Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht zur Sache gehörige Beiwerk dazu kommt, werden doch keine Individualitäten
daraus. Herr von Nadowitz versteht es nicht einmal, den richtigen Ton der ver¬
schiedenen Gattungen anzuschlagen. Zwar macht es ihm seine größere Bekannt¬
schaft mit den Pietisten, Aristokraten und Ultramontanen möglich, die Vorstellungs-
weise derselben etwas objectiver zu geben, als z. B. die der Radicalen, aber es
wird doch immer kein Ganzes daraus. Alle diese Personen reden doch mir in
der Radowitzischcu Weise, sie reden, wie man in einem neutralen, höflichen
Theecirkel redet. Das kommt eben von dem vergeblichen Bemühen her, alle
sittlichen Gegensatze dialektisch vermitteln zu wollen. Die Gegensätze sind eben
nicht blos in den Ansichten, sie sind concreter Natur, sie beherrschen das ganze
Sei", und wenn sie einander berühre", ohne zu explodiren, so ist es keine wirk¬
liche Berührung, sondern ein bloßer Schein, ans dem auf das Wesen nicht
geschlossen werden kaun.

Dagegen hat uns Herr von Radowitz in einer andern Weise interessirt, die
er wahrscheinlich nicht beabsichtigt hat, nämlich von der rein menschlichen Seite.
So lauge er in der angeblich unnahbaren, kalten Höhe stand, ein undurchdring¬
licher Magus, hat er uns uur Widerwillen eingeflößt, denn wir mögen keine
Automaten, wir mögen nnr Menschen. Der formelle Glanz seiner Reden von
der ersten bis zur letzten hat nus nie bestochen, weil er niemals seiue Persön¬
lichkeit einsetzte, niemals wahr im höher" Sinne des Wortes war. Jetzt sieht
er sich genöthigt, über Einflüsse, die er aufgenommen, Anfechtungen, die er erlit¬
ten, und dergleichen zu sprechen; er hört auf, ein uuuabbaier Magus zu sein,
er zeigt uns sterbliche Glieder, die leiden können; dadurch gewinnt er entschieden
unsre Theilnahme, und wir können auch das sentimentale Motto, welches er mit
einiger Coauet crie an die Spitze seines Buches gesetzt hat, und nach welchem
er nur noch ruhig zu sterben wünscht, nicht annehmen. Ein talentvoller Mann
kann noch immer seinem Vaterlande nützen und sich eine ehrenvolle Stellung er¬
werben, was auch seiue Bergaugcuheit sein möge, sobald er nur einmal den
festen Einschluß faßt, wahr gegen sich selbst zu sein und also auch wahr gegen
die Welt.




Bilder aus dem Hafenleben in Marseille.

Ein warmer Morgen. Die heiße Sonne der Provence ist an dem tief¬
blauen, wolkenlosen Himmel noch nicht so hoch herauf gestiegen, daß ihre Strahlen uns
sengend berühren könnten, wie dies in den spätern Mittagsstunden der Fall ist.
Jetzt dient ihr goldener Schein noch dazu, alle Gegenstände in reinen Umrissen hervor¬
treten zu lassen, ihnen eine weiche, warme Färbung zu verleihen. Solche Senn-


nicht zur Sache gehörige Beiwerk dazu kommt, werden doch keine Individualitäten
daraus. Herr von Nadowitz versteht es nicht einmal, den richtigen Ton der ver¬
schiedenen Gattungen anzuschlagen. Zwar macht es ihm seine größere Bekannt¬
schaft mit den Pietisten, Aristokraten und Ultramontanen möglich, die Vorstellungs-
weise derselben etwas objectiver zu geben, als z. B. die der Radicalen, aber es
wird doch immer kein Ganzes daraus. Alle diese Personen reden doch mir in
der Radowitzischcu Weise, sie reden, wie man in einem neutralen, höflichen
Theecirkel redet. Das kommt eben von dem vergeblichen Bemühen her, alle
sittlichen Gegensatze dialektisch vermitteln zu wollen. Die Gegensätze sind eben
nicht blos in den Ansichten, sie sind concreter Natur, sie beherrschen das ganze
Sei», und wenn sie einander berühre», ohne zu explodiren, so ist es keine wirk¬
liche Berührung, sondern ein bloßer Schein, ans dem auf das Wesen nicht
geschlossen werden kaun.

Dagegen hat uns Herr von Radowitz in einer andern Weise interessirt, die
er wahrscheinlich nicht beabsichtigt hat, nämlich von der rein menschlichen Seite.
So lauge er in der angeblich unnahbaren, kalten Höhe stand, ein undurchdring¬
licher Magus, hat er uns uur Widerwillen eingeflößt, denn wir mögen keine
Automaten, wir mögen nnr Menschen. Der formelle Glanz seiner Reden von
der ersten bis zur letzten hat nus nie bestochen, weil er niemals seiue Persön¬
lichkeit einsetzte, niemals wahr im höher» Sinne des Wortes war. Jetzt sieht
er sich genöthigt, über Einflüsse, die er aufgenommen, Anfechtungen, die er erlit¬
ten, und dergleichen zu sprechen; er hört auf, ein uuuabbaier Magus zu sein,
er zeigt uns sterbliche Glieder, die leiden können; dadurch gewinnt er entschieden
unsre Theilnahme, und wir können auch das sentimentale Motto, welches er mit
einiger Coauet crie an die Spitze seines Buches gesetzt hat, und nach welchem
er nur noch ruhig zu sterben wünscht, nicht annehmen. Ein talentvoller Mann
kann noch immer seinem Vaterlande nützen und sich eine ehrenvolle Stellung er¬
werben, was auch seiue Bergaugcuheit sein möge, sobald er nur einmal den
festen Einschluß faßt, wahr gegen sich selbst zu sein und also auch wahr gegen
die Welt.




Bilder aus dem Hafenleben in Marseille.

Ein warmer Morgen. Die heiße Sonne der Provence ist an dem tief¬
blauen, wolkenlosen Himmel noch nicht so hoch herauf gestiegen, daß ihre Strahlen uns
sengend berühren könnten, wie dies in den spätern Mittagsstunden der Fall ist.
Jetzt dient ihr goldener Schein noch dazu, alle Gegenstände in reinen Umrissen hervor¬
treten zu lassen, ihnen eine weiche, warme Färbung zu verleihen. Solche Senn-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280156"/>
          <p xml:id="ID_174" prev="#ID_173"> nicht zur Sache gehörige Beiwerk dazu kommt, werden doch keine Individualitäten<lb/>
daraus. Herr von Nadowitz versteht es nicht einmal, den richtigen Ton der ver¬<lb/>
schiedenen Gattungen anzuschlagen. Zwar macht es ihm seine größere Bekannt¬<lb/>
schaft mit den Pietisten, Aristokraten und Ultramontanen möglich, die Vorstellungs-<lb/>
weise derselben etwas objectiver zu geben, als z. B. die der Radicalen, aber es<lb/>
wird doch immer kein Ganzes daraus. Alle diese Personen reden doch mir in<lb/>
der Radowitzischcu Weise, sie reden, wie man in einem neutralen, höflichen<lb/>
Theecirkel redet. Das kommt eben von dem vergeblichen Bemühen her, alle<lb/>
sittlichen Gegensatze dialektisch vermitteln zu wollen. Die Gegensätze sind eben<lb/>
nicht blos in den Ansichten, sie sind concreter Natur, sie beherrschen das ganze<lb/>
Sei», und wenn sie einander berühre», ohne zu explodiren, so ist es keine wirk¬<lb/>
liche Berührung, sondern ein bloßer Schein, ans dem auf das Wesen nicht<lb/>
geschlossen werden kaun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_175"> Dagegen hat uns Herr von Radowitz in einer andern Weise interessirt, die<lb/>
er wahrscheinlich nicht beabsichtigt hat, nämlich von der rein menschlichen Seite.<lb/>
So lauge er in der angeblich unnahbaren, kalten Höhe stand, ein undurchdring¬<lb/>
licher Magus, hat er uns uur Widerwillen eingeflößt, denn wir mögen keine<lb/>
Automaten, wir mögen nnr Menschen. Der formelle Glanz seiner Reden von<lb/>
der ersten bis zur letzten hat nus nie bestochen, weil er niemals seiue Persön¬<lb/>
lichkeit einsetzte, niemals wahr im höher» Sinne des Wortes war. Jetzt sieht<lb/>
er sich genöthigt, über Einflüsse, die er aufgenommen, Anfechtungen, die er erlit¬<lb/>
ten, und dergleichen zu sprechen; er hört auf, ein uuuabbaier Magus zu sein,<lb/>
er zeigt uns sterbliche Glieder, die leiden können; dadurch gewinnt er entschieden<lb/>
unsre Theilnahme, und wir können auch das sentimentale Motto, welches er mit<lb/>
einiger Coauet crie an die Spitze seines Buches gesetzt hat, und nach welchem<lb/>
er nur noch ruhig zu sterben wünscht, nicht annehmen. Ein talentvoller Mann<lb/>
kann noch immer seinem Vaterlande nützen und sich eine ehrenvolle Stellung er¬<lb/>
werben, was auch seiue Bergaugcuheit sein möge, sobald er nur einmal den<lb/>
festen Einschluß faßt, wahr gegen sich selbst zu sein und also auch wahr gegen<lb/>
die Welt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bilder aus dem Hafenleben in Marseille.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_176" next="#ID_177"> Ein warmer Morgen. Die heiße Sonne der Provence ist an dem tief¬<lb/>
blauen, wolkenlosen Himmel noch nicht so hoch herauf gestiegen, daß ihre Strahlen uns<lb/>
sengend berühren könnten, wie dies in den spätern Mittagsstunden der Fall ist.<lb/>
Jetzt dient ihr goldener Schein noch dazu, alle Gegenstände in reinen Umrissen hervor¬<lb/>
treten zu lassen, ihnen eine weiche, warme Färbung zu verleihen.  Solche Senn-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] nicht zur Sache gehörige Beiwerk dazu kommt, werden doch keine Individualitäten daraus. Herr von Nadowitz versteht es nicht einmal, den richtigen Ton der ver¬ schiedenen Gattungen anzuschlagen. Zwar macht es ihm seine größere Bekannt¬ schaft mit den Pietisten, Aristokraten und Ultramontanen möglich, die Vorstellungs- weise derselben etwas objectiver zu geben, als z. B. die der Radicalen, aber es wird doch immer kein Ganzes daraus. Alle diese Personen reden doch mir in der Radowitzischcu Weise, sie reden, wie man in einem neutralen, höflichen Theecirkel redet. Das kommt eben von dem vergeblichen Bemühen her, alle sittlichen Gegensatze dialektisch vermitteln zu wollen. Die Gegensätze sind eben nicht blos in den Ansichten, sie sind concreter Natur, sie beherrschen das ganze Sei», und wenn sie einander berühre», ohne zu explodiren, so ist es keine wirk¬ liche Berührung, sondern ein bloßer Schein, ans dem auf das Wesen nicht geschlossen werden kaun. Dagegen hat uns Herr von Radowitz in einer andern Weise interessirt, die er wahrscheinlich nicht beabsichtigt hat, nämlich von der rein menschlichen Seite. So lauge er in der angeblich unnahbaren, kalten Höhe stand, ein undurchdring¬ licher Magus, hat er uns uur Widerwillen eingeflößt, denn wir mögen keine Automaten, wir mögen nnr Menschen. Der formelle Glanz seiner Reden von der ersten bis zur letzten hat nus nie bestochen, weil er niemals seiue Persön¬ lichkeit einsetzte, niemals wahr im höher» Sinne des Wortes war. Jetzt sieht er sich genöthigt, über Einflüsse, die er aufgenommen, Anfechtungen, die er erlit¬ ten, und dergleichen zu sprechen; er hört auf, ein uuuabbaier Magus zu sein, er zeigt uns sterbliche Glieder, die leiden können; dadurch gewinnt er entschieden unsre Theilnahme, und wir können auch das sentimentale Motto, welches er mit einiger Coauet crie an die Spitze seines Buches gesetzt hat, und nach welchem er nur noch ruhig zu sterben wünscht, nicht annehmen. Ein talentvoller Mann kann noch immer seinem Vaterlande nützen und sich eine ehrenvolle Stellung er¬ werben, was auch seiue Bergaugcuheit sein möge, sobald er nur einmal den festen Einschluß faßt, wahr gegen sich selbst zu sein und also auch wahr gegen die Welt. Bilder aus dem Hafenleben in Marseille. Ein warmer Morgen. Die heiße Sonne der Provence ist an dem tief¬ blauen, wolkenlosen Himmel noch nicht so hoch herauf gestiegen, daß ihre Strahlen uns sengend berühren könnten, wie dies in den spätern Mittagsstunden der Fall ist. Jetzt dient ihr goldener Schein noch dazu, alle Gegenstände in reinen Umrissen hervor¬ treten zu lassen, ihnen eine weiche, warme Färbung zu verleihen. Solche Senn-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/69>, abgerufen am 02.07.2024.