ins Stocken
gerathenen Ablösungen wieder in Gang bringen; aber, so wie sie war, kam
sie zu spät. Die Verhältnisse, welche jene ältern Gesetze lösen sollten, waren be¬
deutend verwickelter, die Parteien, zwischen denen sie vermitteln sollten, waren
gegen einander erbittert worden; ein äußerst schleppender Geschäftsgang — das
Institut der Patrimonialgerichte, welchen das ganze Hypothckenwesen oblag, trug
viel dazu bei — machte die Beamte« muthlos, und als dann endlich doch wieder
ein Anfang gemacht war, traten die Hungerjahre von -1846—47, zum Theil
mittelbar durch diese Verhältnisse herbeigeführt — hindernd in den Weg; ihnen
folgten ans dem Fuße die Bewegungen von 1848.

Die Erwartungen der Nobotpflichtigcn steigerten sich natürlich bald bis ins
Unsinnige; daß sofort jede Leistung eingestellt wurde, versteht sich von selbst; an
eine Entschädigung des Gutsherrn dachte Niemand; ja bereits rclnirte Bauern
glaubten, sie würden nun die ihnen zur Entschädigung des Gutsherrn abgenom¬
menen Aecker wieder erhalte»; sie glaubten ihrer Sache um so sicherer zu sein,
als es ihnen ja gelungen war, die berühmtesten Redner ihrer Banernversmmn-
lnngcn («romaclvn), einen Michel Mros, Gorzolka, Kiolbassa n. s. w. in die
Nationalversammlung zu wählen. Hie und da machte sich der langgenährte Haß
in deu gröbsten Excessen gegen den Gutsherrn oder dessen Eigenthum Lust, denen
erst dnrch militärische Gewalt gesteuert werden konnte. Die Negierung war die-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/80>, abgerufen am 02.07.2024.