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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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den von 6 -- 10 Uhr Morgens sind die günstigsten zum Besuch des Hafens.
Bei einem der vielen Blumenmädchen, die überall an deu Straßenecken herum¬
sitzen, kaufte ich mir zuerst für einige So" einen Strauß der würzigen Blüthen,
an denen die Gärten der Provence so reich sind. Die Düfte der Orangel'lüthen
mischen sich mit denen des Jasmins, das sanfte Noth der Rosenknospen bildet
deu Uebergang zum dunklen Purpur der Grauatblüthe. Mau athmet in man¬
chen Proveu^ausehen Garten zur Zeit der Blüthe betäubende Wohlgerüche ein.
Mit meinem Blumenstrauß im Knopfloch des weiten Rcisepaletots holte ich mir
dann meinen Begleiter auf meinen Streifereien ab. Es war ein alter pensio-
nirter Hochbootsmann, der in Marseille lebte, und mit dem mich ein Artillerieofficier
bekannt gemacht hatte. Ein alter närrischer Kauz voll Sonderbarkeiten, aber ein
prächtiger Führer im Marseiller Hafen. Ein gnrcr Führer ist von großem
Werthe hier. Mau fleht so viel Neues, Unbekanntes, besonders an verschiedenen
Formen von Küstcnschifsen, daß mau immer und immer zu fragen hat. Das Pro-
oem^alische Patois, wie es die untern Stände auch in Marseille sprechen, ist da¬
bei für eine" Fremden fast ganz unverständlich, und selbst dem gebornen Fran¬
zose", der an das rasche Hervorsprudeln der Worte seiner Landsleute schon gewohnt
ist, entgeht das Meiste. Ein Mecklenburgischer Landjunker, der nie von den
Fluren der Heimath fortgekommen ist, wird einer Unterhaltung ans einer Schwä¬
bischen Kirchweih besser folgen können, wie ein Pariser dem Gezänke Prooem^a-
liscker Fischer. Außerdem schützt ein Führer, besonders einer, wie mein alter
Pierre Branx, der einen unerschöpflichen Vorrat!) der kräftigsten Flüche, die nnr
die Französische Sprache inne hat, besitzt und sehr freigebig davou mittheilt, gegen
die Prellereien der Bootsführer und ähnlicher Leute. Alles, was Wiener Fiacre,
Mailänder Lohnbediente, Hamburger Kofferträger und Schweizer Kellner zu leiste"
vermögen, ist uur Stümperei gegen das der Marseiller und Avignoner Lastträger.
Nicht mit Bitten und Betteln, wie in Oberitalien, nein, mit Rohheit, fast mit
Gewalt wird diese Brandschatzung betrieben. Ich habe in dem Marseiller Hafen
köstliche Scenen der Art erlebt, köstlich für mich, da ich sie mit einem gewisse"
Gefühl der Schadenfreude, als uubetheiligter Zuschauer, mit ansehe" könne. Weil"
die Dampfboote eins Alexandrien die Schaar der blonden Söhne Albions brachten,
da war es wirklich der Mühe werth, schon deshalb "ach dem Hafen zu gehen,
um die Zautscene" mit den Lastträgern und Bootsführern mit anzuschauen.
Diese kreischende", hin- ""d herspriiigeiide", fluchenden, schimpfenden nud dro¬
henden und wieder bittende" braunen Prooem"?aler, und diese ruhigen, starrköpfigen,
phlegmatisch-hochmüthigen Engländer, die sich ans ihr "no", ,,n"", beschränken,
in keiner Posse hat man es besser. Einmal sah ich, wie ein großer, dicker Eng¬
länder, so Einer von der echten Sorte, einen Provence", der mit Gewalt sich
seines Koffers bemächtigen wollte, mit einem so gut angebrachten Streich nieder¬
warf, daß der kleine braune Gegner einige Schritte weit davon flog, und sich


den von 6 — 10 Uhr Morgens sind die günstigsten zum Besuch des Hafens.
Bei einem der vielen Blumenmädchen, die überall an deu Straßenecken herum¬
sitzen, kaufte ich mir zuerst für einige So» einen Strauß der würzigen Blüthen,
an denen die Gärten der Provence so reich sind. Die Düfte der Orangel'lüthen
mischen sich mit denen des Jasmins, das sanfte Noth der Rosenknospen bildet
deu Uebergang zum dunklen Purpur der Grauatblüthe. Mau athmet in man¬
chen Proveu^ausehen Garten zur Zeit der Blüthe betäubende Wohlgerüche ein.
Mit meinem Blumenstrauß im Knopfloch des weiten Rcisepaletots holte ich mir
dann meinen Begleiter auf meinen Streifereien ab. Es war ein alter pensio-
nirter Hochbootsmann, der in Marseille lebte, und mit dem mich ein Artillerieofficier
bekannt gemacht hatte. Ein alter närrischer Kauz voll Sonderbarkeiten, aber ein
prächtiger Führer im Marseiller Hafen. Ein gnrcr Führer ist von großem
Werthe hier. Mau fleht so viel Neues, Unbekanntes, besonders an verschiedenen
Formen von Küstcnschifsen, daß mau immer und immer zu fragen hat. Das Pro-
oem^alische Patois, wie es die untern Stände auch in Marseille sprechen, ist da¬
bei für eine» Fremden fast ganz unverständlich, und selbst dem gebornen Fran¬
zose», der an das rasche Hervorsprudeln der Worte seiner Landsleute schon gewohnt
ist, entgeht das Meiste. Ein Mecklenburgischer Landjunker, der nie von den
Fluren der Heimath fortgekommen ist, wird einer Unterhaltung ans einer Schwä¬
bischen Kirchweih besser folgen können, wie ein Pariser dem Gezänke Prooem^a-
liscker Fischer. Außerdem schützt ein Führer, besonders einer, wie mein alter
Pierre Branx, der einen unerschöpflichen Vorrat!) der kräftigsten Flüche, die nnr
die Französische Sprache inne hat, besitzt und sehr freigebig davou mittheilt, gegen
die Prellereien der Bootsführer und ähnlicher Leute. Alles, was Wiener Fiacre,
Mailänder Lohnbediente, Hamburger Kofferträger und Schweizer Kellner zu leiste«
vermögen, ist uur Stümperei gegen das der Marseiller und Avignoner Lastträger.
Nicht mit Bitten und Betteln, wie in Oberitalien, nein, mit Rohheit, fast mit
Gewalt wird diese Brandschatzung betrieben. Ich habe in dem Marseiller Hafen
köstliche Scenen der Art erlebt, köstlich für mich, da ich sie mit einem gewisse»
Gefühl der Schadenfreude, als uubetheiligter Zuschauer, mit ansehe» könne. Weil»
die Dampfboote eins Alexandrien die Schaar der blonden Söhne Albions brachten,
da war es wirklich der Mühe werth, schon deshalb »ach dem Hafen zu gehen,
um die Zautscene» mit den Lastträgern und Bootsführern mit anzuschauen.
Diese kreischende», hin- »»d herspriiigeiide», fluchenden, schimpfenden nud dro¬
henden und wieder bittende» braunen Prooem«?aler, und diese ruhigen, starrköpfigen,
phlegmatisch-hochmüthigen Engländer, die sich ans ihr „no", ,,n»", beschränken,
in keiner Posse hat man es besser. Einmal sah ich, wie ein großer, dicker Eng¬
länder, so Einer von der echten Sorte, einen Provence», der mit Gewalt sich
seines Koffers bemächtigen wollte, mit einem so gut angebrachten Streich nieder¬
warf, daß der kleine braune Gegner einige Schritte weit davon flog, und sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/70>, abgerufen am 02.07.2024.