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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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diese Hoffnung nur gering, und sie wird noch geringer durch den Erfolg dieses
Bretes werden. Wir werden dnrch dasselbe blos nicht befriedigt, die äußerste
Rechte aber wird erbittert werden. Die Ausdrücke, in denen er von dem gegen¬
wärtigen Ministerium spricht, sind um so bitterer, je mehr er mit seiner Zurück¬
haltung Ostentation macht, und seine eigentlichen alten Freunde, die Gerlachs u.s. w.,
werdeu geradezu feindselig behandelt, trotz des traulichen Du, mit dem er ihren
Vertreter begrüßt, und trotz der Höflichkeiten, die er an sie verschwendet.

Aber es bleibt doch immer noch Etwas übrig, über das wir nicht hinweg
kommen. Z. B. sein Verhältniß zum Ultramontanismus. Wir haben von Herrn
von Nadowitz niemals geglaubt, das er wirklich jesuitische Absichten hege, wir
haben seine kirchliche Salbung immer nur für jene äußere Folie gehalten, mit
der ein vornehmer und geistreicher Mann, der an klares und freies Denken nicht
gewöhnt ist, sich gern umgiebt, und wir sind der Ueberzeugung, daß wenigstens
jetzt die Ultramontanen derselben Ansicht sein werde"; aber auch dieses Schön-
thnn ist noch zu viel. Ein Mann, der noch immer bei der Erklärung stehen
bleibt, in einem Collisionöfall werde er die Interessen seiner Kirche stets denen
seines Staates vorziehen, wenn er auch die rsservatio mentiüis damit verbindet,
daß dieser Collisionsfall nie eintreten könne, darf doch nie zu unsern Führern gehören,
denn diese Zurechtmacberci, die theoretisch nur zu Paradoxien verleitet, z. B. hier
zu der Behauptung, Preußen wäre nicht ein vorherrschend protestantischer Staat,
zieht im Praktischen schlimmere Dinge nach sich. Wenn Herr von Radowitz ge¬
denken sollte, noch einmal ans die politische Bühne zu treten, so wird er sich doch
klar für rechts oder links entscheiden müssen. Das Geheimniß, in das er sich
bisher zu hüllen gesucht hat, und die Objectivität gegen alle Ansichten, mit der
er auch hier nicht blos coquettirt, sondern der er ernstlich nachstrebt, diese Phy-
siognvmielosigkeit, die er in demselben Augenblick prätendirt, wo er auf seine
Physiognomie ein nicht geringes Gewicht legt, dies Alles wird in einer Zeit
nicht mehr ausreichen, die über die philosophisch-historischen Rebus hinaus ist,
und im Praktischen Bestimmtheit, im Theoretischen Klarheit verlangt. Es würde
eben so wenig ausreichen, als die Miscellen, die er hier in einem Capitel über
alle möglichen Wissenschaften und Künste zusammendrängt, genügen, um seine
wissenschaftliche Bildung zu beweisen. Nicht die Masse von Reminiscenzen macht
die wahre Bildung, wie rcspectabel an sich sie auch sein möge, sondern die Ord¬
nung und Gewissenhaftigkeit im Denken. Man kann in alle möglichen philoso¬
phischen Systeme hineingesehen haben, wenn man mitten unter verständigen Be¬
merkungen über Kant und Aehnliches plötzlich ans Gespenster kommt, und ernst¬
haft darüber debattirt, so ist es mit der philosophischen Bildung nicht weit her.

ES bleibt uns noch übrig, über den künstlerischen Werth des Buchs Etwas
zu sagen. Wir halten nicht viel von dieser Form des Dialogs. Die Personen
sind doch bloße Träger von Ansichten, und wenn auch hin und wieder einiges


diese Hoffnung nur gering, und sie wird noch geringer durch den Erfolg dieses
Bretes werden. Wir werden dnrch dasselbe blos nicht befriedigt, die äußerste
Rechte aber wird erbittert werden. Die Ausdrücke, in denen er von dem gegen¬
wärtigen Ministerium spricht, sind um so bitterer, je mehr er mit seiner Zurück¬
haltung Ostentation macht, und seine eigentlichen alten Freunde, die Gerlachs u.s. w.,
werdeu geradezu feindselig behandelt, trotz des traulichen Du, mit dem er ihren
Vertreter begrüßt, und trotz der Höflichkeiten, die er an sie verschwendet.

Aber es bleibt doch immer noch Etwas übrig, über das wir nicht hinweg
kommen. Z. B. sein Verhältniß zum Ultramontanismus. Wir haben von Herrn
von Nadowitz niemals geglaubt, das er wirklich jesuitische Absichten hege, wir
haben seine kirchliche Salbung immer nur für jene äußere Folie gehalten, mit
der ein vornehmer und geistreicher Mann, der an klares und freies Denken nicht
gewöhnt ist, sich gern umgiebt, und wir sind der Ueberzeugung, daß wenigstens
jetzt die Ultramontanen derselben Ansicht sein werde»; aber auch dieses Schön-
thnn ist noch zu viel. Ein Mann, der noch immer bei der Erklärung stehen
bleibt, in einem Collisionöfall werde er die Interessen seiner Kirche stets denen
seines Staates vorziehen, wenn er auch die rsservatio mentiüis damit verbindet,
daß dieser Collisionsfall nie eintreten könne, darf doch nie zu unsern Führern gehören,
denn diese Zurechtmacberci, die theoretisch nur zu Paradoxien verleitet, z. B. hier
zu der Behauptung, Preußen wäre nicht ein vorherrschend protestantischer Staat,
zieht im Praktischen schlimmere Dinge nach sich. Wenn Herr von Radowitz ge¬
denken sollte, noch einmal ans die politische Bühne zu treten, so wird er sich doch
klar für rechts oder links entscheiden müssen. Das Geheimniß, in das er sich
bisher zu hüllen gesucht hat, und die Objectivität gegen alle Ansichten, mit der
er auch hier nicht blos coquettirt, sondern der er ernstlich nachstrebt, diese Phy-
siognvmielosigkeit, die er in demselben Augenblick prätendirt, wo er auf seine
Physiognomie ein nicht geringes Gewicht legt, dies Alles wird in einer Zeit
nicht mehr ausreichen, die über die philosophisch-historischen Rebus hinaus ist,
und im Praktischen Bestimmtheit, im Theoretischen Klarheit verlangt. Es würde
eben so wenig ausreichen, als die Miscellen, die er hier in einem Capitel über
alle möglichen Wissenschaften und Künste zusammendrängt, genügen, um seine
wissenschaftliche Bildung zu beweisen. Nicht die Masse von Reminiscenzen macht
die wahre Bildung, wie rcspectabel an sich sie auch sein möge, sondern die Ord¬
nung und Gewissenhaftigkeit im Denken. Man kann in alle möglichen philoso¬
phischen Systeme hineingesehen haben, wenn man mitten unter verständigen Be¬
merkungen über Kant und Aehnliches plötzlich ans Gespenster kommt, und ernst¬
haft darüber debattirt, so ist es mit der philosophischen Bildung nicht weit her.

ES bleibt uns noch übrig, über den künstlerischen Werth des Buchs Etwas
zu sagen. Wir halten nicht viel von dieser Form des Dialogs. Die Personen
sind doch bloße Träger von Ansichten, und wenn auch hin und wieder einiges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/68>, abgerufen am 02.07.2024.